Rikhard drückte das Schreiben an die Brust. Einerseits war er sehr glücklich, aber andererseits - die Insel der Stürme! Die Tage, die er dort verbracht hatte, waren schlimm gewesen. Nicht nur, dass er zuviel getrunken hatte und die Kontrolle über sich selbst verloren hatte, nein - einer dieser ungewaschenen Seeräuber, der sich im selben Raum wie er aufgehalten hatte, war im Streit von seinen hinterhältigen Kameraden erstochen worden.
Seine Hand zitterte, als er an diesen Moment zurück dachte. Fahrig griff er nach einer Flasche Wein und goss sich einen Kelch ein. Aber anstatt davon zu trinken, drehte er das feine Glas in seiner Hand hin und her. Sina kam also von dort, so schien es. Mit der freien Hand angelte er den Brief vom Tisch und hielt sich die rote, duftende Tinte nah vor seine Augen. Es war nicht zu erraten, ob sie von dort kam oder ob sie sich lediglich oft dort aufhielt. Nun, ganz gleich, auf diese Insel würde ihn nicht einmal ein Auftrag des Kanzlers führen. Aber Sina ... ?
Der Magier seufzte tief. Nun nahm er doch einen tiefen Schluck aus dem Glas, und er schloss die Augen. Die Erinnerung war sofort wieder da. Die Fackeln an den Wänden schwärzten den Stein mit ihrem Feuer, wo sie offen lodern konnten. Die seltsamen, magischen Laternen warfen ihr Licht vielfach zurück, und dieser seltsame Thron, der in der Ecke stand ... ja, diese Taverne war einzigartig gewesen. Nach und nach füllte sich der Raum: immer dort, wo Rikhard seine Gedanken hin wandte, erschienen die Personen auf ihren Plätzen, die damals anwesend gewesen waren. Noch einmal sah Rikhard, wie aus der Rauferei, die an und für sich schon abstoßend genug wurde, blutiger Ernst wurde. Das Messer blitzte im Feuerschein, dann quoll dunkles Blut aus der Wunde, über die Hand des Seefahrers, dessen Augen schreckensweit ins Leere blickten. Die salzigen Tränen der blutjungen Frau, die ebenso wie er mit Entermesser und Hut bewehrt gewesen war, und ihr Blick, der sich in seine Augen bohrte.
Du bist Magier! Tu irgendwas!Heilmagie war noch nie seine Stärke gewesen. Der nächste Morgen hatte Rikhard auf ein Schiff geführt, und die
Rückkehr nach Engonien hatte kaum Gutes mit sich gebracht - außer Adara.
Adara! Sie hatte lang genug auf der Insel der Stürme gelebt, und sie würde ihm bestimmt etwas Kluges raten können. Sie lebte auf einem der Höfe im Umland von Fanada, und obwohl die Tage zu dieser Jahreszeit kurz waren und es schon dunkelte, machte Rikhard sich auf den Weg.
Mit einem warmen Mantel angetan und mit einer dicken Pechfackel bewehrt, damit er außerhalb der Stadtmauern ein wenig mehr Licht hatte, schritt der Magier durch die Gassen Fanadas. Es hatte geschneit, und der Schnee sorgte für Ruhe. In den größeren Straßen war der Schnee dem Matsch gewichen, und obwohl die Stadtverwaltung sich redlich Mühe gab, die Straßen trocken zu legen, hatten sie doch gegen den winterlichen Arm Nadurias nicht die Oberhand behalten können. Sorgsam hatte Rikhard seine Robe gerafft, und den größten Schlammpfützen wich er aus. Grade wollte er in die Weberstraße einbiegen, von wo es nicht mehr weit bis zum Südtor der Stadt war, als er von hinten hastige Schritte hörte. Er drehte sich um und machte einen Schritt in eine nahe Gasse hinein, um den Gestalten, die da angerannt kamen, Platz zu machen.
Viel zu spät erkannte er, dass die drei, nein, vier Männer, die dort kamen, nicht an ihm vorbei wollten - sondern dass er ihr Ziel war. Kaum waren sie bei ihm, entrissen sie ihm die Fackel, die im Schneematsch sofort verlöschte. Ein Schlag traf ihn in die Magengrube, dass ihm die Luft wegblieb, und Arme, viel stärker als er, drängten ihn in die Gasse. Ein Tritt brachte ihn auf die Knie, und dann trafen ihn zwei, drei, vier Schläge mitten ins Gesicht. Mit einem brutalen Knirschen brach seine Nase. Als die Angreifer erkannten, dass das einzige, was den Magier aufrecht hielt, sie selbst waren, ließen sie ihn los und suchten das Weite.
Rikhard fiel vornüber in den eiskalten Matsch.