Drei lange Jahre war es her gewesen, dass ein in braun und grün gekleideter junger Mann durch die breiten Straßen Donnerheims geschritten war. Die prachtvollen Bauten hatten ihn so sehr beeindruckt, dass er die weniger prachtvollen gar nicht wahrgenommen hatte, und sein Blick war so oft hoch zu den verzierten Fassaden, den glänzenden Balkonen und den vielen Farben gewandert, dass der Knappe doppelt umsichtig hatte sein müssen, um die beiden Ritter, die vor ihm her gegangen waren, nicht zu verlieren.
Und nun konnte Vanion sich eines seltsamen Gefühls nicht erwehren, als er, das Pferd am Zügel führend, sich in den stetigen Strom von Karren, Tier- und Menschenleibern einreihte. Den Schwan trug er mit Stolz auf seiner Brust, und seine Farben waren nun blau und weiß. Das caldrisch, das er hörte, verstand er nun vollends, auch wenn er sich wohl nie an den harten, nordcaldrischen Akzent gewöhnen würde.
Damals hatte er sich alleine gefühlt. Klein, unwichtig, irgendwie untergehend. Dabei war er das nicht gewesen: er war in Lorainnes und Benjens Begleitung gewesen. In einer Zeit, in der sein Onkel noch gelebt hatte. In der seine Ehre noch unbefleckt gewesen war. Und nun - nun fühlte er sich nicht mehr klein, aber er war alleine. Er diente dem Baron von Feuerklinge, hatte seine Eide dem Grafen zu Voranenburg geschworen, aber weder die Waage auf Grüngold, noch der Phönix auf Rot zierten seine Kleidung. Er war freigestellt von seinem Dienst, für eine Weile zumindest.
"Heh, pass doch - " Die Stimme verstummte, als der Mann in der abgerissenen Tunika sein Wappen erblickte und verstand, dass er einen Edelmann vor sich hatte. Ein hastiges "Verzeiht, Herr!" erklang, und schon war der Bursche wieder verschwunden. Ja, es hat sich wirklich einiges geändert.
Bei einem der Gardisten der Stadt erkundigte Vanion sich nach einem Gasthaus. Die dem Königspalast nahe gelegenen würde er sich nicht leisten können, aber immerhin musste er nicht außerhalb der Stadtmauern nächtigen. Nachdem er in gutem Kupfer gezahlt hatte, bat er den Wirt, die Augen nach einem guten Burschen offen zu halten. "Gewaschen sollte er sein, und auch gepflegt, denn er soll eine Nachricht an die Adresse einer hohen Dame überbringen." Und tatsächlich, keine halbe Stunde dauerte es, da wartete der Wirt mit einem Neffen auf, den er in höchsten Tönen lobte. Vanion übergab dem Jüngling, der wohl grade seine sechzehn Winter gesehen hatte, einen mit dem Schwan gesiegelten Brief.
"Bringe dieses Schreiben zu dem Stadthaus der Baronin von Goldbach. Gib es dort ab, und berichte von diesem Gasthaus, denn ich erwarte eine Antwort, und hier bin ich zu finden."
Ein paar Münzen gab er gleich mit dazu, und der Bursche machte sich auf den Weg.
Der Wirt, der neugierig zugehört hatte, fragte ihn, was für ein Geschäft er denn mit den Goldbachern zu tätigen wünsche, aber Vanion schwieg sich aus. Lediglich um ein Essen bat er, dass man es ihm auf seine Kammer bringen möge, und dann bezahlte er ebendiese für einige Tage im voraus. Damit war sein Geldbeutel tatsächlich arg gebeutelt, aber es half nun einmal nichts.
Sein Gepäck hatte der Wirt schon heraufgebracht, und sein Pferd war versorgt.
Nun galt es wohl, auf Antwort zu warten.