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Autor Thema: Allein in der Dunkelheit  (Gelesen 4359 mal)

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Mel

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Allein in der Dunkelheit
« am: 13. Apr 13, 20:55 »
Blut.
Blut und Erde.

Ihre Nasenflügel blähten sich, als sie die Gerüche tief in sich aufsog.
Rauschen in ihren Ohren.
Wasser?
Die Droor?

Wappen tanzten vor ihrem inneren Auge, doch konnte sie sie nicht zuordnen.
Was machte sie an der Droor?
Warum war sie hier?

Das Wasser färbte sich rot von Blut.
Jäh ruckte sie hoch.
Und bereute es im nächsten Moment.
In ihrem Kopf hämmerte es und obwohl sie nichts sehen konnte, drehte sich die Welt um sie herum.
Dann sank sie zurück in die Dunkelheit.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #1 am: 21. Apr 13, 20:14 »
Wilde Träume wirbelten in ihrem Kopf umher.
Namen, die sie einst kannte, und die jetzt ohne Bedeutung waren.
Gesichter, die ihr einmal so vertraut waren, wie ihr eigenes und die jetzt zu entstellte Fratzen verschwammen.
Wer sind die Lebenden, wer die Toten?
Sie versuchte sich zu erinnern, doch nichts als Schwärze umhüllte sie.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #2 am: 29. Apr 13, 21:28 »
Jede Faser ihres Körpers schmerzte, ihr Kopf dröhnte.
Vorsichtig öffnete sie die Augen und sah... nichts.
Man hatte ihr einen Sack über den Kopf gestülpt und als sie ihn von ihrem Kopf ziehen wollte, musste sie feststellen, dass man ihre Hände auf dem Rücken gefesselt hatte.
Zut alors!
Das Dröhnen wurde stärker und für einen kurzen Moment schloss sie die Augen.
Un, deux, trois...
Als sie sich wieder beruhigt hatte, versuchte sie sich an die Geschehnisse zu erinnern.
Wer war sie, wo war sie, vor allem: WAS war passiert?

Offenbar war sie allein.
Probehalber versuchte sie ihre Gliedmaßen zu bewegen.
Sie war gefesselt und durch ihre unbequeme Lage war ihr linker Arm eingeschlafen, aber sie konnte keine weiteren Auffälligkeiten feststellen.
Zur Sicherheit fuhr sie sich mit der Zunge über die Zähne - waren auch noch alle da.
Als sie ihre Position wechselte, stellte sie fest, dass an ihrem Gürtel immer noch ihr Messer hing.
Diese Trottel! Die haben mir doch tatsächlich mein Messer gelassen.

Hoffnung keimte in ihr auf und sie musste sich zusammenreißen, nicht laut zu lachen.
Umständlich winkelte sie ihre Arme an und versuchte das Messer aus der Scheide zu ziehen, festzuhalten und gleichzeitig ihre Fesseln daran aufzuribbeln.
Mehrfach rutschte sie ab und schnitt sich in den Arm oder die Hand.
Nach kurzer Zeit war ihre Kleidung von Schweiss durchnässt.
Vor Anstrengung wurde ihr übel und ihr Atem ging schneller.
Nicht ohnmächtig werden! Gleich hab ich es, fast durch...

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #3 am: 03. Mai 13, 21:04 »
Sie unterdrückte ihren Jubelschrei.
Geschafft!
Blut lief über ihre Hand, doch das war nicht wichtig- sie war frei!
Erschöpft blieb sie einen Moment liegen.
Einen Moment zu lange.

Stimmen um sie herum, fluchend, schimpfend.
Sie wollte sich schnell den Sack vom Kopf streifen, doch da wurde sie am Nacken gepackt.
Das Messer!
Sie stiess es blind nach hinten, jemand schrie auf und der Griff löste sich.

Weitere Hände griffen nach ihr, mindestens zwei Paar.
Sie wand und wehrte sich, stiess ihr Messer dahin, wo sie ihre Gegner vermutete.
Schmerzensschreie belohnten ihre Mühen.
Doch vergebens.
Jemand packte ihr Handgelenk und entwand ihr das Messer.
Sie spürte Knochen in ihrem Gesicht brechen, als sie getroffen wurde.
Dann explodierte der Schmerz in ihrem Kopf.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #4 am: 22. Mai 13, 10:06 »
Sie musste eingeschlafen sein, denn nun hörte sie die Vögel zwitschern.
Es war Tag.
Nur ein Traum.
Erleichtert versuchte sie sich aufzusetzen.
 
Empörung, Wut und Verzweiflung erfassten sie, als sie sich wieder gefesselt fand, und wieder konnte sie um sich herum nichts sehen.
Diesmal hatten sie die Stricke aber fester und ihre Arme zusätzlich an den Körper gebunden, so dass jedwede Bewegung unmöglich war. Sie konnte sich nur herumrollen und selbst das kostete enorme Anstrengung und dabei sah sie wie ein Fisch auf dem Trockenen aus.
Entwürdigend.

Leise fluchte sie und löste damit neue Schmerzen in ihrem Gesicht aus. Ihr Kiefer schien gebrochen und ein Auge konnte sie kaum öffnen.
Da an ihrer Situation nichts ändern konnte, begann sie ihre Gedanken zu ordnen.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #5 am: 27. Mai 13, 21:56 »
Ihre Gedanken schweiften ab, zu längst vergangenen Tagen.

Es war ein sonniger Tag und sie tobte mit ihrem Bruder über die Wiesen, als zwei Männer die Straße entlang ritten. Freudig stürmten die Kinder auf sie zu.
"Papa, Papa!"
Sie rangelten, jeder wollte als erstes bei den Männern ankommen, der eine in grün- weiss, der andere in schwarz mit einer leuchtend gelben Harfe auf der Brust.
Knapp verlor sie gegen ihren Zwillingsbruder, der lachend vom Vater auf das Pferd gehoben wurde.
Traurig schaute sie zu dem anderen Mann und streckte ihm die kleinen Ärmchen entgegen.
Der Mann mit der harfe sprang vom Pferd, verbeugte sich vor ihr und hob das jauchzende Kind hinauf:
"Je suis un chevalier! Regarde Antoine. Je vais etre un chevalier. comme toi!" verkündete sie stolz.
Ihr Bruder schüttelte bestimmt den Kopf: "Les filles ne seront jamais chevaliers. N'est pas, Simon?"


Ja, es war ihr nicht bestimmt gewesen, und doch war sie jetzt hier, aller Widerstände zum Trotz.
Von Simon selbst zum Ritter geschlagen.
Chevalier Lorainne de la Follye des Joux.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #6 am: 02. Jun 13, 11:05 »
Die Dunkelheit schärfte langsam ihre Sinne. Sie nahm jedes, noch so kleine Geräusch wahr, roch jede Veränderung in der Luft.
So auch jetzt.
Sie hörte eine männliche Stimme, die ihr vage bekannt vorkam. Flehen, Gebete, einen Schrei.
„Qui est là?“
Doch ihre Frage blieb unbeantwortet. Dann landete etwas mit einem dumpfen Geräusch neben ihr.
Verschiedene Gerüche stiegen ihr in die Nase. Erbrochenes, Angstschweiß und etwas anderes, Vertrautes.
Lorainne schloss die Augen, obwohl es in der Dunkelheit keinen Unterschied machte, ob ihre augen geschlossen oder geöffnet waren.
Doch es half ihr, sich zu konzentrieren.
Jemand WAR in ihrer Nähe. Wahrscheinlich ebenfalls gefangen.

Während des Krieges, wenn ihr die Wirklichkeit zu brutal erschien, wenn sie Heimweh hatte oder schlicht Angst und sie von Alpträumen geplagt wurde, hatte sie oft die Augen geschlossen und war in ihre eigene Welt eingetaucht.
Manchmal reichte ein kurzer Moment und die Erinnerung an Zuhause, manchmal,  wenn sie Angst hatte, sich nicht mehr erinnern zu können, stellte sie sich jedes einzelne Gesicht, das sie kannte vor, murmelte die dazugehörigen Namen und hörte die Personen fast schon Sprechen.

Sie begann mit den Menschen, die ihr am nächsten standen.
Simon, Vanion, Damian, Gorix, Maugrim, Kassos....
Jedes Gesicht tauchte vor ihr auf und es war fast so, als wären sie alle wieder vereint, so wie damals, beim Pilgerzug, als sie gemeinsam lagerten, aßen, kämpften und feierten.

Es hatte etwas tröstliches, doch die Stimme in der Dunkelheit schien zu niemanden zu gehören.
Wer war da bei ihr?

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #7 am: 10. Jun 13, 21:41 »
Die Gebete waren verstummt, als sie aus den seltsamen Träumen erwachte.
Es war, als wäre eine immense Last von ihr abgefallen.
Die Trauer um ihre Leute, um Vanion war abgefallen, und hatte Platz gemacht für etwas anderes, grausameres.
Lorainne war erschrocken über sich saelbst, doch sie wusste, dass dieses Gefühl sie am Leben halten würde.
Wenn sie sich erst aus ihrer Lage befreit hatte, würde sie diejenigen, die den Tod über vanion, Erik, Jacques und die anderen gebracht hatten, zur Verantwortung ziehen.
Egal wie lange es noch dauern mochte.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #8 am: 25. Jun 13, 22:54 »
"Los, hoch mit Dir."
Sie musste eingeschlafen sein,  denn sie hatte niemanden kommen hören.
Grob wurde sie hochgezogen und endlich zog man ihr den Sack vom Kopf.
Gierig sog sie die frische Luft ein- ohne den modrigen Geruck von steifem, alten Leinen.
Als sie sich umsah, entdeckte sie etwas von sich entfernt einen leblosen Körper am Boden, ringsum Blut.

Die Umgebung kam ihr vage bekannt vor, doch es war tiefschwarze Nacht, so dass sie nicht viel erkennen konnte.
"Wer seid ihr? Für wen..." weiter kam sie nicht, als ihr ein harter Schlag in den bauch alle Luft aus den Lungen entweichen ließ.
"Das wirst Du schon noch erfahren. Und lass Dir gesagt sein: Dein Schreien wird hier niemand hören."


Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #9 am: 30. Jul 13, 22:46 »
Sie hatte nicht geschrien.
Vor Überraschung hatte sie keinen Ton heraus gebracht, als ER vor ihr stand.
Unfähig, die Fragen zu stellen, die ihr durch den Kopf schwirrten.

Doch die Überraschung war sehr schnell Ekel und Angst gewichen, als sie registrierte, wie er sie ansah.
Haßerfüllt, hämisch, lüstern.

Während sie sich den Kopf über den Sinn ihrer Entführung zerbrach, schweiften ihre Gedanken immer wieder ab- sie konnte sich nicht konzentrieren, zu hart lag ihr der Klumpen der Angst im Magen.
Würde er sie anrühren?
Sie betete zu den Göttern, dass er keine Gelegenheit dazu haben würde und dass endlich jemand nach ihr suchte und sie bald finden würde.


Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #10 am: 04. Aug 13, 19:49 »
Mittlerweile hatten sich ihre Augen so gut an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie nahezu jede Veränderung wahrnahm. Und selbst wenn sie nichts sah, hörte sie das kleinste Geräusch.
Ja, die einsamen Tage im Dunkeln hatten ihre Sinne geschäft.
Sie konnte die Gestalt nur verschwommen erkennen, aber umso deutlich hörte sie sie atmen.
"Qui est là?" Ihre Stimme war rauh vom seltenen Gebrauch.
"Zeig Dich gefälligst, ich WEISS, dass da jemand ist."
Kaum gesagt, löste sich die Gestalt aus der Dunkelheit und kam auf sie zu.
Lorainne hörte Stiefel über den Boden kratzen, roch Leder, Bier und Männerschweiß.
Dann stand er grinsend vor ihr und strich ihr über die Wange.
"Na, mein Täubchen?!"
Es klang wie eine Drohung.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #11 am: 11. Aug 13, 11:53 »
Es war wie im Krieg. Sie liess sich allein von ihrem Instinkt leiten.
Eines hatte sie ihm voraus: Die Erfahrungen im Krieg. Denn während er sich bei den hohen Herren eingeschleimt und sich feige vor dem Krieg gedrückt hatte, stand sie nebenSimon auf den Schlachtfeldern. Brega, Ahrnburg, Engonia.
Die Kette, die sie festhielt, liess nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit zu.
Gerade genug, um ihm seinen Dolch zu entwenden.


Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #12 am: 25. Aug 13, 14:28 »
"Quoi..." fluchte er.
Lorainne umklammerte den Dolch.
"Ein Schritt näher, dann..."
Mehrmusste sie nicht sagen. Ihre Stimme war verzerrt von gebändigter Wut.
Wenn er sich tatsächlich näher heranwagen würde, würde diese Wut hervorbrechen und nicht zu besänftigen sein.
Sie lechzte nach seinem Blut.
 
Er war dumm genug, das nicht zu bemerken.
Sie stieß zu, einmal zweimal.
Spürte den kurzen Widerstand, als der Dolch auf Haut traf.
Und dann hinein glitt wie ein Messer in Butter.

Er jaulte auf wie ein verletztes Tier.
Doch sein Schmerz befriedigte sie keineswegs.

Irgendwie hatte er sich aus ihrer Reichweite gebracht, sie wollte ihm nachstellen, doch die Kette hielt sie zurück.
Jetzt gab sie tierische Laute von sich, knurrte wie ein hungriger Wolf.
Doch sie kam nicht mehr an ihn heran.

Er hatte sich gesammelt, stand zitternd weit genug entfernt von ihr und war wieder mutig genug für weitere Drohungen.

Mel

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Re: Allein in der Dunkelheit
« Antwort #13 am: 27. Aug 13, 07:41 »
Für einen Moment war es so still, dass er sein Blut auf den Boden tropfen hören konnte.
Er hörte wie sie knurrte und keuchte.
Offenbar hatte er sie unterschätzt.
Dass sie immer noch lebte, überraschte ihn. jede andere Frau wäre vermutlich längst tot, aber sie hatte auch den Krieg überlebt, womit er auch nicht gerechnet hatte, im Gegenteil.
Er hatte einiges versucht, ihre Familie loszuwerden, dummerweise kam ihm jetzt die anderen in die Quere, mit ihren eigenen Zielen.

"Dir wird Gehorsam beigebracht werden, und dann wirst Du es nicht verhindern können."
Damit verliess er sie, um sich verarzten zu lassen, denn auch wenn sie ihn nicht schwer verletzt hatte, schmerzten ihn die Wunden schrecklich