Nachdem die Gefährten sich um ihre Tiere gekümmert hatten, richteten sich alle auf eine schlaflose Nacht ein. Gegen Abend lud Damian zum Abendgebet ein, insbesondere Stella.
Etwas abseits richtete er erst eine kurze Bitte an Alamar, dann schlug er eine bestimmte Seite auf und begann eine Geschichte:
"Es begab sich, dass Nelor in Uld haltmachte, einer immer von düsteren Schatten durchzogenen Stadt. Und während er dort den Namen Alamars verbreitete, kam ihm zu Ohren, dass einige junge Frauen verschwunden waren. Ihre Spuren hatte man bis zum finsteren Herzen Szivars, dem Wald von Arden, verfolgt.
Nelor wusste, alleine würde ihn der Wald verschlucken und nie wieder freigeben. Darum verwandte er viele Stunden darauf, andere engonische Priester zu suchen und sie zu überzeugen, ihn zu begleiten. Eine ältere Laviniapriesterin fand sich schnell, auch ein alter, narbenüberströmter Asket Tiors, der mit der Aussicht auf Kampf mitkam, war bald gefunden. Schwieriger war es, eine junge, andarrianische Nadurianovizin zum Mitkommen zu überzeugen, aber die Aussicht, einmal einen der berühmtesten Wälder Engoniens zu sehen, zog sie mit. Zuletzt konnte Nelor noch einen erfahrenen Magier und Ainepriester rekrutieren, der dafür verlangte, alle eventuell gefundenen Schriften zu behalten.
Diese Schar zog nun gen Westen und gegen Mittag erreichten sie die Grenze des Waldes. Alle fünf Priester fingen an, nach einem Zugang zu suchen, aber die nächsten Stunden sollte ihnen kein Glück beschert sein. Kurz vor der Abenddämmerung trafen sie dann auf eine zerlumpte Gestalt, die ebenfalls am Rand des Waldes umherstreifte. Als sie ihn befragten, was er denn hier wollte, antwortete er: "Hochverehrteste Damen und Herren, Magnifizienzen! Obwohl sicherlich mein Verhalten eine gewisse Verdächtigkeit besitzt, möchte ich darauf hinweisen, dass ihr weder Ulder Stadtbeamte noch Reichsgardisten seid. Daher sei nur soviel gesagt: Mein Interesse ist gänzlich darin, den schändlichen Verbrechern, die eine Schar junger Mädchen entführt haben, den Garaus zu machen." Nelor spürte in seinem Innersten, dass dieser Gestalt nicht zu vertrauen war, aber trotzdem bot er ihm seine Hilfe an. Der Mann, der sich als Rodanus vorstellte, führte sie dann zu einer Lücke, die nahezu unsichtbar ihren Blicken entgangen war und führte sie in den Wald.
Schlagartig schien es, als ob die Sonne untergegangen war. Kein Laut eines bekannten Tieres war zu hören und sogar der kampfeswütige Asket Tiors schien nervös zu sein. In unheimlicher Stille streifte die so ungleiche Schar durch den Wald, es schienen Stunden zu vergehen. Zu diversen Zeiten betete der eine oder andere Priester und die Anderen versammelten sich immer um den Betenden und senkten ihre Köpfe in Ehrfurcht vor den Göttern. Schliesslich fanden sie eine dunkle Behausung, wie aus Schatten gebaut. Um diese herum streiften merkwürdig aussehende Wächter, die Tierköpfe hatten und lange, gefährlich aussehende Speere in den Händen hielten.
Alle Priester und auch Rodanus knieten nieder und entwarfen flüsternd einen kurzen Plan. Nelor und alte Tiorsasket würden vorstürmen und mit der Macht ihrer Götter und ihrer Arme die Feinde niedermähen. Die Geliebte Lavinias sollte bei ihnen bleiben, um im Zweifelsfalle ihnen zu helfen und sie zu heilen. Währenddessen sollte die junge andarrianische Novizin und der Magier sich an dem Tumult vorbeischleichen und die gefangenen Frauen zu befreien. Rodanus meldete sich, um diesen zu helfen, da er im direkten Kampf nichts beitragen könne.
Der Kampf lief ab wie von der Götter Hand geleitet. Die Tiermenschen fielen vor den gewaltigen Streichen des Tiorsasketen und dem hellen Aufblitzen der geweihten Klinge Nelors. Einmal eilte die Geliebte Lavinias noch vorne und heilte den verwundeten Asketen, der dies nur zuliess, weil er seine Eingeweide in der Hand hielt.
Nach einer Zeitspanne, die allen Dreien wie Stunden vorkamen, kamen ihre beiden Gefährten mit drei wüst mit Blut beschmierten jungen Mädchen zurück. Als sie fliehen wollten, erstarrten ihre Gegner plötzlich und wie ein Mann drehten sie sich zu dem Haus. Das Fenster, das den Priestern zugewandt war, flog auf und Rodanus, nicht mehr in Lumpen, sondern in einer reich mit blutroten Stickereien verzierten und mit glitzernden Obsidiansteinen geschmückten samtschwarzen Robe gekleidet, erschien. "Vielen Dank, 'Gefährten'. Der Herr dieses Hauses war mein Vater, der mich aus seinem Hause herausgeworfen hat, weil ich ihm nicht treu genug unserem Herrn Szivar war. Nun, diese Treue habe ich bewiesen, ich habe eine Gemeinschaft von engonischen Priestern benutzt, um ihn zu töten und ihm die Kontrolle über sein Haus zu entringen. Doch niemand soll sagen, dass ich undankbar bin. Ihr könnt eure Trophäe nehmen und die jungen Mädchen retten, ich öffne euch sogar einen Weg aus diesem Wald. Doch damit ist unsere Schuld beglichen!" Hinter den Gefährten knarrten die Bäume und bewegten sich zur Seite und auch die Tiermenschen wichen vorsichtig zurück. In Nelor brannte heiss das Feuer der Wut und am liebsten hätte er eigenhändig den gesamten Bau niedergerissen, doch er wusste, dass würde ihren neuen Schützlingen das Leben kosten. Also führte er seine kleine Schar in den Waldweg.
Nur der Asket Tiors blieb stehen. Und ohne ein weiteres Wort drehte er sich zu den Tiermenschen um und rannte mit einem gewaltigen, markerschütterndem Schrei auf diese zu. Kurz bevor er sie erreichte, fing seine Klinge an zu brennen und um ihn bildete sich ein feuriger Schatten, der an einen Wolf gemahnt. Wieder und wieder schlug er zu und viele der Wächter fielen vor ihm, doch schon beschwörte Rodanus dunkles Feuer, das aus seinen Händen schoss und den alten Mann umschlung und das schützende Feuer erstickte. So endete das Leben dieses Asketen, doch er hatte jedweden zu befürchtenden Verrat an seinen Gefährten verhindert und war mit Tiors Namen auf den Lippen im Kampfe gestorben.
Kaum hatten sie den Wald verlassen, als sich der Wald hinter ihnen schloss und auch den wütenden Schlägen Nelors standhielt. Es blieb ihnen nichts, ausser zurück nach Uld zu reisen und die jungen Frauen ihren Familien zu übergeben."
Kurz hielt er inne, wie um Luft zu holen und sprach dann das Abendgebet:
"Die Welt geht zur Ruhe und das Antlitz unseres Herrn Alamar versinkt hinter dem Horizont. Doch seine Macht schwindet nicht in der Welt, in der drohenden Dunkelheit wird sie nur stärker. Nun ist die Zeit des lichtscheuen Gesindels, aus den dunklen Verstecken hervorzukriechen und seine Untaten zu vollbringen. Nun ist die Zeit der finstren Taten, welche dein Licht scheuen. Nun ist die Zeit für deine Streiter gekommen! Stärke den Arm deiner Kämpfer, auf dass sie allem Bösen, ob von Mensch oder Szivar, ob durch Waffe oder Zauber, Gift oder Verrat, widerstehen können! Gib uns die Kraft, der beginnenden Nacht erhobenen Kopfes entgegenzutreten und dein Licht in die Dunkelheit zu tragen!
Alamar in der Höhe, erhöre mich!
Alamar in der Höhe, erhöre mich!
Alamar in der Höhe, erhöre mich!"
Stella nickte er zu und dann sagte er zu denen, die teilgenommen hatten: "Wenn ihr wünscht, segne ich euch nun noch im Namen Alamars, bevor wir losziehen." Das Angebot machte er dann bei allen wahr, die zu ihm kamen.
Danach ging er zurück zum Pferd und zog sich eine dunkelrote Tunika, seinen Gambeson und ein altes rotes Barrett an, bevor er wieder sein Schwert umgürtete und sich sein Amulett anzog. Alles Andere ließ er beim Pferd zurück und wandte sich dann wieder an die Gefährten. "Wegen mir können wir los."