Es war der Abend am Tag nach den Feierlichkeiten. Fleur hockte auf ihrem und Amelies Lager und kühlte ihrer Tochter die Stirn, während sie aus dem dicken Märchenbuch las, welches sie in Donnerheim erstanden hatte.
Das kleine Mädchen klammerte sich jammernd an die Hand ihrer Mutter, als die Wäschemagd sich erheben und zu den anderen Kranken gehen wollte. Fleur redete beruhigend auf Amelie ein und gab ihr die Ente, die aus gelbem, flauschigen Stoff genäht war und die das Kind heiß und innig liebte. Jetzt jedoch drückte das Mädchen das Stofftier mit bestimmter Geste beiseite und kuschelte sich in die Arme der Mutter.
Schließlich jedoch war Amelie erschöpft eingeschlafen und Fleur konnte sie liebevoll zudecken und sich schließlich doch den anderen Darniederliegenden zuwenden. In dem Raum waren neben Mademoiselle Catherine de Blanche, Mademoiselle Elodie de la Sylve und Maely de Merdrignac, der Schwester von Soeur Alexane, alle weiblichen Mitglieder des Goldbach'schen Gefolges untergebracht, während die Baronin, Chevalier Lorainne und Soer Alexane eine Kemmenate für sich zur Verfügung hatten.
Zuerst trat Fleur an die Lagerstatt der Amme der kleinen Leah. Die Frau sah aus müden Augen dankbar zu ihr auf. "Es ist schön, wie du liest! Es tut nicht nur den Ohren, sondern auch dem Herzen gut.", sagte sie.
Fleur winkte beschämt ab, griff nach der kleinen Schale mit Wasser, wrang den darin liegenden Lappen aus und tupfte der Amme die Schweißperlen von Stirn, Wangen, Nase und Mund. Erneut erfrischte sie den Stoff und legte ihn schließlich auf die Stirn der Frau, die nun zaghaft lächelnd mit geschlossenen Augen vor ihr lag. Zum Glück war sie nicht allzu arg krank und hatte keine Probleme mit der Milch - das wäre eine wahre Katastrophe geworden, die kleine Leah und eine Amme, die wegen einer schweren Erkältung keine Milch mehr gab!
Die nächste Station der Wäschemagd war eine Gardistin, die um einiges schwerer erkrankt war. Fleur überlegte schon eine geraume Weile, ob es nicht besser wäre, diese einem Medicus vorzustellen. Manchmal bekam sie keine Luft mehr und wenn sie hustete, schien es, als zerisse es ihr schier die Brust. Auch rasselte ihr Atem ganz fürchterlich und während alle anderen vom Fieber gerötete Wangen und Ohren hatten, schien ihr die Haut wie ein Wachstuch über die Schädelknochen gezogen zu sein. Fleur erinnerte sich, sie auch früher schon immer mal husten gehört zu haben. Mochte sein, dass es ein altes Leiden war, das nun, im Zusammenspiel mit der Erkältung fatal sein könnte.
Sanft griff Fleur nach dem Ellenbogen der Gardistin, um ihr anzuzeigen, dass jemand bei ihr war. Dann wischte sie auch dieser Kranken das Gesicht mit einem frischen Tuch und gab ihr mit einem Stück Stoff gewässerten Gewürzwein auf die Lippen.
Gerade als die Wäschemagd sich wieder aufrichten wollte, griff eine eiskalte Hand nach ihr. Fleur zuckte erschrocken zusammen, als die tiefliegenden Augen der Gardistin sie plötzlich anblickten. Die Lippen der Kranken zuckten. Fleur beugte sich vor und hatte Mühe, die kaum mehr als gehauchten Worte der Frau zu verstehen.
"Tant va la cruche à l'eau qu'à la fin elle se casse."
Fleur erschrak. Der Lebenswille der Gardistin schien gebrochen. In den trüben Sumpflöchern von Augen spiegelten sich Erschöpfung, Trauer und Resignation. Sie schloss in stiller Dramatik die Lieder und es schien, als würde sie in sich zusammensinken. Sie gab sich auf.
"NON!", schimpfte da Fleur und stieß den Oberarm der Kranken an. "Hier wird nicht schlappgemacht! Wir päppeln dich schon auf! Und wenn wir zurückreisen, wird die Seeluft dir gut tun: der Wind wird deinen Kopf freimachen und das Salz die bösen Säfte in deiner Brust herausziehen!"
"Essaye voir!", krächzte die Gardistin und musste fürchterlich husten.
Fleur stützte sie auf, bis sie wieder einigermaßen ruhig atmen konnte. Dann stopfte sie ihr soviele Dinge unter den Kopf und Rücken, wie sie fand, bis die Liegeposition fast eine Sitzposition war. Sie winkte eine andere Frau herbei und begann, die Gardistin warm einzupacken...