Mina erwachte vom ersten Vogelgezwitscher... Es war diese Stunde kurz vor dem Sonnenaufgang, wenn die Vögel im Dämmerlicht den neuen Tag ankündigen.
„Es ist definitiv Frühling“ dachte sie. Es war kurz vor Wintereinbruch gewesen, als sie von zu Hause aufgebrochen war. Einem „zu Hause“, das ihr so fremd geworden war und an das sie merkwürdigerweise kaum noch einen Gedanken verschwendet hatte. Vermutlich lag in den Bergen immer noch Schnee, nur an den kürzeren Nächten und lauen Momenten in der Mittagssonne würde man merken, dass es nicht mehr lange bis zur Schneeschmelze dauern würde. Mina drehte sich noch einmal um. Wer weiß, wann sie das nächste Mal in einem Bett schlafen würde. Das Kloster erwachte so langsam zum Leben. Sie hörte Töpfe klappern und eilige Schritte draußen auf dem Pflaster. Schließlich begannen die Glocken zum Morgengebet zu rufen.
Mina dachte an die Gespräche gestern. An den Streit zwischen Lorainne und Benjen... beim Gedanken an die beiden musste Mina lächeln. Irgendwie erinnerten die beiden sie an ihren Stallburschen zu Haus und die Magd vom Nachbarhof... ständig hatten sie sich lautstark in der Wolle, doch die Blicke sprachen Bände... Aber das ging sie nichts an.
Was sie wohl anging, war die Tatsache, dass sie sich einer kleinen Truppe Verschworener angeschlossen hatte, auf die eine schwierige, gefährlich Aufgabe wartete, die vermutlich nicht ohne Opfer zu lösen war. Mina verstand von Politik sehr wenig und wusste auch nicht, ob ihre Sache vor dem Gesetz überhaupt gerecht war. Für sie ging es im Moment rein um Intuition. Und im Moment fühlte es sich richtig an, hier zu bleiben. Mina hatte keinen Vertrag, wie die Äxte, war nicht durch einen Eid gebunden, daher fühlte sie sich frei, jeder Zeit zu sagen: es reicht! Und dieser Zeitpunkt war bis jetzt noch nicht gekommen.
Mina kleidete sich an und machte sich auf, endlich nach der Wäsche zu sehen, wie sie sich schon seit gestern vorgenommen hatte. Als sie über den Hof zum Waschhaus ging, kam sie an Benjen und Beorn vorbei, die in der Morgensonne übten. Lorainne saß dabei und genoss offensichtlich die Wärme auf der Haut, während Vanion und Anders vom Friedhof her kamen und trotzdem - irgendwie unbeschwert wirkten. Mina atmete tief durch. Zum ersten Mal seit Wochen spürte sie keinerlei Spannungen und ging beschwingten Schrittes weiter, um im Waschhaus ihre Sachen zusammenzutragen.