Autor Thema: Der Treck gen Norden - 2. Teil  (Gelesen 20890 mal)

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Offline Auranius

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #105 am: 29. Okt 08, 21:08 »
Auranius hatte in der Zeit das Feuer in Gang gebracht und schaute hinüber zu Jelena und Luthor. Er entschloss sich etwas näher an sie heran zu gehen, falls sie etwas Hilfe gebrauchen sollten.
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Offline Jelena

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #106 am: 29. Okt 08, 21:17 »
Die nächsten Stunden dehnten sich in die Ewigkeit und jeder Augenblick davon wurde verzweifelter und blutiger.
Die Nacht war bereits vorangeschritten und die Gebährende erschöpfte sich in einem nutzlosen Kampf, während das Leben Tropfen für Tropfen aus ihr heraussickerte.
Jelena war inzwischen völlig grau im Gesicht und schien sich nur durch reine Willenskraft auf den Beinen und bei Bewußtsein zu halten. Sie kämpfte verzweifelt darum das Kind durch die Geburt zu leiten, aber es hatte sich mit einer Schulter im Becken der Mutter verkeilt und es ging weder vor noch zurück.
Der Vater war irgendwann von anderen Flüchtlingen beiseite genommen und besinnungslos betrunken gemacht worden.
Jelena sah Luthor ausdruckslos an: "Mutter oder Kind?"
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Offline Luthor Kaaen

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #107 am: 29. Okt 08, 21:29 »
Daraufhin sah er sie entgeistert an, blass wie der Mond, der hinter schweren Wolken immer wieder hervorlukte. "Mutter oder Kind?" stammelte er ihr fassungslos nach "Meisterin, wer entscheiden solche Fragen??" Er wagte es nicht, zu ihrem Problem zu schauen. Doch in seinem Kopf arbeitete es bereits. Die Frau würde hoffnungslos geschwächt sein, dazu noch geistig instabil, da ihr Kind sterben würde. Auf der anderen Seite hätte das Kleine wenig Chancen zu überleben, es war kalt, sie waren auf der Flucht und beide Lebewesen könnten ihr Vorrankommen erschweren und sogar zum Scheitern bringen.

"Was denkt Ihr?" meinte er dann fast bettelnd. Tränen standen ihm in den Augen.
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Offline Jelena

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #108 am: 29. Okt 08, 21:46 »
"Sie hat zu viel Blut verloren. Wenn wir das Kind jetzt holen, dann hat es eine Möglichkeit zu überleben. In der Feste wird sich jemand finden, der es annimmt, falls der Vater es nicht schafft."
Jelenas Stimme klang ruhig, mechanisch, so als würde sie eine vorher festgelegte Rolle in einem Stück sprechen. Nur, dass dies hier kein Spiel war.

Sie nahm eines der Skalpelle zur Hand und bedeutete ihrem Lehrling die Lampe hoch zu halten.

"Sieh genau hin, Luthor, so schwer es auch ist, du musst lernen..."
Jelena arbeitete schnell und konzentriert, schnitt durch die Muskeln und schließlich die Schichten die das Kind umschlossen. Mit einem Ruck nahm sie das Neugeborene an den Beinen und befreite es aus dem Körper der Mutter. Sie legte das Kind in die Arme einer der Frauen, die sich sofort daran machten es abzurubbeln. Bereits kurz darauf war ein schwaches Quäken zu hören, offenbar war es für das Kind gerade rechtzeitig gewesen.
Jelena nahm Nadel und Faden in die Hand um die Gewebe und Muskeln zusammenzufügen, aber es war zu spät. Ihr Atem war immer flacher geworden und bald darauf ganz verstummt.
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Offline Luthor Kaaen

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #109 am: 29. Okt 08, 21:55 »
Er zwang sich, den Blick auf das Geschehen zu richten, so schwer es auch war, aber als das glühende Metall die Haut, Muskeln und das Fleisch der Frau zerschnitt, um ein neues Leben herauszuziehen, arbeitete sich ein Würgerreiz von tief unten in seinem Magen bis zu seiner Kehle hinauf, was ihm nur knapp gelang, hustend wieder herunterzuzwingen. Er hatte in seiner vergleichsweise zu anderen Völkern kurzen Zeit schon viel gesehen. Klaffende Wunden, schlimme Knochenbrüche und verbrannte Leiber, Menschen,die in ihrem Blut und Erbrochenen lagen und mit keuchender Stimme um ihr Leben bettelten, all das hatte sich im Laufe in sein Gehirn gebrannt und manchmal sah er es nachts. Doch er hatte gelernt, damit halbwegs zu leben.
DIES allerdings war ihm etwas zu viel. Er kniff die Augen zusammen, versuchte regelmäßig zu atmen und lehnte sich dann vor, um eine Hand der Sterbenen zu greifen, ihr über die Stirn zu fahren.
Teils, um ihr in den letzten Momenten des Lebens beizustehen, teils um sich auch etwas von ihrem Anblick zu befreien und sich auf das wächserne Gesicht zu konzentrieren.
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Offline Jelena

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #110 am: 29. Okt 08, 22:09 »
Jelena legte die Nadel beiseite, und blieb einen Augenblick lang einfach nur starr sitzen, während sie versuchte sich zu erinnern, was sie jetzt tun musste.
Sie bat Auranius mit einem Blick um Wasser und wusch sich die Hände und das Gesicht, anschließend den Leib der Frau, die gestorben war um ihr Kind auf die Welt zu bringen.
Sie hüllte sie in eine Decke und bettete ihren Kopf in ihren Schoß. Krächzend und holprig, aber trotz allem melodisch sang sie ihre Seele heim, während sie Luthors Hand hielt.
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Offline Luthor Kaaen

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #111 am: 29. Okt 08, 22:12 »
Luthors Hand krallte sich dabei in die ihre, während sein Blick starr ins Leere gerichtet war. Ihr Gesang drang nicht richtig zu ihm hindurch, er schien sich in sich selbst zurückgezogen zu haben. Gedanken jagten einander so schnell, das er selbst nicht mehr nachkam, aber auch gar nicht das verlangen hatte, dies zu tun.
Er kaute auf der Innenseite seiner Wange..
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Offline Auranius

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #112 am: 29. Okt 08, 22:20 »
Auranius stand bei Jelenas Gesang etwas abseits von ihnen und während sie sich um Luthor kümmerte, entschloß er sich in der nähe des Weges nach einer Stelle für ein Grab umzusehen.
Es war eine Stelle zwischen zwei Bäumen, die ihm passend erschien und so begann er damit für die Frau ein Grab auszuheben.
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Offline Jelena

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #113 am: 29. Okt 08, 22:37 »
Jelena löste sanft ihre Hand aus Luthors Griff und hüllte sich gegen die schneidende Kälte in ihren Mantel und ihre Handschuhe. Die Heilerin sah nicht gut aus. Ihre Haut hatte einen grauen Ton angenommen und ihre Augen glänzten fiebrig.
"Wir haben alles versucht, Luthor. Vielleicht sogar mehr als andere unter diesen Umständen. Wie haben ihr Kind gerettet, auch wenn wir sie nicht retten konnten."
Jelena war kurzatmig geworden und die Wort kamen seltsam abgehackt heraus.
Sie stand auf und machte Platz für die Männer, die Auranius zur Hand gingen und schließlich den Leichnam der jungen Mutter ergriffen und ins Grab trugen.
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Offline Luthor Kaaen

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #114 am: 30. Okt 08, 08:41 »
Luthor stand an ihrer Seite und bemerkte den Wind und die Kälte erst langsam an sich hochkriechen.
Er nickte ihre Worte ab und sah dem in die Decken gewickelten Leib nach, wie er zu der Grube getraten wurde, die das Grab werden würde. Er hob seine von der Kälte tauben Finger zum Gesicht und wischte sich unbeholfen darüber, dabei ließ er langsam die Luft aus den Lungen entweichen.
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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #115 am: 30. Okt 08, 09:38 »
Jelena taumelte mehr als sie ging und ließ sich einige Schritte weiter mit dem Rücken an einem Baum zur Erde gleiten.
Sie nahm ihr Umschlagtuch aus grauer Wolle und ließ sich das Kind reichen, das inzwischen leise wimmerte, während eine der anderen Flüchtlingsfrauen es hin und her wiegte.
Jelena betrachtete den kleinen Jungen, der sie aus großen, blauen Augen ansah, als ob er etwas von dem verstehen würde, was um ihn herum passierte.
"Willkommen, Sretschko, auf dieser Welt und in diesem Leben." begrüßte sie ihn leise. "Glück sollst du heißen, denn es stand an deiner Seite, als du ins Leben kamst."
Sie schlang den Jungen in ihr Tuch und knotete es sich anschließend um die Schultern, so dass das Kind sicher und warm an ihrer Brust ruhte.
Nach kurzer Zeit war Sretschko eingeschlafen und auch Jelenas Augen fielen zu, doch sie griff noch einmal nach Luthors Hand: "Hadere nicht mit Dir und nicht mit den Göttern, Lehrling. Es wird keine Antworten bringen und nur Bitternis in deinem Herzen säen. Es war uns nicht vergönnt beide zu retten. Dies ist die schwerste aller Lehrstunden, die ich dir geben muss. Zu wissen, wann du aufhören musst zu kämpfen und wann du entscheiden musst wer leben wird und wer sterben. Ich wünschte wir hätten mehr Zeit gehabt."
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Offline Luthor Kaaen

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #116 am: 30. Okt 08, 11:49 »
Luthor lehnte in der selben Haltung mit ausgestreckten Beinen neben ihr am Baum und drückte kurz ihre Hand, sein Blick ruhte auf dem aufmerksamen Gesicht des kleinen Jungen.

"Das wünschte ich mir auch ..." Er wollte fragen, ob es dann möglich gewesen wäre, das Leben der jungen Frau zu retten, doch was brachte es in dieser Lage, über Wäre, Könnte und Hätte nachzudenken? Zudem war Jelena fast eingeschlafen. Er fingerte zitternd nach der Ampulle mit Schnaps in seiner Gürteltasche , entkorkte sie und nahm einen bitteren Schluck, ehe er den Kopf nach hinten lehnte und in das dunkle Blätterdach über sie zu sehen.
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Offline Jelena

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #117 am: 30. Okt 08, 14:46 »
Jelena drückte Luthors Hand noch einmal fest, bevor sie sich nach Auranius umsah: "Weck uns wenn der Morgen graut, dann müssen wir es in einem Stück zur Feste schaffen."
Kurze Zeit später war sie eingenickt und hielt den kleinen Jungen sicher im Arm, darauf vertrauend das Auranius sie beschützen würde.
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Offline Luthor Kaaen

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #118 am: 30. Okt 08, 15:50 »
Nach diesem Erlebniss hätte er nicht gedacht, Schlaf finden zu können, doch sein Körper hatte keine Kraft mehr, zu wachen und so fiel auch er nach wenigen Atemzüge in einen traumloses Schlaf.
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Offline Auranius

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Re: Der Treck gen Norden - 2. Teil
« Antwort #119 am: 30. Okt 08, 20:42 »
Wecken wenn der Morgen graut?! Als würde ich im Morgengrauen wach werden, wenn ich nur einmal die Augen schließe.

Nach diesem Gedanken setzte Auranius sich an das Feuer und beschloss die Nacht lieber garnicht zu schlafen. Er wachte die ganze Nacht hindurch und blickte ab und zu, zu Jelena und Luthor herrüber, aber sie waren in einen tiefen Schlaf gefallen. Wenn die Müdigkeit über ihn herrein brach, ging er ein paar Schritte durch das Lager und wechselte ein paar Worte mit dem einen oder anderen  Flüchtling der ebenfalls nicht in den Schlaf fand.

Als der Himmel langsam heller wurde beschloß er die Beiden zu wecken und fasste sie an den Schultern.

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