Die Gebiete in Caldrien > Das Caldrische Imperium

Das Laviniakloster in Blanchefleur

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Vanion:
Vanion verstand, dass die Mutter Oberin diese Seelsorge auch ihm anbot. Aber genau wie sie wusste er, dass seine Aufgabe nicht beendet war, dass er nicht verweilen konnte. Und so sprach er:

"Schon einmal hatte ich die Bürde, eines Ordensritters Wappenrock zurückzubringen, und beide Male war Blut daran."
Er hob die Hände. Auf seinen Handflächen lag, ordentlich gefaltet, der zerschlitzte und geschundene Wappenrock, den Lorainne im Moment ihres Todes getragen hatte.
"Nehmt ihn zurück. Ihre Zeit im Orden ist nun beendet."

Eine Schwester trat heran und nahm Vanion den Stoff aus den Händen.
"Und eine letzte Bitte möchte ich an Euch herantragen. Gewährt mir Obdach, wenn die Zeit gekommen ist. Ihr wart es, die Lorainne nach mir schickte, um mich zurechtzuweisen, und recht habt Ihr daran getan. Ich gab Lorainne mein Wort, eine Zeit in diesem Kloster einzukehren, und in Demut und Gebet Buße zu tun. Einem Ritter, der die Blüten der Gottheit im Wappen führt, steht es nicht gut an, eine Hochzeit zu stören, und im Spätsommer des nächstens Jahres will ich Euch aufsuchen, um Lavinia eine Weile hier zu ehren, und meine Fahrten dafür unterbrechen."

Lorainne:
Die Klostervorsteherin legte ihre Hände auf seine. Beiden war harte Arbeit nicht fremd, Kampf und Blut. Und doch war due Berührung zart, wie eine Mutter, due dem Kind eine Träne von der Wange streicht.
"ihr werdet hier Obdach haben, chevalier. Ihr werdet hier innere Einkehr finden und auch Demut lernen. Aber der stolzrste Mann wird demut lernen, wenn die sterben, die er liebt. Ihr lernt sehr schnell."
Sie drückte seine Hand, mehr Trost konnte sie ihm nicht geben, gab ihm und Arienne noch einen Segen und verabschiedete sich sodann.
Ihre Pflichten rufen und als die Gruppe aufgebrochen war, hatten die Menschen im Kloster in ihren Alltag zuruckgefunden. Doch es gab eine Andacht mehr und mehr Menschen, due von dem ein oder anderen nun ins Gebet eingeschlossen wurde.

Vanion:
Einige Monate später ...

Der Reiter, der auf die Klostermauern zuritt, trug einfache Kleider. Gepflegt waren sie, aber nicht reich. Wetterfest, doch nicht abgerissen. An seinem Gürtel hing ein gutes Schwert in einer ledernen Scheide, und aus den Taschen, die das zweite Pferd aufgeschnallt trug, blitzte ein blauer und weißer Stoff hervor.

Man brachte den Herrn Ritter rasch zur Mutter Oberin, und er verneigte sich vor ihr. Die beiden wechselten nur wenige Worte.



Der nächste Tag begann mit dem Sonnenaufgang, und Vanion Bachlauf, Chevalier aus Roquefort, trat, angetan mit einem graubraunen Kittel, gemeinsam mit den Brüdern und Schwestern des Klosters auf die Felder und begann sein Tagewerk. Wie die anderen auch harkte er Stroh zusammen, schichtete Brennholz auf, zog hölzerne Karren mit Waren darauf, und wie die anderen fand er sich zu dem gemeinsamen Mittagsmahl ein, einem deftigen Eintopf, und wie die anderen betete er, wenn es Zeit zu beten war.

Wie er gelobt hatte, war der Herr Ritter zurückgekehrt, und hier würde er nun eine Weile bleiben, um Ruhe zu finden, Einkehr zu halten - doch zuallererst, um die Tugend der Demut erneut zu finden.

Vanion:
Und Demut sollte er schon bald finden.

Der Kittel war kratzig, der Boden hart, das Vieh war bockig. Es war, als sei er wieder Bauer. Die Glocken leuteten zur Morgenmesse, zur Mittagsstunde und zur Abendmesse. Das Nutzvieh des Klosters benötigte erstaunliche Aufmerksamkeit, und nachdem er im Kräutergarten mehr Kräuter als Unkraut gejätet hatte, hatte man ihn auf die Felder geschickt. Dort beharkte er nun die Furchen, gemeinsam mit den Novizen des Klosters. Man nannte ihn schlicht "Bruder", sonst wurde nicht viel gesprochen.

In der Frühlingssonne trat ihm rasch der Schweiß auf die Stirn, und hatte er am ersten Tag noch viel über Voranenburg, Pfauengrund, über Lorainne nachgedacht, so war doch der zweite Tag schon viel zu anstregend gewesen, als dass er noch lange wachgelegen hätte.

Man forderte mehr von ihm, als man von den Novizen forderte, und irgendwie fand man immer eine Arbeit für ihn, die etwas unangenehmer war als alle anderen. Und so dämmerte er in den wenigen Minuten, die er ohne Arbeit verbrachte, erschöpft vor sich hin, und bald empfand er die häufigen Gebete als willkommene Pausen, in denen sein Geist auf Reise ging. Zwiesprache hielt Bruder Vanion, Zwiesprache mit Lavinia und mit sich selbst, und nur selten kamen Gedanken auf, die die Welt außerhalb der Mauern betrafen.

Allein Yoriks Worte wollten nicht weichen, die Worte, die der heruntergekommene Prediger in Pfauengrund zu ihm gesprochen, zu allen gesprochen - und doch nur für ihn bestimmt.

Vanion:
Es war eisig. Wirklich eisig. Der Winter im Forêt d'Artroux war hart und kalt. Das hatten sie alle gewusst. Ein Feuer hatten sie lange nicht gewagt, anzuzünden. Die Häscher Savarics gingen um, und wen sie fanden, den brachten sie zum Sprechen, ganz gleich, ob man etwas zu sagen hatte oder nicht.

Tag für Tag war es tiefer in den Wald hinein gegangen. Die Lichtung kam ihnen schon fast wie eine Heimstatt vor. Hier standen die Verschläge, in denen Jules' Gefolgsleute hausten. Keine feste Wand und kein Dach gab es hier. Und dann war sie krank geworden. Die Kälte hatte ihr zugesetzt.

"Verflucht", stieß er hervor, als das kleine, freche Wesen mit den spitzen Ohren sich erneut bewegte.

Unter ihm knackten die laubigen Äste, die die Kälte des Bodens von seinen Gliedern fernhielten, und die Decke, die die kostbare Wärme da hielt, wo sie hingehörte, verrutschte.

"Ich will raus in den Schnee!" Anders' Stimme war heiser und kratzig, aber voller Tatendrang. Natürlich war sie das. Sie war krank. Hier draußen konnte das den Tod bedeuten. Das war ihr nur herzlich egal. Sie wollte spielen. Im Schnee.

Vanion grunzte etwas Unwirsches und schlang die Arme um den Kender, um sie bei sich zu behalten. Sie wand sich, und ihr Ellbogen drängte sich in seine Magengrube. Nun grunzte er etwas sehr Unhöfliches, legte sich etwas anders hin - aber der Kender lag quer über ihm. Ihr Kopf lag auf seinem Gesicht, sodass er Gefahr lief, an ihrem dichten Haarschopf zu ersticken. Ihr Rücken lag zum Teil auf seiner Brust, aber sie hatte sich so eingeknautscht, dass nicht mehr so recht festzustellen war, welche der restlichen Gliedmaßen nun eigentlich zu wem gehörten.

Als sie sich erneut wand, knallte ihr Hinterkopf gegen seine Nase.
"Jetzt hör auf! Du bist krank! Es ist scheiße kalt!"
"Aber der Schnee glitzert so schön unter den Sternen!"
"Du bist krank!"
"Aber der Schnee -"
"KRANK!"

Anders erschrak, als Vanion laut wurde. Dann zog sie trotzig den Kopf zwischen die Schultern. "Mir ist gar nicht kalt."
Vanion legte die Hand auf ihre Stirn. Nüchtern stellte er fest: "Natürlich nicht. Du glühst."
Rasch drehte Anders sich zu ihm um, wobei sie ihm weitere Glieder in diverse Körperteile bohrte, und stützte sich mit spitzen Ellenbogen auf Vanions Brustkorb auf.
Mit einem frohen Grinsen auf den Lippen sagte sie in einem Tonfall, als hätte sie grade eine Diskussion erfolgreich beendet: "Ja dann kann ich ja spielen!"

Vanion seufzte und resignierte. Dann schlang er die Arme fester um Anders und hielt sie fürsorglich fest, in dem Kokon aus der wenigen Wärme, die sie sich teilten, gefangen.

Diese Nacht würde noch sehr lang werden.


"Was schmunzelst du denn, Bruder Vanion?"
Die nicht unfreundliche Frage kam von einer der Schwestern des Klosters, als sie beim Frühstück saßen und einen Brei löffelten.
"Ich musste an einen Traum denken, den ich in der letzten Nacht hatte, Schwester."
"Dann war es ein guter Traum?"
"Ja, das war es. Lob sei Lavinia dafür." Vanion hatte in den letzten Monaten, wenn er denn geträumt hatte, nichts als Albträume gehabt. Seit er in dem Kloster war, mehrten sich die schönen Erinnerungen, und trotz des harten Alltags spürte er von Tag zu Tag, wie eine innere Ruhe einkehrte. Die Wunde, die Lorainnes Tod gerissen hatte, wurde hier geheilt, und mochte sie gewiss niemals gänzlich heilen, so lernte er doch mehr und mehr, den Verlust zu ertragen.

Gestern noch hatte er mit der Mutter Oberin gesprochen, und er erinnerte sich ihrer Worte: So fügt es die Mutter, dass die, die Frieden und Heilung suchen, zur rechten Zeit hier einkehren.

Er unterhielt sich noch eine Weile mit der Schwester, bis ein junger Bursche an sie herantrat. "Mit Verlaub, Bruder Vanion - die Mutter Oberin möchte mit dir sprechen."

Er folgte dem Burschen rasch und war gespannt, was die Äbtissin von ihm wollte. Als er in ihre Kammer trat, schrieb sie grade einige Zeilen auf ein Papier. Kaum war sie fertig, faltete sie die Seiten und siegelte sie. Dann erklärte sie, was sie von Bruder Vanion wollte: "Dieser Brief und auch einige Spenden müssen zum Tempel in Fanada gelangen. Reise als Bruder Vanion dorthin, ruhe dich einen Tag aus, dann kehre zurück nach hier."

Mit mildem Erstaunen sah Vanion die Äbtissin an. Er hatte nicht damit gerechnet, das Kloster verlassen zu dürfen. Sie lächelte, als sie seinen fragenden Blick sah, und sprach: "Die Zeiten sind unsicher geworden. Wir sind friedfertig, aber nicht naiv. Dein starker Arm wird dafür sorgen, dass die Münzen ihren Weg in die richtigen Hände finden, und dein gutes Pferd wird dich davon tragen, bevor die Kirchengelder in falsche Hände geraten. Doch nimm dir einen guten Knüppel mit. Solange du unser Bruder Vanion bist, ist dein Schwert in diesem Kloster besser aufgehoben als an deiner Hüfte."

Respektvoll verneigte Vanion sich. Dann kehrte er zurück in seine Kammer, um das wenige, was er für den Ritt benötigte, einzupacken. Während er sein Bündel zurrte, kam er nicht umhin, etwas zu grinsen: Balerians Taverne war nicht weit von Fanada. Und so er in Demut handeln würde, sprach nichts dagegen, vielleicht einige bekannte Gesichter zu sehen an dem einen Abend, den er dort hatte.

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