Den Sonnenschein geniessend schlendert Zume durch die Strassen von Brega, ihre kleine Tochter Selina an der Hand. Die Sonne scheint, und das Kopfsteinpflaster ist warm unter ihren bloßen Füssen.
Das blonde Mädchen, kaum 3 Jahre alt, bestaunt die vielen Leute, die Farben und Gerüche der Stadt und hält sich eng bei der hochgewachsenen Mutter in der ledernen Rüstung. Sie reicht kaum über die Beinschienen der Mutter hinaus...
Zume ist zufrieden, wie aufgeweckt ihre kleine Tochter schon ist. Hat sowohl gelernt, selbst zu denken wie auch, Befehlen zu gehorchen. Gut, sehr gut.
Noch immer rätselt sie, warum ihr Mann die heimatlichen Grotten in den Bergen verlassen musste - aber es wird, da ist sie sicher, ein guter und ehrenhafter Grund sein. Natürlich hatte er wenig andere Möglichkeiten, als die kleine Selina Zumes Halbbruder Ben zu übergeben, der sie, wie er es wohl geschworen hatte, zur ihrer Mutter nach Brega brachte.
Trotzdem. Ausgerechnet Ben... was soll Zume mit ihm anfangen? In ihren Augen ist er hilflos wie ein Kind, ganz wie Selina eben. Er lebt in einer Stadt, ist bei den Steinhäuslern aufgewachsen. Als wäre das nicht schon schlimm genug - es gibt ja auch einige ehrenwerte unter ihnen, wie Ferdi etwa - weigert er sich nicht nur, überhaupt kämpfen zu lernen, nein, es ist ihm auch ganz egal, wer das Land regiert, in dem er lebt. Wem er Steuern zahlen muss, sei ihm egal, sagt er. Egal, wieviele der Lupus Umbra getötet hat.
Zume kann über so etwas nur den Kopf schütteln. Niemandem zahl ich Steuern!, das ist ihr klar. Wenn der Lupus Umbra meint, er müsse Engonien einnehmen, ist das eine Sache und keine gute. Aber die silvanaischen Berge und Wälder zu erobern - ha, da muss er noch ganz andere Männer aufbringen als die, die diese Stadt gerade Hals über Kopf verlassen haben. Nein, ihre Heimat wird sicher sein - dachte sie bisher, und darum auch ein guter Ort für ihr Kind. Was soll sie nun mit Selina mitten in diesem Kriegsgebiet? In einer verlausten, dreckigen, stinkenden, überfüllten Stadt? Man kann doch ein Dreijähriges nicht mit auf ein Schlachtfeld nehmen - hat zumindest Ben ihr immer und immer wieder gesagt.
Aber Selina bei ihm lassen, damit sie unter Steinhäuslern aufwächst und schwach und verweichlicht wird wie er? Niemals! Ihre eigene Vergangenheit steht ihr nur zu deutlich vor Augen, das Kloster mit den Aine-Mönchen, die ihr ha! Lesen und Schreiben beibringen wollten, ihr Vater, der meinte, eine so hübsche Rothaarige könne man sicher gut verheiraten, wäre sie nur erst 14... Niemals. Niemals ist etwas besseres passiert, als daß meine Mutter Raja kam und mich von dort fort holte, in die Berge und Wälder Silvanajas...
Da ist das Schlachtfeld ehrenvoller, gerechter und die deutlich bessere Zukunft für ihre eigene kleine Tochter. Irgendwie wird sie sie beide schon durchkriegen, auch wenn sie vor einer Schlacht erst einen Axtschleifer und dann einen Babysitter suchen und beide mit Gewalt an die Arbeit prügeln muss... Irgendwie. Nein, Ben ist kein ehrenwerter Mann, und ihm wird sie ihren blonden kleinen Schatz niemals anvertrauen. Noch immer kann sie nicht verstehen, was ihren Mann Maro bewegt haben mag, Selina vom Stamm der Hornschädel fort zu schicken. Warum nur...? Nunja. Andererseits hat sie Selina sehr vermisst in jenem letzten halben Jahr der Reise und freut sich sehr darüber, wie groß und verständig sie geworden ist. Und Maro... Maro vermisst sie auch...
... ein blonder, schmächtiger Passant zuckt sichtlich zusammen, als die große Kriegerin mit der Streitaxt laut seufzt. Zumes Gesichtsausdruck ist ungewöhnlich ernst und nachdenklich - gar nicht das gewohnte Bild der selbstsicheren, reichlich großmäuligen Kriegerin. Ob ich nach Hause gehen sollte? Dieser Krieg mag Tior gefallen und mir Silbermünzen einbringen, Ehre im Kampf und Ruhm unter den Steinhäuslern. Aber zuhause... da bedeutet das alles nichts; gar nichts. Da zählt, wer den Winter überlebt, hoch oben in den Bergen. Wer mit den Gemsen klettern und mit den Adlern sehen kann; wer Felle bringt und wer Fleisch. Oder ist es anders geworden, dort oben im Drachenrücken? Musste Maro darum fortgehen? Soviele Fragen; viel zu viele für die Kriegerin mit den langen roten Haaren.
Erstmal einen trinken und dann wird die Antwort schon kommen...
Selina an der Hand gefasst, die Mine finster entschlossen, steuert Zume die nächste Taverne auf ihrem Weg zurück zu diesem Landgut an, wohin Ferdi und Leonia sie eingeladen haben. Hoffentlich finde ich im Bier wirklich ein paar Antworten... Ach verdammt. Es gab eine Zeit, in der ich Nedra um eine Antwort gebeten und die Einsamkeit der Wälder gesucht hätte, um meine Entscheidung zu treffen. Was ist nur aus mir geworden...