Auf dem Weg von Tessamar zurück in die Mittellande,
267 n.J
Tessamar war hinter ihr. Sie konnte sich nicht zwingen, ihren Blick nach hinter zu wenden. Sie wollte vor Wut schreien, aber Stimme hatte sie keine mehr. Sie wollte etwas zerbrechen, aber ihre Hände bluteten schon von den mehreren Schlägen in zufälligen Bäumen. Sie hätte auch weinen wollen, hätte sie nicht vor einigen Monaten für sich gesehen dass Tränen keine Gnade von Menschen oder Göttern erzeugen konnten.
Sie hatte wieder versagt. Schlimmer noch – die Hammerburger, das Imperium, alle in Krusk hatten ihre Taten gefeiert, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie in der einen Sache, in der sie nicht versagen durfte, versagt hatte.
”Nein, ich lasse Euch nicht sterben, Drakonia!“Hatte er auch nicht. Sie ihn aber schon. Kaan, der Heiler, der ihr das Leben gerettet hatte, der Trauzeuge von ihrer Hochzeit, ein guter Freund von Arkatosh, war tot. Vergiftet, nachdem sie ihm versprochen hatte, seine Leibwache für die Zeit in Krusk zu sein, und dann irgendwann eingeschlafen war. Sie konnte es sich nicht verzeihen.
Und das war nicht mal das schlimmste. Von Tessamar war sie direkt zu Sukhara, einem kleinen Dorf in den Mittellanden geritten, weil ihr gesagt wurde, da gäbe es vielleicht Arbeit für sie. Sie stand jetzt in den Ruinen von diesem Dorf. Leichen lagen überall, Blut und Asche hatten die Erde bedeckt. Sie war zu spät gekommen.
Es war schon Sonnenuntergang. Langsam, mit leeren Augen, ging sie zu den Resten einer zufälligen kleinen Leiche. Höchstwahrscheinlich ein Kind. Sie kniete nieder und schaute sich die Leiche an. Die Wunden sprachen definitiv von Typ 2, Stufe zwischen 2 und 4 – ein Dämon mit eigenem Körper und Stärke, vermutlich auch die Form eines Wildtiers. Einen Werwolf schloss sie aus, da es kein Vollmond war. Plötzlich sah sie etwas Kleines, Weißes in einer der Wunde, das nicht da sein sollte und zog es mit dem Handschuh raus. Ein Zahn. Sie sah es genauer an und seufzte. Jetzt hatte sie eine Ahnung, was das Viech sein konnte.
Sie stand auf und ging richtungslos zwischen die Leichen rum. Zu viele. Sie spürte keine Präsenz von etwas lebendiges – kein Dorfbewohner, auch kein Tier. Um genauer zu sein, hatte sie auch keine Tiere in der Gegend gesehen oder gehört - der Dämon musste noch hier sein, aber seine Präsenz konnte sie viel zu schwach und sanft spüren. Er war schon weit in den Wald, auch wenn nicht zu weit. Aber schon weit genug, um ihr entkommen zu können, wenn sie sich nicht beeilte. Sie wusste, dass sie wenige Stunden hatte, um ihn aufzuhalten, bevor er das nächste Dorf erreichte. Sie ließ ihren Pferd dort, wo er stand, und lief in die Richtung, in die die Spur vom Dämon ging, aber ein kleines Geräusch vom Pferd ließ sie sich umdrehen um das Tier anzuschauen. Es wirkte irgendwie traurig und ein bisschen erschrocken. Sie warf ihm einen beruhigenden Blick.
Dann erinnerte sie sich plötzlich, dass ihre Hand im Faust geballt war und schaute bewundert das kleine, weiße Dingchen, was sie immer noch in der Hand hatte, an. Ein Dämonenzahn, den sie von der Wunde eines toten Kindes rausgezogen hatte. Eine Erinnerung daran, dass sie nicht immer alle retten konnte. Sie ballte ihre Hand wieder im Faust.
“Ich werde dich finden und du wirst leiden.“, sprach sie leise an das Viech, das sich im Moment irgendwo weit im Wald befand. Dann warf sie einen letzten Blick auf das Dorf und verschwand in den Wald.
In Travien hatte Cai, der ehemalige Reisegefährte von Arkatosh, gesagt, dass sie schnell sogar für ihre Art war, aber nicht mal er hatte sie nachts im Wald gesehen. Das war einer der Gründe, warum sie für ihre Aufträge passend war – Dinge nachts durch den Wald zu verfolgen war nichts Wildes für sie. Und um ehrlich zu sein, war das ihr beliebtester Teil von der Verfolgung. Es gab ihr ein Gefühl von Freiheit und Kontrolle über ihren eigenen Körper, die ihr wenige andere Dinge gaben.
Die Sonne sollte jetzt fast vom Himmel verschwunden sein – durch die Äste sah sie nur noch Teile von brennenden Wolken und Schatten. Je näher die Nacht, desto stärker war die Spur vom Dämon – nicht, dass das Viech nah genug dran war, sondern als würden seine Kräfte mit der Dunkelheit wachsen. Und irgendwann spürte Drakonia auch was anderes, eine andere Spur. Aber es war kein zweiter Dämon. Es war ein zweiter Jäger.
Sie hielt nicht auf, um auf ihn zu warten oder suchen. Wenn er gut genug war, dass die Zusammenarbeit sich lohnen würde, würde er das Viech selber finden und sie würden sich eh nah am Ziel treffen, und wenn nicht, dann würde sie eben keiner bei der Arbeit stören. Aber je deutlicher seine Spur wurde, desto entsetzter wurde sie und desto mehr sie sich auf diese Präsenz fokussierte. Es war definitiv kein Magier, das konnte sie auf jeden Fall erkennen. Etwas wildes und mächtiges konnte sie aber spüren, etwas altes, etwas
bekanntes.
Das letzte Licht war weg vom Himmel, als sie den Dämon endlich mal hörte. Weniger als eine Sekunde Zeit hatte sie, um aus dem Weg zu springen, damit sie nicht in seinen Krallen endete. Sie fiel auf dem Boden, rollte schnell zur Seite und stand schnellstmöglich wieder auf, zog ihr Schwert und sah den Dämon an. Er stand etwa zwanzig Schritte von ihr entfernt, zu ihr gewendet und bereit, wieder anzugreifen. Er sah wie eine Mischung zwischen Mensch und Tier, mit dunklem Fell bedeckt und mit Krallen, die länger und schärfer waren als ihre Dolche. Seine Augen brannten in der Nacht. Kein magisch begabtes Wesen, zum Glück, aber nicht weniger gefährlich. Sein Maul breitete sich in einem gruseligen Grinsen.
Das war der Anfang des besten Teiles für sie - er Moment, als sich Jäger und Dämon trafen. Denn jetzt war es Jäger gegen Jäger, und wer als erster ein Fehler machte, würde zu Beute werden. Drakonia grinste nicht weniger grausam. Sie war eine Mörderin und sie genoss das Gefühl, diese Wesen zu töten. Einmal hatten sie ihr Leben zerstört, sie zu Sklavin gemacht, sie gezwungen, zuzuschauen, während sie ihren Körper zu ihrer Waffe gemacht hatten. Jetzt hatte sie die Kontrolle.
Der Dämon war mit einem Sprung bei ihr und ihr Schwert war schon da, um seine Krallen zu treffen. Er schlug mit dem anderen Arm zu, aber die Elfe war schon weg von seinem Weg und griff ihn von der Seite an. Trotzdem war sie um einen Teil der Sekunde zu langsam und eine der Krallen ließ eine tiefe Spur in ihre Schulter. Sie schrie und schlug mit reiner Hass mit dem Schwert zu, wurde aber von einem Schlag zum Boden geworfen, wobei sie schwer auf der Seite fiel.
Der nächste Schlag des Dämons hätte sicherlich ihre Kehle getroffen, wäre er nicht von einem anderen Schwert getroffen. Drakonia, die endlich mal wieder Luft geholt hatte und schon aufstand, sah endlich mal den anderen Jäger, den sie seit einiger Zeit in der Nähe gespürt hatte. Und der Blick machte ihr in dem Moment mehr Angst, als jeder Dämon je würde. Es war derselbe Krieger, der sie in der gestellten Situation in Rabennest und in ihrem Traum verfolgt hatte. Nur statt ein Speer hatte er ein Schwert in der Hand. Jetzt war er verdammt echt und sie fürchtete, dass der Dämon gerade das kleinere Problem war.
Sie war nicht die schlechteste Jägerin, die gegen Dämonen gekämpft hatte. Sie kannte auch viel bessere Jäger als sich. Aber sie hatte bisher nie so einen gesehen. Er war definitiv nicht der beste Schwertkämpfer, den sie gesehen hatte, aber er schien jede Bewegung vom Dämon zu kennen, noch bevor der Dämon etwas unternommen hatte. Jetzt, wenn sie das Viech von der Seite beobachten konnte, merkte sie, wie elegant und schnell es eigentlich war. Sie hatte vor sich zwei Kämpfer, jeder davon genau täuglich, um den anderen zu beseitigen. Den Zweitkampf würden wenige Leute als schön bezeichnen, aber sie konnte so was einschätzen. Es war sehenswert.
Da ihre Schulter zu viel wehtat, nahm sie ihr Schwert mit der anderen Arm, merkte aber, dass sie bei dem Blutverlust geschwächt war. Sie schob die Waffe zurück in die Schwertscheide und sammelte ihre Kraft für einen Eisball. Verfehlen durfte sie nicht, denn Zeit für einen zweiten würde sie keine haben, wenn sie den Dämon nicht treffen würde. Ob der Zauber aber wirklich was genützt hatte, erfuhr sie nie – in dem Moment, als sie den Dämon traf, stach das Schwert vom anderen Jäger ins Herz des Wesens und es schrie laut zum letzten Mal, bevor es stumm war. Drakonia schimpfte und setzte sich zurück auf der Erde. Der Jäger zog das Schwert von dem Körper raus und der Dämon fiel tot zur Seite. Sein Körper begann sofort, zu Asche zu werden.
”Hättest etwa durchdachter handeln können.“, sagte der Mann ruhig. Seine Stimme klang zu ihrer Überraschung in keinem Fall feindlich oder bedrohlich, sogar etwa… Freundlich?
”Verpiss dich.“”Und etwa kritikfähiger sein.“ Er ließ seine Waffe auf dem Boden und kam langsam ein Schritt näher, dann nahm er die Kapuze endlich ab. Es war der älteste Elf, den Drakonia je gesehen hatte. Sein Gesicht war zwar unveraltet, aber in seinen Augen konnte sie die ruhigen Flammen, die Trauer und die Geduld von tausenden Jahren sehen. Er war blass, mit langen, dunkelgrauen Haaren. Sein Gesichtsausdruck wirkte irgendwie beruhigend.
”Ich kann mir deine Wunde anschauen, wenn du nichts dagegen hast.“Sie nickte mit ihren Zähnen stark zusammengequetscht. Nicht nur wegen dem Schmerz, sondern auch aus Wut – sie hatte auch dieses Mal ein Fehler gemacht und wäre er nicht da, wäre sie höchstvermutlich tot. Sie ließ eine Kugel aus magischem Licht über sie leuchten. Der Elf kniete neben ihr und fing vorsichtig an, die Wunde mit Wasser und Alkohol zu reinigen. Drakonia wunderte sich wie lange ihre Zähne noch aushalten würden, bevor sie brechen. Sie ließ den Schmerz aber nicht sichtbar auf ihrem Gesicht werden.
”Was war dieses Viech eigentlich?“ fragte sie stattdessen.
”Ein Knochentänzer. Lästige Viecher.“”Und wer bist du, zum Teufel? Warum hast du mich verfolgt?“ ”Mein Name ist Kaztan Sa‘alda. Sei geduldig, alles wird dir erklärt, aber erstmals würde ich gerne weg von diesem Wald gehen.“Er lächelte freundlich. Sie sah ihn sauer an, konnte aber nichts anderes tun, als sich wie ein Kind fühlen. Sie war in der letzten Zeit zwar gewachsen und definitiv kein Kind mehr, aber für einen so alten Elf wären sogar ihr Großvater und Magister Halsir Kinder. Dann hörte sie ein ruhiges Geräusch und sah ihren hellgrauen Pferd, der gerade vom Waldpfad kam. Kaztan nickte als Zusage, dass er das Tier auf dem Weg gewiesen hatte und half ihr, aufzustehen.