Am frühen Abend, kurz bevor die Novizen sich auf dem Kampfplatz versammelten, schlenderte Kassos durch die Gänge der Löwenburg. Die Umbauten waren vollendet, alle Bediensteten eingestellt und die Vorratslager aufgefüllt. Das war gut, aber teuer. Nie hätte er sich träumen lassen, dass so etwas mal seine Sorgen sein sollte. Es kam ihm wie gestern vor, als Simon ihn in seinen Dienst genommen hatte und er von einer Stunde zur anderen, sein Kartoffelfeld gegen ein Schlachtfeld tauschen musste. Jetzt saß er regelmäßig mit den anderen beiden Meistern zusammen und redete über Dinge wie die Anzahl der Kornsäcke in den Kammern und die Bezahlung der Kaufläute. Eine ehrliche Schlacht war ihm lieber.
Er dachte an das Rudel und versank in Gedanken. Immer seltener hatte er sie in letzter Zeit gesehen und an ihrer Seite gekämpft. Ihm fehlte das sehr. Er dachte auch an Rania und ihr Gespräch in Uld, als er jäh aus seinen Gedanken gerissen wurde. Ein Schlag hatte ihn in den Rücken getroffen, sein rechter Arm wurde hart nach hinten gerissen und ihm auf den Rücken gedreht. Aus dem Augenwinkel sah er eine Dolchklinge aufblitzen. Er schlang seinen rechten Fuß um die Ferse seines Angreifers und verlagerte sein Gewicht nach hinten. Zusammen stürzten sie zu Boden und Kassos nutzte den Moment der Unachtsamkeit aus, um sich aus dem Griff zu befreien. Nur knapp entging er der Klinge, die auf seinen Hals gezielt hatte. Der Priester rollte sich nach hinten ab und nutzte den Schwung, um wieder auf die Beine zu kommen. Nun sah er seine Gegner zum ersten Mal deutlich. Der Mann der ihn gepackt hatte, war ein echter Hüne und überragte Kassos um gut zwei Handbreit. Der Arm der den Dolch geführt hatte, gehörte zu einer Frau. Sie wirkte auf den ersten Blick klein und zierlich, aber dem geschulten Blick fiel sofort die Haltung auf. Sie war eine Kriegerin, daran bestand kein Zweifel. Sie hatte schwarze Haare und unnatürlich helle Augen, trug ein einfaches Kleid einer Magt und ihre Augen sahen beunruhigend gleichgültig aus. Im Gegensatz zu denen des Mannes. Er trug ein langes Kettenhemd, Arm- und Beinschienen aus Metall und seine Grünen Augen sprühten vor Hass. Sein Kopf war kahl geschoren. Der Mann rappelte sich gerade wieder auf, als die Kämpferin vorschnellte, den Rücken ihres Kumpanen als Absprung nutzte und auf Kassos einstechen wollte. Im letzten Moment änderte sie die Richtung des Stiches und zielte auf Kassos´linken unterschenkel. Der Priester wich einen Schritt nach hinten aus und wollte nach dem Hals seiner Gegnerin greifen, als ihn ein Tritt ins Gesicht traf. Die Frau hatte ihn abgelenkt in dem sie mit dem Dolch tief gezielt hatte und dann ihren Fuß, einem Skorpionstachel gleich, über ihren Rücken gestreckt und zugetreten hatte. Blut lief aus seiner Nase und seine Augen tränten. Wie durch einen Schleier sah er die Frau nachsetzen und ihren riesigen Begleiter mit einem kurzen, aber schweren Knüppel ausholen. Kassos atmete tief ein und rief sich die Lehren des sharak in Erinnerung. Er lenkte den Schlag des Mannes mit einer fließenden Bewegung um. Der Knüppel traf das Handgelenk der Angreiferin und brach es mit einem lauten Krachen. Der Dolch glitt ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Die dunkelhaarige machte einen Satz nach hinten, schrie aber nicht. Sie verzog kurz ihr Gesicht und atmete tief ein und aus, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Der Priester nutzte den Schwung des Angreifers gegen ihn und schleuderte ihn an sich vorbei gegen die Wand. Sofort war Kassos zur Stelle und setzte nach. Mit einem gezielten Schlag gegen die Schläfe, setzte er den Hünen außer Gefächt. Die Frau war unterdessen stehen geblieben und fixierte Kassos. Langsam schritt er auf sie zu und blieb drei Schritte vor ihr stehen. "Was tat ich euch an, dass ich es nicht verdient habe zu einem ehrlichem Kampf gefordert zu werden?", wollte der Priester wissen. Seine Gegnerin tat einen Schritt auf ihn zu. "Mir hast du nichts getan, aber dein Kopf ist eine Menge Gold wert und das gedenke ich mir zu holen.", antwortete sie gelassen. Ihre gebrochene Hand schien sie nicht im geringsten zu stören, oder ihr ihre Selbstsicherheit zu nehmen. "Woher kennst du die Bewegungen des sharak´ta?", fragte Kassos ruhig. Der sharak´ta war eine Form der Kunst des Waffenlosen Kampfes, die auch Kassos beherrschte. Die Kunst zu atmen und zu kämpfen war eine uralte Art des Kampfes und sehr selten. Die Form des sharak, die man den Frauen aufgrund ihrer geringeren Kraft, aber geschickteren Bewegungen beigebracht hatte, der sharak´ta, war sogar noch seltener. Seine Gegnerin beantwortete die Frage mit einem Lächeln, zog in einer fließenden Bewegung ein Wurfmesser und warf. Sie traf Kassos in die linke Schulter und als das Messer sich in sein Fleisch bohrte, war auch sie heran. Mit einem harten Schlag auf die Brust des Priesters, nahm sie ihm den Atem. Sie zog ihren linken Arm an und wollte ihren Ellbogen von unten auf Kassos´Kinn krachen lassen. Der Nord-Caldrier erkannte ihre Absicht und bog seinen Oberkörper nach hinten und entging so dem Treffer. Gleichzeitig schnellte seine rechte vor und schlug der Frau hart auf das linke Schultergelenk. Ihr Arm sackte ab und hing nun nutzlos an ihrer Seite herab. Sofort setzte Kassos nach und traf die Kopfjägerin mit einem schweren Fausthieb an den Kopf. Die Frau sackte zu Boden und blieb liegen.
"Ich weiß nicht wie das geschehen konnte", sagte Argos zornig, "sie war in der Küche angestellt und verhielt sich sehr unauffällig seit sie hier ist. Er hat sich als Laien Bruder dem Orden angeschlossen. Wir haben beide in den Kerker gebracht. Soll ich einen Heiler kommen lassen?" Kassos saß auf einem großen Sessel in seinem Arbeitszimmer und hielt sich die Seite. Nach dem Kampf hatte er die beiden in Ketten legen und ihre Wunden versorgen lassen. "Nein, richte einfach meine Rippe und lass mir ein bisschen Ruhe." Argos kam auf ihn zu legte ansatzlos seine rechte Hand auf Kassos´seite und die andere an seine Brust. Knirschend bewegte sich der Knochen in die richtige Position. "Was machen wir mit ihnen?", wollte Argos wissen. Der Ordensmeister dachte lange nach, bevor er antwortete. "Bringt die Frau nach Engonia zum Tempel des Alamar und klagt sie an. Der Kerl bleibt hier und wird in vier Tagen gegen mich antreten, wenn der Vollmond hoch steht. Als er abgeführt wurde, hat er mich gefordert und ich werde ihm seine Bitte gewähren. Bis dahin behandelt ihn wie einen Krieger und sorgt dafür, dass er bei Kräften bleibt. Ich will ihn nicht schwach und hungernd bekämpfen." Langsam langte er nach einem Kelch mit Wein und nahm einen tiefen Schluck. "Und schau mich nicht mit diesem Blick an", sagte Kassos grinsend, "ich werde keine Leibwächter mit mir nehmen, wenn ich zum Donnerbalken gehe, oder sonst wo hin. Und jetzt geh, du wirst heute das Gebet vor den Übungen sprechen." Argos verbeugte sich leicht und verließ kopfschüttelnd den Raum, was Kassos ein weiteres Grinsen entlockte.
Später am Abend stand der einstige Bauer auf dem Turm und beobachtete die Übungen. Er trug eine einfache Robe in Tiors Farben, sein Speer lehnte an der Zinne. Die Brüder und Schwestern des Ordens hatten zusammen gefunden und ihr Umgang miteinander war viel vertrauter geworden. Sie arbeiteten zusammen und brauchten nicht mehr viele Worte der Anweisung. Die neuen wurden von den erfahreneren mitgezogen und angewiesen. Natürlich gab es hier und da mal reibereien, aber das blieb unter Kriegern nun mal nicht aus. Wo das Blut kocht, gibt es eben schon mal eine gebrochene Nase. Plötzlich wehte ihm ein heißer Wind ins Gesicht. Auch wenn es bald Sommer werden würde, war das sehr ungewöhnlich. Doch Kassos spührte genau was vor sich ging, wer ihn zu sprechen wünschte. In einer fließenden Bewegung drehte er sich um und sank auf ein Knie. Seine Augen auf den Boden gerichtet. "Erhebe dich Kassos und blicke mir in die Augen", sprach eine tiefe, gutturale Stimme ihn an. Der Priester tat wie ihm geheißen und erhob sich. Als er seinen Kopf hob, blickte er in die Tiefen, gelben Augen eines fast pferdegroßen Wolfes. "Tior, Herr des Krieges und der Flammen, du ehrst mich mit deinem Erscheinen", sprach Kassos voller Demut. Der riesige Wolf fixierte den Blick des Priesters. Er schwieg eine geraume Weile, bis er erneut zu Kassos sprach. "Du hast viel erreicht und kannst stolz auf diese Krieger sein, wie ich es bin. Deine Prüfungen gehen weiter, Speerträger. Du hast fast alle deiner Aufgaben gemeistert und nur noch eine liegt vor dir, um dich zu beweisen. Du wurdest hart geprüft, härter als andere in meinen Diensten und dir ist bewusst aus welchem Grund. Doch nun nähert sich deine Prüfung dem Ende und ich bin zufrieden mit dir. Als Vorbereitung für deine letzte Aufgabe benötigst du folgendes: Das Blut deines Rudels, zum Zeichen des Vertrauens und der Verbindung. Das Blut eines Wesens, das freiwillig dem Bösen folgt und von dir erlegt wurde, als Symbol für die Große Jagt. Und dein Blut, von einem Feind im ehlichem Kampf vergossen, als Symbol für Demut. Du hast meinen Segen und mein Vertrauen Kassos, entäusche mich nicht." Flammen loderten empor und der Wolf war verschwunden. Als der Priester sich erhob blickte er auf den Platz, doch niemand schien gesehen zu haben, was hier gerade geschehen war. Er nahm seinen Speer zur hand und erhob ihn. "Brüder und Schwestern" rief Kassos und seine Stimme hallte von den Mauern wieder als er sprach, "Tior sieht mit Stolz auf euch und das, was wir geschaffen haben. Er erschien mir, hier auf diesem Turm und sprach zu mir. Er selbst sprach zu mir von Ehre und Stärke und ihr besitzt diese Geschenke unseres Gottes. Ich bin ebenso stolz und voll des Vertrauens, in jeden von euch. Heute Abend werden wir trinken und feiern. Jeder soll in der heutigen Nacht Blut und Met opfern und Tior für sein Vertrauen danken. Für Tior!" Kassos rief den Namen seines Gottes voller Inbrunst und seine Stimme rollte wie Donner über den Platz. "Tior", wurde sein Ruf von den Brüdern und Schwestern aufgenommen. Kassos beobachtete wie die Übungen weiter gingen und schließlich endeten. Er blickte empor zum voller werdenden Mond. "Danke Tior, für dein Vertrauen und meine Aufgabe. Ich werde dich nicht entäuschen, oder sterben." Noch eine Weile stand er so da, bevor er sich auf den Weg zum Speisesaal machte. Jetzt war die Zeit gekommen den Kriegern in Tiors Hallen zu zeigen, dass er und seine Krieger ihnen in nichts nach standen.