Mittlerweile waren schon einige Wochen vergangen seit Anica sich von ihrer Herrin verabschiedet hatte, um die weite Reise in die Heimat anzutreten. Sie befand sich wieder auf dem Weg in das Land ihrer Geburt, dass sie vor noch nicht mal drei Jahren verlassen hatte. Aber so viel hatte sich seit dem verändert. Es kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor. Bisher verlief die Reise ohne Probleme, da sie im Moment mit einer großen Karawane reiste. Mehrere Händler hatten sich zusammen getan, einer davon ein Bekannter der Herrin. Die Karawanserei die sie diesen Abend erreicht hatten war recht groß, und gut befestigt.
Nachdem sie ihr Pferd Nazaren versorgt hatte, und sicher war, dass er hier Ruhe und gutes Futter bekam, machte sie sich auf die Suche, nach etwas zu Essen. Sie wusste wo die meisten Mitreisenden der Karawane essen würden - sie konnte sie jetzt schon über den Hof hören. Aber heute war ihr nicht nach Singen und Reden zu Mute. Sie wollte irgendwo hin, wo es etwas ruhiger war, und wo sie in Ruhe über alles was bisher gewesen war, und was vielleicht noch kommen sollte, nachdenken konnte. Von den beiden Schankräumen, die es hier gab, war der eine zu gut besucht und zu laut, und der andere zu dunkel als das sie dort einkehren wollte. Also schnappte sie sich zwei Äpfel, etwas Brot und Käse aus ihrem Proviantbeutel und machte sich auf den Weg zu den Ställen. Hier war sie zwar auch nicht alleine, aber wenigstens würde sie hier keiner zum Mitsingen bringen wollen, und sie konnte in Ruhe ihren Gedanken nachhängen. Sie setzte sich zu Nazaren in den Stall und biss herzhaft in einen Apfel. Wie erwartet stupste der Braune sie mit dem Maul am Kopf an, und sie gab den zweiten Apfel ihrem treuen Freund.
Sie saß lange einfach da und dachte über die Aufgabe nach, die vor ihr lag. Über den Abschied von der Herrin Jelena, über die Gefahren und die Chancen. Zlaticas Tränen - eine verantwortungsvolle Aufgabe. Sie hoffte, wie so oft, dass sie sie erfüllen könnte. Und dann die Anweisungen der Herrin. Eine Magd und ein Leibwächter einstellen! Naja, wenigstens kam sie bei der Sache mit dem Lesen langsam voran. Seit einer Woche reiste ein junger Gelehrter in der Karawane mit, der ihr das Lesen und Schreiben beibrachte (er versuchte es), und sie half ihm im Gegenzug mit seinem Pferd. So profitierten beide davon, und es war nicht ganz so langweilig während der Reiserei. Das Lesen ging langsam voran, zu langsam ihrer Meinung nach, aber wenigstens ging es voran. Sie konnte immerhin schon ihren Namen lesen, und das war doch schon mal nicht schlecht für den Anfang.
Sie wachte auf, als es noch dunkel war, anscheinend hatte sie fast die ganze Nacht hier verbracht. Auf dem Hof waren die ersten (oder die letzten?) Helfer schon wieder (oder immer noch?) an der Arbeit. „Tja, dann wollen wir mal sehen spät es ist, nicht wahr Nazaren? Und wir kommen unserem Ziel immer näher.“ Wie zur Bestätigung schnaubte der Braune einmal. Anica stand auf, klopfte sich den Staub vom Rock und begann ihr Morgenritual.