Vor einigen Jahren war die frischgebackene Gardistin Julienne auf dem Weg ins Dorf Goldbach, um am Markttag einige Besorgungen zu tätigen.
Unter anderem standen auf ihrer Liste einige Kräuter, die mitzubringen sie der Falkner der Baronin gebeten hatte.
Julienne wusste, bei wem sie diese Kräuter bekommen konnte und so ging die junge Frau zu der Kräuterheilerin des Dorfes. Diese lebte in einem kleinen Haus am Rande der Siedlung.
Das Gebäude wurde von einem Zaun aus Weidengeflecht umschlossen, hinter dem einer der schönsten Nutzgärten der gesamten Baronie zu finden war.
Julienne öffnete das Gartentor, trat hindurch und schloss es sorgfältig hinter sich. Schließlich sollte kein Tier die seltenen, nützlichen und zum Teil teuren Kräuter zerstören.
Einzig die Katzen der Kräuterfrau, ein dreifarbiges Tier mit wolkenweichem Fell und ein Graugetigerter Kater, sowie ein kleines, fast schneeweißes Kätzchen durften sich innerhalb der Grundstücksgrenzen aufhalten. Wie üblich thronte die bunte Katze majestätisch auf der Bank vor dem Haus, während die anderen beiden Samtpfoten nirgends zu sehen waren.
Die Gardistin schritt über den mit hübschen Blumen eingefassten Steinpfad zum Haus, als sie von drinnen Stimmen von einem Mann und einer Frau - die sie als die Kräuterheilerin erkannte - vernahm.
"... blödes Vieh! Der Gaul verdient es..." - "Nun 'ör schon auf, disch zu echauffieren, Mathis!
Wenn du disch weiter'in so aufregst, 'ört es nie auf zu blutön!" - "Isch 'ätte ihr gleisch die Axt
in den Schädel schlagön sollän!" - "Mathis! 'alt wenigstöns still!" - "Ja, ja..."
Die restlichen Worte des Mannes waren nur ein unverständliches Brummeln.
Julienne trat heran und klopfte gegen den Türrahmen, um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen.
Im Inneren drehten sich zwei Personen um und in einer Ecke hörte der graugestreifte Kater auf, das weiße Kätzchen zu putzen. Das kleine Etwas nutzte den Augenblick, um die Flucht zu ergreifen.
Im einzigen Raum des Hauses saßen die Kräuterheilerin und ein Mann, der ziemlich mitgenommen aussah. Neben ihnen war ein Tisch, auf dem eine Schale voll rötlichem Wasser, ein Korb mit Verbandszeug und mehrere Salbentiegel und Trankflaschen bereit standen.
Als sie die Hereinkommende erkannte, hellte sich das Gesicht der Frau auf.
"Ah, die Gardistin Julienne! Komm 'erein, mein Kind! Isch denke, du kennst unserön Rossschläschter Mathis? Mathis, das ist die Gardis...", begann die Kräuterfrau, doch der Mann, dessen Kopfwunde, die vor sich hinblutete, sie gerade versorgte, unterbrach sie unwirsch:
"Gardistin. 'ab isch ge'ört! Bin ja nischt taub!", grummelte er.
Den kühlen Blick seiner Heilerin ignorierte der Mann.
Julienne entschied, dass sie keine Lust auf diesen brummeligen Kerl hatte. Sie entschuldigte sich und gab an, draußen zu warten.
Doch sie konnte nicht umhin, mitzuhören, wie sich der Rossschlächter weiter beklagte. Offenbar hatte ihn ein Pferd so zugerichtet. In Julienne mischte sich nicht wenig Schadenfreude mit einer ordentlichen Portion Bedauern. Vermutlich ging es wieder um einen jungen Hengst, der nicht für die Zucht geeignet war und deshalb zum Metzger sollte.
Daher horchte sie auf, als sie den Mann über "diesä blödä Ku'!" wettern hörte.
Ein berechnender, harter Zug umspielte ihre Mundwinkel, als sie das Haus doch wieder betrat.
"Isch dachtö, Ihr schlachtöt nur Pferdö?!?", meinte sie abschätzig.
Mathis wandte sich, die Proteste der Heilerin ignorierend, zu der Gardistin um.
"Natürlisch. Gerüschten zuvolgä IST das Vieh auch ein Pfärd. Abär wenn du misch fragst, steckt da eine ganze Portion von jemand andereröm drin!", grummelte er und machte das Zeichen gegen das Böse.
Julienne zog die Augenbrauen hoch. Von solchen Kreaturen berichteten Geschichten. Und in der Regel waren sie auch nichts anderes als das. Geschichten.
Isch wette, der dumme Geck 'at einfach keinö Ahnung von anspruchsvollön Pferdän..., dachte sie bei sich.
Eine Idee begann sich in ihrem Kopf zu formen.
"Bei so einöm Pfärd ist man sischerlisch froh, es von 'inten zu se'ön, nischt wahr?!?", fragte sie betont uninteressiert.
"Isch freue misch darauf, sie zu zerlegön! Das kannst du mir glaubön!", grummelte Mathis.
"Aber nischt darauf, sie ru'isch zu 'alten, um ihr die Ke'le durschzuschneidön, wette isch...", ließ sie beiläufig fallen.
"Mpf!", machte der Rossschlächter. Doch sein Gesicht zeigte erstes Zweifeln.
"Als wenn sisch jemand findön würdä, der diesön Gaul 'aben wollen würde!", sagte der Mann und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Julienne lehnte sich lässig gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme.
"Tja, wenn sie nischts wert ist, wird sisch da wohl niemand findön..."
Ganz so leicht ließ sich Mathis dann doch nicht täuschen.
"O', sie ist schon etwas wärt. 'at einön ganz nettön Stammbaum. Zumindest auf der einön 'älfte... Vollblut..."
Julienne machte nun ebenfalls eine abfällige Geste und schüttelte ihren Kopf.
"Ach, Vollblut?!? Wär braucht schon sowas?!"
Der Rosschlächter sah seine Chance vertan. Er senkte sein Haupt und drehte sich wieder zu der Kräuterheilerin um, die missmutig da saß und ihrerseits die Arme verschränkt hatte.
"Ach, darf isch jetzt weitörmachön?!? Wie gnädisch!", meinte sie giftig und war im Anschluss nicht mehr ganz so sanft, sodass Mathis ein ums andere Mal aufjaulte, als sie ihn behandelte.
Schließlich waren die Kopfwunde, das geprellte Bein und die aufgerissene Schulter, sowie der Biss am Unterarm versorgt und Mathis und die Kräuterfrau handelten einen Preis aus. Neben ein paar Münzen, die er ihr in die Hand drückte, versprach der Schlächter der Heilerin, demnächst seine Frau mit einem Korb voller Würste und Fleisch vorbei zu schicken.
Beim Rausgehen blieb der Mann noch einmal stehen, wagte es aber nicht, Julienne in die Augen zu sehen.
"Vielleicht magst du ja mal vorbei kommön und dir das Vieh anschauön. Mann weiß ja nie..."
Julienne nahm sich Zeit. Viel Zeit. Sie besorgte die erbetenen Kräuter und schwatzte noch eine ganze Weile mit der Heilerin. Dann ging sie auf den Markt und erstand dies und das.
Hernach stattete sie der Taverne einen Besuch ab und als das Licht Alamars schon deutlich tief stand und hinter den Wäldern zu versinken drohte, lenkte die Gardistin ihre Schritte zum Haus des Metzgers.