Autor Thema: Auf Burg Norngard  (Gelesen 10149 mal)

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Offline Tannjew

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Auf Burg Norngard
« am: 06. Mai 15, 15:11 »
5. Tag des 5. Mondes 265 nach Jeldrik

Mühselig schleppte sich das kleine Grüppchen durch das weit geöffnete Tor von Burg Norngard. Der Reiseweg vom Frühlingsfest in Salmar bis in das nördlich gelegene Lehen war nicht weit, doch hatte der beständige Regen die Straße in ein lang gezogenes Band aus Schlammlöchern verwandelt. Es war ganz so, als würden die Sümpfe rund um Burg Norngard gar nicht auf die Rückkehr des Erben von Norngard warten wollen.
Bereits nach dem ersten Tag Dauerregen war einem jeden die Lust vergangen ein Gespräch zu suchen und auch jetzt änderte sich nichts daran, trotz der Erwartung auf trockene Kleider und ein warmes Lager. Die Reisenden stiegen von ihren Rössern ab und überließen dem Stallknecht die Versorgung der Pferde. Dann nickten sie einander müde zu und ein jeder begab sich an seinen Platz.
 
Herbrand hob die Hand zur Türklinke, doch ehe er sie berührte öffnete sich die Holztür des Wachhauses bereits und er blickte in das strahlende Gesicht von Konrad. "Erzähl, wie war das Turnier? Ist jemand verletzt worden? Und waren die hohen Damen hübsch?" fragte dieser ohne Luft zu holen. Herbrand seufzte, denn er wusste, er würde nicht eher Ruhe haben ehe er dem jugendlichen Wachsoldaten alle Fragen beantwortet hatte, die dem Jungspund durch den Kopf gingen. Also hieß es in den sauren Apfel beißen und berichten, ehe er sich ins trockene Bett fallen lassen konnte.
 
Mika und Varya zog es zum Tempel Nedras. Als sie die Türe zu dem kleinen Gebäude öffneten empfing sie zuerst Finsternis. Seit dem hier nicht mehr Tior, der Gott des Krieges, geehrt wurde brannte kein beständiges Licht mehr in dem geheiligten Raum. Dennoch war noch immer der strenge Geruch von ranzigem Lampenöl zu vernehmen. Durch ein nachträglich ins Gemäuer geschlagenes Loch in Form einer Mondsichel beschien fahles Licht das Schwert Maranwe, dass hier in der Kapelle zur Schau gestellt wurde. Eine Eule saß darin und musterte müde die beiden Neuankömmlinge, die ihren Schlaf störten. Unverzüglich begannen sie mit einem alten Ritus, um Nedra zu Ehren, ehe sie sich endlich erschöpft in ihre benachbarten Kemenaten begaben.
 
Marie blickte sorgenvoll auf ihren Herren. Seitdem er sie in die Erkenntnisse der Magier über das steinerne Herz eingeweiht hatte, das nun in seiner Brust schlug, befürchtete sie ständig, dass es schlagartig aufhören würde zu schlagen - und nicht erst nach einem Jahr und einen Tag, wie von den Magiern vermutet wurde. Schnell zog sie sich um und eilte dann zur Küche, um dort die Medizin zuzubereiten, die Tannjew tagtäglich zu sich nehmen sollte, damit das Pockenfieber nicht zurückkehrte. Das, darin waren sich alle einig, könnte die Haltbarkeit des Steinherzens radikal verkürzen. Bald schon kochte ein trüber Sud einem kleinen Kupferkessel und verströmte einen würzigen Duft.
 
Tannjew verspürte ein seltsames Gefühl, als er die Treppe zu seinen Gemächern hinauf stieg. Während er Holz im Kamin aufschichtete und ein Feuer entzündete grübelte er darüber nach, was es für ein Gefühl das sein könnte.  Als endlich die Flammen züngelten und eine wohlige Wärme verbreiteten wurde es ihm mit einem Schlage klar. Zum ersten Mal seit er nach einer Reise zu dieser alten, im Morast der umliegenden Sümpfe versinkenden Burg zurückkehrte, fühlte er sich zuhause.

Offline Tannjew

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Re: Auf Burg Norngard
« Antwort #1 am: 23. Mai 15, 19:06 »
14. Tag des 5. Mondes 265 n.J.

Ohne anzuklopfen stürmten die Nedranovizin Varya und der Waffenknecht Herbrand in die große Halle der Burg von Norngard, wo der Hausherr vor einer Landkarte brütete.
Tannjew von Norngard störte sich nicht an der Missachtung von einfachen Formalitäten, aber die Vehemenz überraschte ihn dennoch. Schnell wurde ihm klar, dass dies der Dringlichkeit der Sache geschuldet war. Nach einer knappen Begrüßung nahmen die Beiden die ausgebreitete Karte zum Anlass um direkt zur Sache zu kommen und wiesen auf einen Punkt etwa eine halbe Tagesreise südwestlich von Norngard, auf einen Wald in der Baronie Auenmark.
"Auf der Reichsstraße von Salmar nach Middenheim stießen wir vor gut einer Woche auf einen überfallenen Handelstross mit vielen Toten. Wir folgten den Spuren von gut einem Dutzend schwer bewaffneter Männer in die Auenmark und hatten Sichtkontakt ehe sie in diesen Forst verschwanden. Sie verließen den Forst mehrmals und kehrten immer wieder dorthin zurück. Die Männer tragen eindeutig die Wappenröcke der abtrünnigen Lupus Umbra. Wir sind uns daher sicher, dass dort ihr neuer Unterschlupfort ist," bemerkte Varya und Herbrand fügte umgehend hinzu:
"Vielleicht verweilen Isiria von Pfauengrund und Balduin von Dreidornen auch dort! Wir sollten keine Zeit verlieren."
Das waren die Neuigkeiten auf die er gewartet hatte!
Tannjew fing umgehend mit den Planungen an: Er würde wieder ein Expeditionskorps auf die Beine stellen und benötigte daher bereitstehende Grenzwächter aus Middenheim.
Seine Freunde aus Argeste waren erst vor wenigen Tagen aufgebrochen, vielleicht würden sie umkehren um ihm beizustehen, sofern sie seine Nachricht früh genug erreichte. Kadegar befand sich sowieso mit einigen anderen auf dem Weg zu ihm, das traf sich gut, er würde mitkommen müssen. Leider weilten seine anderen Freunde in Fanada und es würde wohl keine Zeit bleiben, um auf Jelena, Sasha und Gorix zu warten. Trotz allem sandte er ihnen Nachricht, denn niemand konnte vorhersagen wie diese Expedition ausgehen würde.
Herbrand machte immer einen pflichtbewussten Schritt nach zur Seite, wenn Tannjew wieder zu einem Regel eilte um Dokumente oder Schreibutensilien hervorzusuchen.
Varya war schon längst wieder verschwunden, um Tannjews Schwester Mika über die Neuigkeiten zu informieren. Inmitten des Gewusels aus Boten und Nacjrichten tauchte Marie auf und trug eine dampfende Tasse mit Tee herbei. Tannjew verzog das Gesicht, noch ehe er den Geruch wahrgenommen hatte.
"Ihr müsst das Gesicht nicht verziehen, Herr Tannjew. Jelena sagte, dass ihr das Gebräu täglich einzunehmen habt."
"Ich bin auch lange Zeit ohne das Gebräu gesund geblieben. Aber vielleicht sollte ich den Göttern dankbar sein, dass Jelena dir das Brauen von diesem grauenhaften Zeug beigebracht hat und nicht die Amputation von Gliedmaßen. Ach, da fällt mir ein: in wenigen Tagen gehen wir alle auf die Jagd - und du kommst mit."

Offline Tannjew

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Antw:Auf Burg Norngard
« Antwort #2 am: 04. Apr 17, 11:49 »
4. Tag des 4. Mondes 267 n.J.

Tannjew blickte vom Burgfried aus gen Westen. Irgendwo dort in der Ferne, jenseits der Grenze des Fürstentums, lagen Hanekamp, und damit Ahrnburg und Sangenwalde. Walter müsste mittlerweile - hoffentlich rechtzeitig - in Sangenwalde angekommen sein. Er hoffte für ihn, dass Walter noch die Gelegenheit zur Aussprache mit seinem Vater bekäme.

Wehmütig erinnerte ihn die Situation an sein eigenes Wiedersehen mit seinem Vater. Auch er war erst nach einem Jahrzehnt heimgekehrt, um sich mit der Forderung konfrontiert zu sehen, das Knie vor dem Usurpator zu beugen und dem Lupus Umbra beizutreten. Mit seiner Weigerung hatte er das Todesurteil für seinen Vater unterschrieben. Das Bild, wie Barad Konar völlig unerwartet eine Fleischkabel in den Schädel seines Vaters jagte hatte sich in Tannjews Erinnerung eingebrannt. Nur mit Mühe war er damals den Häschern des Usurpators entkommen, Tannjews Bruder Alaron hatte höchstpersönlich die Jagd auf ihn angeführt. Tannjew wusste, dass es bis heute Leute gab, die den falschen Anschuldigungen Glauben schenken und ihn für einen Vatermörder halten.

Nach dem Krieg hatte er sich auf Jahre nach Norngard zurückgezogen und den Kontakt zu alten Weggefährten weitestgehend abgebrochen. Für seinen Versuch, doch noch mal etwas Gutes zu tun und altes Unrecht ungeschehen zu machen, hatte er mit seinem Herzen einen hohen Preis gezahlt - aber auch gelernt, dass es noch Menschen gab, die für einander und für höhere Werte einstanden. Trotz all der Verluste hatte das etwas in Tannjew geweckt, das er längst für tot hielt.

Entsprechend erschütterte ihn die Nachricht vom Tode Robert McMananughs im vergangenen Winter. Irgendwie fühlte er sich schuldig dafür, erst jetzt davon erfahren zu haben. Gewiss, Norngard lag abgelegen... aber das konnte er nicht als Ausrede gelten lassen. Er hatte sich zu lange zurückgezogen und es wurde Zeit, dass der Hirsch auf das Spielfeld zurückkehrte.

Offline Schimmi

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Antw:Auf Burg Norngard
« Antwort #3 am: 03. Jan 18, 09:44 »
15. Tag des 12. Mondes 267 n. J.

Der Winter hat Norngard voll im Griff. Normalerweise war dadurch nicht viel zu tun auf dem Lehen. Frieren musste zumindest niemand, da die Vorräte an getrocknetem Torf schier endlos scheinen. Somit ist die Burg stets gut geheizt und das wissen auch ein paar Bewohner der umliegenden Dörfer. Immer wieder treffen Dorfbewohner ein, die sich für ein paar Tage in der warmen Burg aufhalten. Im Gegenzug bringen sie Vorräte mit, die sie dann mit den Bewohnern der Burg teilen. So ist es bereits seit Generationen Tradition in dem kleinen Ritterlehen.

Es sind noch zwei Wochen bis zum Jahreswechsel, die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten haben noch nicht angefangen. Trotzdem beginnt sich eine gewisse Betriebsamkeit auf der Burg auszubreiten. Es werden Vorräte gepackt und zwei Kutschen für eine längere Reise vorbereitet, was die Kinder als Herausforderung zu nehmen scheinen bei jeder sich bietenden Gelegenheit den arbeitenden Leuten im Weg zu stehen. Sehr zur Freude der Kindermädchen, welche die Zeit nutzen, um in Ruhe Ausbesserungen an den Kleidern vornehmen zu können. 

Tannjew ging zum dritten Mal mit dem Hauptmann der Wache durch, welche Aufgaben während seiner Abwesenheit zu bewältigen wäre. Er hätte Herbrand gerne während der Reise an seiner Seite gewusst, jedoch hatte der Hauptmann der Wache genug mit der Ausbildung ebendieser zu tun und konnte daher die Burg nicht verlassen. Zudem wollte Tannjew den jungen Vater in der Nähe von Varya und ihrem Kind Linus wissen. Diese war dankbar dafür, dass ihr und ihrem Kind die winterliche Reise erspart blieb.
 
Marie war damit beschäftigt Tannjews Medizin auf Vorrat herzustellen. Zwar war das Fieber seit einem halben Jahr nicht wieder gekehrt, aber gerade deshalb schien es umso ratsamer auf einen möglichen Schub vorbereitet zu sein.
Dr. h.c. Dieter Szymczak of Counseling (MLDC/USA)
Dieter Szymczak, Lord of Kerry
Schimmi, Friedensnobelpreisträger
jeder Tag an dem Du nicht lächelst ist ein verlorener Tag.

Offline Tannjew

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Antw:Auf Burg Norngard
« Antwort #4 am: 04. Jan 18, 08:54 »
22. Tag des 12. Mondes 267 n. J.

Tannjew merkte, dass er langsam alt wurde, denn die Sonnenwendfeier vom Vorabend steckte ihm in den Knochen. Und auch ein wenig im Schädel. Jetzt bereute er Entschluss, ausgerechnet heute aufbrechen zu wollen. Der Gedanke an die bevorstehende Reise machte es auch nicht besser. Aber so hatte er es verkündet und nun konnte er nicht mehr zurück.
Bevor die Reisegesellschaft aufbrach nahmen alle ein gemeinsames Frühstück ein. Es war eine seltsame Mischung aus Aufregung ob der bevorstehenden Reise und gedrückter Stimmung, weil nicht alle mitreisen konnten und man sich für Monate nicht sehen würde. Irgendwie war man zu einer großen Familie zusammen gewachsen.
Während die Handvoll Wachsoldaten der Burg die Habseligkeiten von Marie, den Kindermädchen und den Mündeln in die Kutsche von Ordric und Myriel packten erklärte Tannjew Varya ein letztes Mal, dass sie trotz ihres vor Nedra geleisteten Schwures ihn zu beschützen hier bleiben und auf ihr eigenes Mündel achtgeben müsse. Der Hinweis, dass auch Walter von Sangenwalde mitreisen und ihn schützen würde schien ihr nur eine schwache Beruhigung zu sein. Erst das Argument, dass Herbrand ebenfalls hier bliebe und es ja sonst niemanden gäbe, der auf ihn aufpassen würde, schien sie zu überzeugen.
Kurz darauf brach die Reisegesellschaft auf gen Port Valkenstein.

Offline Tannjew

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Antw:Auf Burg Norngard
« Antwort #5 am: 13. Jan 19, 21:28 »
13. Tag des 1. Mondes 269 n.J.

Es hatte Wochen gedauert, bis die Nachricht von Lorainnes Tod das weit entfernte Norngard erreichte und zur Folge hatte, dass sich eine tiefe Betrübnis über die Bewohner der Burg legte. Gewiss, man hatte sie nicht wirklich gekannt, aber die einstige Ritterin war vor zwei Jahren als Gast geladen gewesen und hatte sich trotz ihrer Herkunft (sie stammte aus Firngard!) ordentlich verhalten. Gäste waren selten auf Burg Norngard, insbesondere so Hochwohlgeborene, und so war sie allen in Erinnerung geblieben. Folgerichtig geziemte es sich für einen Jeden ein wenig Betroffenheit zu zeigen, jedoch... es war nicht bloß jener aufgesetzte Kummer, den man in den Gesichtern zu sehen erwartete, sondern ein fast schon greifbarer Schatten, der über dem Hause Norngard lag.

Vielleicht lag es daran, dass Tannjew alle Burgbewohner an jenem nasskalten Tag auf den Burghof nötigte, damit sie der Predigt des Jeldriken Freiwald lauschten, und nicht wenige von ihnen daraufhin mit schwerem Fieber danieder lagen, weshalb sie zum Monatsende hin nicht zu den lang erwarteten Feierlichkeiten nach Steinshard reisen konnten.
Vielleicht aber auch daran, dass die Götter keine Skrupel zeigten ebenfalls diejenigen früh zu sich zu holen, deren Leben so besonders waren, dass sie augenscheinlich auf die eine oder andere Weise gesegnet gewesen sein mussten.