Es gab einfach nichts Neues. Seit Vanion aus Melekahrt zurückgekehrt war, schien eine Ruhe über dem Land zu liegen, die ihresgleichen suchte. Seit Jahren war es nicht mehr so still gewesen. Keine Armeen, keine Untoten, keine Höllenfeuer und - keine Tanzbälle! Seit Pfauengrund gefallen war und wieder unter der Herrschaft des Grafen stand, waren Vergeltungsschläge des Hanekamper rar geworden. Auch die Inquisition ließ nichts verlauten.
Es war seltsam, dass das alljährliche Grenzfest nicht begangen wurde. Aber wer wollte es den Leuten verübeln, bei den Geschichten, die man hörte? Also schliff der Herr Ritter sein Schwert, während der Graf plante. Er vertrieb sich die Zeit mit Leibesübungen und Lyrik, doch auch, wenn der Krieg nun ruhte, ließ er ihn nicht los. Berichte kamen aus Pfauengrund. Die Dinge gediehen dort, Befestigungsanlagen wurden verstärkt und das Volk schien sich ohne einen Aufstand seinem neuen Herrscher anzudienen. Im Frühjahr hatte es einige ehrgeizige Krieger gegeben, die ihre Treue zur ehemaligen Baronin unter Beweis stellen wollten, doch sie wurden in einem kurzen, harten Scharmützel aufgerieben. Das hatte ausgereicht, um Pfauengrund endgültig zu befrieden.
Dann waren die Blumen aufgetaucht. Man hörte aus verschiedenen Teilen des Landes von ihnen: Violette Blüten, die einen seltsamen Geruch verströmten. Man munkelte, wer ihnen zu nahe kam, wurde verrückt. Wurden sie nicht gleich mit Stumpf und Stiel ausgerottet, vermehrten sie sich wie Unkraut. Es schien eine stillschweigende Übereinkunft zwischen Voranenburg und Hanekamp zu geben, das Schlachtfeld nicht zu betreten, fürchteten doch beide um das geistige Wohl ihrer Gardisten und Ritter und Krieger.
So stand Vanion eines Tages im Sommer auf der Stadtmauer, die die Voranenburg umgab, und sah einmal mehr in die Ferne. Dort, im Norden, lag Donnerheim, die prächtige Stadt, in der die Imperatorin Loenna regierte. Irgendwo noch weiter im Norden musste der alte Ritter Simon de Bourvis sein, der seit Lorainnes Tod zurückgezogen auf seinem Gut lebte und nicht mehr viel von sich hören ließ. Ob Anders wohl grade durch den Forêt d'Artroux streifte? Er fragte sich, wie es der Kenderin ging. Dann lächelte er, als er an ein buntes Stück Papier dachte, dass er von einer Anders nicht unähnlichen Person erhalten hatte. Endlich wanderte sein Blick in die Richtung, in welcher er die Falkenwacht wusste. Sein Herz pochte unweigerlich schneller, als er an Iriann dachte. Sie vermisste er am meisten.
Schließlich drehte er sich um und ließ seinen Blick in die Stadt selbst gleiten. Die Häuser, die die Voranenburg umgaben, waren sauber und stabil gebaut. Man sah den Bauten an, dass sie eben nicht im Krieg versehrt worden waren. Grün-goldene Banner wehten und in den Gassen herrschte geschäftiges Treiben. Karren, gezogen von Männern oder Pferden, Gardisten, die wachsam umher schritten - wären es nicht mehr Menschen als sonst gewesen, hätte man meinen können, es sei ein ganz normaler Tag. Aber das war es nicht. Als der Hanekamper den Krieg erklärt hatte, waren einige seiner Vasallen vom Land in die Stadt gekommen, hatten nach Schutz gesucht. Einige von ihnen waren nun, da in Monaten nichts geschehen war, wieder zur Scholle zurückgekehrt.
Endlich stieg Vanion von der Stadtmauer herab.