Später an demselben Abend
Drakonia öffnete ihre Augen und sah sich um. Es war dunkel, viel zu dunkel für ein Zimmer mit Fenstern. Obwohl ihre Art nachtsaktiv war, fand sie das verwirrend. Es war keine bekannte Dunkelheit. Keine normale Nacht, aber auch keine im Nebel schwimmende Dimension wie diese, in der sie die komische Frau, die mit ihr über die Verlobung mit Arkatosh geredet hatte, gesehen hatte. Es fühlte sich anders hier, als gäbe es keine Zeit...
Sie stand vorsichtig auf und merkte erst jetzt, dass sie alleine war. Als sie aufrecht stand, sah sie vor sich den Rahmen einer Tür - leuchtend, als wäre etwas dahinter. Langsam ging sie in die Richtung und hörte sich um, aber dahinter war nichts zu hören. Drakonia streckte ihre Hand zu der Tür, fasste sie aber nicht an, sondern wand sich um - wie sie erwartet hatte, war das Bett nicht mehr da oder war in der Dunkelheit gesunken. In ihrem Wahsinn konnte sie Realität von Träumen fast nicht unterscheiden und die Tränke, die ihr halfen, die Kontrolle nicht zu verlieren, konnten dafür nichts machen. Das logische Denken sagte ihr aber, dass das hier nicht real sein konnte - sie war in einem Zimmer eingeschlafen, wo ein Feuer in der Kamin brannte und das Fenster sich links vom Bett befand, außerdem schlief Arkatosh neben ihr. Dieser Raum hier war völlig dunkel, es gab weder Fenster, noch Kamin, und ihr Verlobter war nicht da. Sie sollte sich also in einem Traum befinden.
Sie versuchte die Tür magisch zu analysieren, konnte aber keine Magie einsetzen, genauso wie man in einem Traum nicht schreien konnte. Es blieb also keine andere Wahl, als sie aufzumachen. Langsam spürte sie eine bekannte Energie dahinter, die sie seit sehr langer Zeit nicht mehr gespürt hatte.
Die Tür brauchte nur eine leichte Berührung, um aufgemacht zu werden. Drakonia bereitete sich für alles, dass sie dahinter erwarten konnte und war trotzdem überrascht. Es war keine Dämonenhöhle und keine Folterraum. Es war die Arbeitsstube eines Magiers. Der Raum war irgendwie warm und beleuchtet vom Feuer in der Kamin und ein paar Kerzen. Der Magier saß an seinem Schreibtisch und lies etwas. Er bewegte sich nicht, die langen weißen Haaren fielen wie Vorhänge um sein Gesicht und seine langen, spitzen Ohren zitterten ganz leich, fast unbemerkbar hin und wieder, was bedeutete, dass er wuste, dass er nicht alleine im Zimmer war. Die Robe, die er trug, war in dunkelblau und dunkelgrau, mit silbernen und schwarzen Runen, die drauf verziert waren. Sie kannte ihn viel zu gut.
''Großvater?''
Magister Vermillion Aladrin, Erzmagier von Vardara, hob seinen Kopf und wand sich zu ihr. Seinen strengen Blick hatte sie beinahe vergessen und fühlte sich plötzlich wieder wie ein Kind, dass Mist gebaut hatte.
''Verminaar. Hast ziemlich lange gebraucht, um ins Zimmer zu kommen. Würdest du die Tür bitte zumachen, ich habe dir tausendmal gesagt, dass sie stets geschlossen bleiben soll.''
Sie wand sich und schloss die Tür ganz schnell - plötzlich hatte sie wieder Angst, ihm zu widerstehen oder seine Befehle nicht schnell genug zu erfüllen.
''Du bist nicht mehr am Leben.''
''Nur weil ich keine physische Form mehr besitze, heißt es lange nicht, dass ich
auf dich nicht aufpassen kann.''
''Wohnst du etwa im Buch? Wie Magister Flammbart quasi?''
''Tja, dein Lehrer ist kreativ. Nein, ich wohne nicht im Buch. Das heißt allerdings nicht, dass du das Buch lesen darfst - wann du davon lernen darfst, entscheide ich. Mein Geist ist ungebunden, da meine Reste noch bei meinem Tod verbrannt wurden, was mir eine relative Bewegungsfreiheit gibt. Ich wandere dort, wo meine Familie ist, und du bist die einzige, die noch lebt. Keine Sorge, ich werde deinen Körper nicht besitzen. Ich habe nicht vor, zum zweiten Mal zu sterben. Meine Pläne gehen in eine andere Richtung.''
Drakonia schnaubte.
''Du hast mich hier geschleppt, nicht wahr? Wenn das ein normaler Traum wäre, würdest du nichts erzählen, dass Sinn macht. Was willst du von mir?''
Der Magister warf ihr einen warnenden Blick. Er war nicht für seine Geduld bekannt, sie aber auch nicht für ihr Respekt mächtigeren Magiern gegenüber.
''Sei nicht zu frech. Für solches Reden schmieß ich einmal Leute raus. Lern endlich mal, dich zu benehmen. Nimm bitte Platz.''
Drakonia blieb stehen.
''Hast auf meine Frage keine Antwort gegeben und was du sagst habe ich viel zu oft gehört, es macht mir keine Angst mehr. Warum bin ich hier?''
''Bist genau deswegen hier. Denkst du, dass ich nicht mitbekomme, was du alles treibst? Ich wundere mich wie du immer noch lebst und frei rumlaufen darfst. Stärkere als dich Magier respektlos zu behandeln kann mit Selbstmordversuch grenzen, je nach der Laune des Magiers, mit dem du dich anlegst. Und es war nicht nur das Magiertreffen im späten Sommer. Mir scheint, dass du deine Arroganz nur so lange verbergen kannst, bis jemand etwas sagt, womit du nicht einverstanden bist. Und dabei vergisst du gerne, dass du gar nicht so schwer hinzurichten bist.''
Bei seinen Worten spürte Drakonia, wie die Energie von ihrem Kristall kaum bemerkbar schwächer wurde, aber dennoch genug, um sie etwa schwindlich zu machen. Sie sollte sich am Rand des Schreibtisches ablenken, um nicht hinzufallen.
''Du verfluchter...''
''Na, würdest du jetzt bitte Platz nehmen?'' seine Stimme war komplett ruhig. Er redete nie laut, trotzdem hörten alle zu, wenn er was sagte und befürchteten teilweise seine Worten. ''Verfluchter was?''
Drakonia brüllte was unverständliches und Hass funkelte in ihren Augen, als sie seinen Blick traf.
''Wenn du so was noch einmal machst...''
''Dann was? Geschwächt bist du hilfslos. Stell dir vor was passieren würde, wenn du einen Magier so viel ärgerst, dass er dein Kristall völlig ausschaltet oder sogar zerstört? Hast du eigentlich eine Anhnung wie schwach du ohne das Ding geworden bist? Setz dich hin und hör zu, Kindchen.''
Die junge Magierin hatte keine andere Wahl, als sich auf einen Stuhl zu setzen. Inzwischen fließ die Energie vom Kristall wieder normal, dennoch hatte Drakonia Angst, dass ihr Großvater das wiederholen würde. Ihm war zu gut bekannt wie sehr sie ihre Schwäche hasste und dass sie sich durch den Kristall kontrolieren ließ.
''So schwer ist es also nicht, einmal auf Wort zu hören, na? Dein Schädel ist so dick wie der von meinem Sohn. Arvenas hat mir auch ziemlich viele Kopfschmerzen bereitet, aber du brichst seine Rekorden.''
''Tja, mein Vater war kein Magier. Dich so viel ärgern konnte er nicht. Irgendwie hast du ihn für nutzlos für deine Zwecke gehalten, bei mir ist es nun aber anders, nicht wahr?''
Sie dachte ihr Großvater würde lächeln, sein Gesicht blieb aber ausdruckslos.
''Dass ich Pläne für dich habe ist der einzige Grund warum ich als Geist immer in der Nähe von dir wandere. Dafür habe ich dir Lernmaterial vorbereitet. Allerdings bin ich mit deinen Leistungen bisher eher unzufrieden. Um mich klar zu machen: statt dich in jede Gefahr zu stürzen, würde ich dich raten, dich vorher auskünftig zu erkundigen, was dich erwartet, denn mit Improvisieren wirst du nicht besonders weit gehen. Eine Stunde Recherchen kann dir Wochen im Lazaret nach irgendeinem Kampf sparen. Gar nicht zu erwähnen, dass ein Magier, der versteht, wovon er redet, viel besser von Unmagiern akzeptiert wird, als einer, der keine Ahnung hat, was er tut. Und für dein eigenes Wohlbefinden hoffe ich, das etwas in deinem Kopf bleibt. Nun - weil ich dich nicht zu lange hier halten kann, ohne dich durch die Magie zu töten - zum eigentlichen Thema. Du sollst eine Klinge erschaffen.''
''Bitte, WAS?'' So was hatte Drakonia nicht erwartet und fragte sich ob ihr Großvater noch alle Tassen im Schrank hatte. Streng genommen hatte er aber keinen Schrank und sie vermutete, dass auch die Tassen längst nicht mehr vorhanden waren. ''Wie stellst du dir das vor? Ich bin kein Schmied. Und wenn ich fragen darf, warum soll ich das tun?''
''Weil ich es sage. Und weil du lernen willst. Damit ich dir was beibringe, sollst du auch was entgegen tun, findest du nicht? Für den, was ich als Unterricht vorhabe, finde ich die Aufgabe ganz ermessen. Und nein, du darfst nicht protestieren. Ich bin viel weniger geduldig als deine Lehrer.''
Ihre Finger umhüllten unbewusst ihren Kristall. Ihre Schwäche war ihrem Großvater bekannt. Er konnte diese nutzen und Drakonia wusste, dass er das tun würde. Sein Ehrgeiz kannte keine Grenzen und schließlich war er ein Mondelf - grausam und stur, viel mehr als sie. Sie war nach ihm benannt - obwohl sie ihren elfischen Namen fast nie nutzte, weil er sich als eine linguistische Herausforderung für die meisten Ansprechspartner zeigte - aber sie wusste, dass sie nur ein dünnes Schatten von ihm war. Magister Vermillion Aladrin war arrogant, hochnäsig, rechthaberisch und obergescheit, aber vor allem - viel mächtiger als sie. Und nur dass er tot war, bedeutete nicht, dass er ungefährlicher geworden war. Dass er keine physische Form haben wollte war ein Vorteil, hieß aber gar nicht, dass er leichter zu bekämpfen war.
''Du hast keine Endfrist, aber je schneller du fertig bist, desto früher wirst du unterrichtet werden können. Eine Aufgabe nicht zu schaffen steht nicht unter deinen Alternativen. Bin ich klar gewesen?''
Drakonia nickte und ihr Großvater winkte schnell zu den Kerzen, die eine nach der anderen erlöschten, bis das Zimmer in voller Dunkelheit versank. Drakonia spürte, dass sie langsam in Panik gerät. Sie konnte nicht mehr sehen, hören oder Magie einsetzen. Sie versuchte zu schreien, aber keine Stimme kam aus ihrem Mund...
...
...bis sie plötzlich im Bett saß. Ihr Herz pochte wild, als hätte sie stundenlang gerannt. Sie sah sich panisch um, merkte aber, dass sie im Zimmer im Gasthaus war. Das Feuer in der Kamin war fast erlöschen. Arkatosh lag neben ihr und hatte scheinbar nichts gemerkt.
''Arkatosh? Wach auf...'' obwohl die Panik langsam wegging, zitterte ihre Stimme.