5. Tag des 5. Mondes 265 nach Jeldrik
Mühselig schleppte sich das kleine Grüppchen durch das weit geöffnete Tor von Burg Norngard. Der Reiseweg vom Frühlingsfest in Salmar bis in das nördlich gelegene Lehen war nicht weit, doch hatte der beständige Regen die Straße in ein lang gezogenes Band aus Schlammlöchern verwandelt. Es war ganz so, als würden die Sümpfe rund um Burg Norngard gar nicht auf die Rückkehr des Erben von Norngard warten wollen.
Bereits nach dem ersten Tag Dauerregen war einem jeden die Lust vergangen ein Gespräch zu suchen und auch jetzt änderte sich nichts daran, trotz der Erwartung auf trockene Kleider und ein warmes Lager. Die Reisenden stiegen von ihren Rössern ab und überließen dem Stallknecht die Versorgung der Pferde. Dann nickten sie einander müde zu und ein jeder begab sich an seinen Platz.
Herbrand hob die Hand zur Türklinke, doch ehe er sie berührte öffnete sich die Holztür des Wachhauses bereits und er blickte in das strahlende Gesicht von Konrad. "Erzähl, wie war das Turnier? Ist jemand verletzt worden? Und waren die hohen Damen hübsch?" fragte dieser ohne Luft zu holen. Herbrand seufzte, denn er wusste, er würde nicht eher Ruhe haben ehe er dem jugendlichen Wachsoldaten alle Fragen beantwortet hatte, die dem Jungspund durch den Kopf gingen. Also hieß es in den sauren Apfel beißen und berichten, ehe er sich ins trockene Bett fallen lassen konnte.
Mika und Varya zog es zum Tempel Nedras. Als sie die Türe zu dem kleinen Gebäude öffneten empfing sie zuerst Finsternis. Seit dem hier nicht mehr Tior, der Gott des Krieges, geehrt wurde brannte kein beständiges Licht mehr in dem geheiligten Raum. Dennoch war noch immer der strenge Geruch von ranzigem Lampenöl zu vernehmen. Durch ein nachträglich ins Gemäuer geschlagenes Loch in Form einer Mondsichel beschien fahles Licht das Schwert Maranwe, dass hier in der Kapelle zur Schau gestellt wurde. Eine Eule saß darin und musterte müde die beiden Neuankömmlinge, die ihren Schlaf störten. Unverzüglich begannen sie mit einem alten Ritus, um Nedra zu Ehren, ehe sie sich endlich erschöpft in ihre benachbarten Kemenaten begaben.
Marie blickte sorgenvoll auf ihren Herren. Seitdem er sie in die Erkenntnisse der Magier über das steinerne Herz eingeweiht hatte, das nun in seiner Brust schlug, befürchtete sie ständig, dass es schlagartig aufhören würde zu schlagen - und nicht erst nach einem Jahr und einen Tag, wie von den Magiern vermutet wurde. Schnell zog sie sich um und eilte dann zur Küche, um dort die Medizin zuzubereiten, die Tannjew tagtäglich zu sich nehmen sollte, damit das Pockenfieber nicht zurückkehrte. Das, darin waren sich alle einig, könnte die Haltbarkeit des Steinherzens radikal verkürzen. Bald schon kochte ein trüber Sud einem kleinen Kupferkessel und verströmte einen würzigen Duft.
Tannjew verspürte ein seltsames Gefühl, als er die Treppe zu seinen Gemächern hinauf stieg. Während er Holz im Kamin aufschichtete und ein Feuer entzündete grübelte er darüber nach, was es für ein Gefühl das sein könnte. Als endlich die Flammen züngelten und eine wohlige Wärme verbreiteten wurde es ihm mit einem Schlage klar. Zum ersten Mal seit er nach einer Reise zu dieser alten, im Morast der umliegenden Sümpfe versinkenden Burg zurückkehrte, fühlte er sich zuhause.