15. Tag des 8. Mondes 266 n.J.
Der Rückweg zum Familiensitz der Norngarder - so man bei diesem im Morast versinkenden Gemäuer von einem Familiensitz sprechen konnte - war trotz des sommerlichen Wetters und der damit gut bereisbaren Straße ungewöhnlich anstrengend. Tannjew war froh auf dem Rücke eines Pferdes sitzen zu können, aber da ihm regelmäßig schwarz vor Augen wurde hielt er sich dennoch krampfhaft an den Zügeln fest.
Er hatte sich redlich bemüht sich bei allen zu bedanken, denen er seine Rettung zu verdanken hatte. Neben seinen Norngardern und den Freunden aus Argeste waren zwar viele Bekannte Gesichter unter den Helden dabei gewesen, doch auch die unbekannten Gesichter hatten den Erzählungen nach Kopf und Kragen riskiert, um sein Leben zu retten. Es erfüllte ihn mit Scham, dass er seinen Dank nicht mit mehr als bloß guten Worten zu zeigen vermochte. Walters Andeutungen zufolge hatten sich die Finanzen in Tannjews Abwesenheit eher schneller als langsamer in einen kritischen Bereich bewegt. Kaum war man eine Sorge los tauchten den abgeschlagenen Köpfen einer Hydra gleich die nächsten auf. Zumindest hatte er bereits eine Idee, wie er seinem Gefolge eine Freude bereiten konnte. Varya, Marie und Herbrand sollten die Gelegenheit erhalten Feierlichkeiten an einem Adelshofe zu erleben - auf einer richtigen Burg und nicht so einer Ruine wie Norngard.
Als er an seine Gefolgsleute dachte fragte er sich, was die Hexe Isiria für Lügen über ihn verbreitet hatte. Oder welche Wahrheiten, die wie Lügen klangen. Keiner hatte es bisher gewagt ihm Details zu nennen, alle betonten nur, dass die Hexe Lügen erzählt habe und man keinem der Worte Glauben schenken durfte. Allerdings war ihm am gestrigen Abend, als sie am Lagerfeuer saßen, aufgefallen, dass Marie ihn mit einem seltsamen Blick musterte, als er sie nach den Worten der Hexe gefragt hatte. Was auch immer Isiria erzählt hatte nagte scheinbar an Marie. Tannjew schüttelte den Kopf. Womöglich bildete er sich das auch nur ein, schließlich hatten sie alle viel Schreckliches erlebt.
Kadegar schien sehr zufrieden mit sich zu sein. Das konnte er auch, denn nach all den Monaten, in denen Tannjews Lage aussichtslos erschien, hatte Kadegar scheinbar wie aus dem Nichts eine so einfache wie geniale Lösung gefunden. Er war augenscheinlich wirklich so gut, wie alle behaupteten.
Es hatte Tannjew ehrlich verwundert, dass die Baronin von Goldbach den Waibel ihrer Garde zur Hilfe geschickt hat. Er vermutete, wahrscheinlich zu Recht, dass er im Imperium nicht wohl gelitten war, seit dem er das Angebot der Imperatoren ausgeschlagen hatte. Und da die Baronin sich damals für Tannjew persönlich eingesetzt hatte galt das in besonderem Maße für die Baronin. Wollte die Baronin damit erreichen, dass er noch tiefer in ihrer Schuld steckte? Er nahm sich vor mit dem Waibel zu reden, vielleicht ließe sich so mehr herausfinden.
Doch zuvor wandte er sich an Walter von Sangenwalde mit der Bitte, dass ihm dieser nochmal aus seiner Sicht die Ereignisse der letzten beiden Tage schilderte. Insbesondere die Zusammenstöße mit den Männern des Barons von Salmar, Tannjews Lehnsherren, bedurften seiner besonderen Aufmerksamkeit.