Und das war er.
Mit jedem Schritt, den die beiden um den See herum machten, kamen Sie den Zelten und kleinen Hütten der Weber näher. Rikhard war sichtlich nervös, versuchte aber wie stets, das zu überspielen. Was würde ihn dort erwarten? Er hatte kaum jemandem erzählt, was damals geschehen war. Was ihn wirklich dazu gezwungen hatte, seine Heimat zu verlassen.
"Er ist ein Lügner! Ein Betrüger, der Pulver ins Feuer wirft, um euch alle zu täuschen!"
Rikhards Stimme überschlug sich, sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, und sein Finger zitterte, als er auf den Schamanen zeigte.
"Ich schwöre es bei allen Göttern, ich hab es mit eigenen Augen gesehen!"
Und das hatte er tatsächlich. Grolf, der sich ihm jahrelang angebiedert hatte, der ihm falsche Weisheiten, schlimme Eingebungen und schlechten Rat erteilt hatte, hatte sich als Scharlatan herausgestellt. Aberglaube und Unwissen hatten die Weber dazu gebracht, Grolf zu vertrauen, Grolf zu verehren, ihn zu einem der Anführer des Stammes zu erheben.
Aber Rikhard bemerkte nicht, wie die Menge, die sich um das große Feuer versammelt hatte, tuschelte. Bemerkte nicht die Blicke, die man sich zuwarf, die verstohlenen Worte, die man einander zuflüsterte. Stattdessen schrie er, schrie die Wahrheit hinaus! Bis ihn Grolfs starke Hand am Oberarm packte und nach vorne schleuderte. Der junge Magier fiel mit dem Gesicht in den Staub, schmeckte Blut auf seiner aufgeplatzten Lippe.
"Das Kind ist verrückt geworden, und die Magie bricht aus ihm heraus!"
Die Worte drangen wie durch einen dichten Nebel zu Rikhard vor. Irgendetwas mit "Kontrolle", "Angst", "überwältigt" .... was ging hier nur vor? Er richtete sich auf, machte einige taumelnde Schritte auf die Menge zu, die vor ihm auseinanderstob. Hinter sich hörte er Schritte, wusste, Grolf kam näher, und mit einem Ruck drehte Rikhard sich herum, griff in die Flut, die ihn umgab, und ließ alle Dämme fahren. Das Rauschen des Windes in den Blättern wurde zu einem Sturm, der in seinen Ohren brauste, und mit seinen Händen wies er der Kraft dieses Sturms den Weg. Ein heller Schrei, ein Krachen ertönte - Rikhard öffnete die Augen, siegessicher. Endlich hatte er wahre Magie gezeigt, und Grolf hatte sich nicht wehren können, hatte - "Nein..."
Es war nicht der Schamane gewesen, der von hinten an ihn herangetreten war. Kyra war es. Kyra, die stets zu ihm gehalten hatte. Eine Freundin, von Kindesbeinen an, die ihn stets begleitet hatte. Und nun lag ihr Körper mehrere Meter weit von ihm weg, unmenschlich verdrehte Gliedmaßen, und Rikhard sah helles Blut auf ihrer Stirn.
Niemand wagte es, ihn aufzuhalten, als er durch die Menge brach, in den Wald hineinrannte.
Der Rikhard Kraftweber, der nun zwischen die ersten Zelte trat, hatte sich verändert, und nicht nur innerlich. Er wusste, dass er nicht länger der ängstliche Schüler war, der mehr Angst vor sich selbst als vor seiner Umwelt hatte. Gelernt hatte er, dass die Welt kaum auf ihn gewartet hatte, und auch einige andere Dinge wusste er nun besser. Er war bereit, sich zu stellen, sich seiner Vergangenheit zu - "... Rikhard?!"
Das konnte nicht sein. Sie war tot.
Aber da stand sie. Quicklebendig. Lächelnd. Freudig lächelnd! Sie hatte sich kaum verändert. Ihre langen, kupferroten Haare trug sie offen, an ihren Ohren baumelte ein Federschmuck, und gekleidet war sie in braun und grün.
Ungläubig machte Rikhard einen Schritt auf sie zu. Worte fand er keine, nichts fiel ihm ein. Er hatte sie für tot gehalten. Hatte geglaubt, sie getötet zu haben, und seitdem war er unglaublich selbstdiszipliniert, umsichtig geworden. Nur ein einziges Mal war die Magie beinahe aus ihm herausgebrochen, unkontrolliert und wütend - und selbst bei dieser Gelegenheit hatte er sich unter Kontrolle gehabt, wenn auch so grade. "Du ... du lebst?"
Ein Schatten glitt über Kyras freundliches Gesicht. "Ja. Auch wenn das nicht dir zu verdanken ist." Eine gehörige Portion Kälte hatte sich in ihre Stimme geschlichen. "Du bist sicher hier, um deine Eltern zu besuchen? Sie werden staunen, da bin ich mir sicher. Aber vielleicht schreist du besser nicht von den Bäumen, dass du zu Besuch bist. Andere sind nach wie vor nicht so gut auf dich zu sprechen. Und wenn Grolf dich sieht ..."
"...Er ist immer noch hier?"
"Ja, wo sollte er sonst sein? Er spricht nun einmal mit den Geistern und den Göttern, und sein Wort ist hoch geschätzt. Dass du dich so offen gegen ihn gestellt hast, war keine gute Idee. Dass du ... dass du mich durch die Luft geschleudert hast, übrigens auch nicht." Ohne erkennbares Schamgefühl zog sie ihre Hose an einer Seite herunter und zeigte eine lange, hässliche Narbenwulst vor. "Dort hatte sich ein Knochen durch meine Haut gebohrt. Vielleicht war es ganz gut, dass du Jahre fort warst. Noch letztes Jahr hätte ich dir einen Pfeil in die Rippen gejagt. Ich hätte sterben können!"
Hinter Kyras Ausbruch verbarg sich aber noch ein anderes Gefühl als Zorn, und ein gewisser Unterton in ihrer Stimme ließ das auch erkennen.