Der Städtebund von Tangara > Hier und dort in Tangara
Die Stunde der Wahrheit - Sommer 263 n.J.
Vanion:
Was hat das nun wieder zu bedeuten? Die Farben der Binomis hatte der Knappe auf Anhieb erkannt. Er hatte versucht, einen Blick auf das Siegel an der ominösen Botschaft zu erhaschen, aber er vermutete, dass ihn das ohnehin nicht weitergebracht hätte. Was für eine Nachricht würde ein Bote der Binomi einer Richterin der Falcone übergeben? Und warum musterte diese Frau ihn die ganze Zeit? Wenn man tatsächlich versucht, mich in Politik hineinzuziehen.. Unwillkürlich erinnerte sich Vanion an Jelenas Meditationstechniken. Zwar nicht so ganz, und es würde wohl äußerst lächerlich wirken, wenn er jetzt irgendwelche Figuren mit Händen und Füßen zu formen begann - aber gab es da nicht eine Atemtechnik? Ach, was soll's. Tief durchatmen wird reichen. Gedacht, getan: langsam und tief sog der Knappe die langsam stickig werdende Luft des Gerichtsaals ein. Er zwang sich zur Ruhe, die durch die anderen Verhandlungen hervorgerufene Verzögerung stellte sich als wohltuender Dämpfer seiner Nervosität heraus. Zum bestimmt einhundertsten Mal ging Vanion im Geiste die Liste seiner Zeugen, Beweise und Argumentationen durch, bis er schließlich, ohne ängstlich, schuldbewusst oder aufsässig zu wirken, sich im Sitzen aufrichtete und den Blick der Richterin erwiderte. Es wurde Zeit, anzufangen.
Engonien NSC:
"In der Sache das hohe Gericht gegen Knappe Vanion Bachlauf bitten wir den Delinquenten auf der Anklagebank Platz zu nehmen. Ihm wird vorgeworfen Mord und Leichenschändung an einem Mitglied des Orden des heiligen Jeldrik sowie der Versuch sich der Gerichtsbarkeit zu entziehen. Die Zeugen welche da aussagen wollen in dieser Sache mögen sich bereit halten!"
ertönte die leicht quietschende Stimme des Schreibers.
Vanion:
Wenn ich's mir recht überlege, könnten wir noch warten... einhundert Jahre würden genügen., schoss Vanion durch den Kopf. Trotzdem stand er auf und verließ die Anklagebank, mit den Blicken der Zuschauer und auch seiner Freunde im Nacken. Eine ekelhafte Situation, für den Knappen war es fast, als würde er am Pranger stehen. Zügig durchschritt er den plötzlich riesig erscheinenden Saal, bis er die Anklagebank erreichte und sich dort hinsetzte.
Engonien NSC:
Der Schreiber fuhr fort die Anklageschrift zu verlesen und entsprechende Berichte vorzuzeigen. Dazu gehörten unterschriebene Zeugenaussagen, der bezeugte Bericht des Schreibers der Tangara Postille, der Bericht aus der Zeitung selbst und nicht zuletzt das Fahndungsplakat.
Offensichtlich hatte die Richterin ihren Beruf gemacht, denn die Anklage war gut vorbereitet und keineswegs reisserisch. Es war klar, sollte der Angeklagte es nicht schaffen seine Unschuld lückenlos zu beweisen standen ihm harte Zeiten bevor.
Frau Falcone betrachtete abwechselnd den Knappen vor ihr und die Zeugen die sich hinter ihm bereit stellten. Ihr Gesichtsausdruck war etwas rätselhaft.
Nachdem der Schreiber verstummt war war es eine Zeit lang so still im Saal das eine Stecknadel hätte fallen hören.
"Was habt ihr gegen diese Anklage vorzubringen, Meister Bachlauf?"
Vanion:
Vanion straffte sich. "Hohe Richterin Falcone, sämtliche Anschuldigungen sind nicht wahr." Ein Raunen ging durch den Saal. "Es hat kein Mord stattgefunden. Ich habe die Leiche des Ritters nicht ausgeraubt, noch habe ich sie unter einem Misthaufen verscharrt, wie die Schreiberlinge behaupten." Er legte die Hände auf den Tisch.
"Im letzten Winter befand ich mich in einem Dorf namens Schlagbaum, recht abgelegen im Westen Fanadas. Ich war fast das ganze letzte Jahr dort gewesen. An einem kalten Winterabend saß ich in der Dorfschänke und trank mein Bier, als ein alter Ritter hereinkam. Irgendwann entwickelte sich ein Gespräch, ich erfuhr seinen Namen: Konrad von Hirschsprung. Aus dem Gespräch wurde ein Streitgespräch um die Geschehnisse des Pilgerzuges, um meine Rittermutter, um die Götter selbst. Wir argumentierten immer schärfer gegeneinander, bis er schließlich eine Herausforderung aussprach. Er sei bereit, über meinen Stand als Knappen hinwegzusehen. Also kämpften wir. Ich gewann." Der Saal war totenstill.
"Ein Mann namens Felix Tauler, der auch hier als Zeuge anwesend ist, ist nach Schlagbaum gereist. Er hat mit dem Wirt gesprochen, mit anwesenden Gästen, und er kann wiedergeben, was sich wirklich zugetragen hat." Vanion beschloss, direkt weiterzumachen. Er hoffte, dass man Felix Glauben schenken würde. Zur Not schien Felix aber noch etwas in der Hinterhand zu haben.
"Er kann ebenfalls bestätigen, dass die Leiche des Herrn Ritter auf dem Friedhof in Schlagbaum beerdigt wurde. Ich selbst sprach in Lavinias und Alamars Namen die letzten Worte für seine Seele." Jetzt wurde es schwierig. "Konrad von Hirschsprung wurde mit all seinen wenigen Habseligkeiten, mit seinem Schwert auf der Brust bestattet. Einzig seinen Wappenrock nahm ich an mich, um ihn dem Orden Jeldriks in Engonia zu überreichen, mit Nachricht von diesem unseligen Duell. Auch dafür habe ich Bürgschaft." Der Knappe zog den Brief hervor, den Kassos' Bote ihm gebracht hatte und überreichte ihm einem Gerichtsdiener, der ihn zur Richterin brachte.
"Knappe Vanion,
wir möchten Euch danken dafür, den Heiligen Orden der Jeldriken (ehemals zu Ahrnburg) zu Engonia vom ehrenvollen und doch verfrühten Tode des Streiters, Ritters und bescheidenen Dieners Jeldriks Konrad von Hirschsprung zu unterrichten. So sehr der Orden es bedauert, ein altgedientes Mitglied verloren zu haben, so sehr weiß er jeden zu schätzen, die Jeldrik und die Seinen mit Respekt und Anstand begegnen.
Daher soll dieses Schriftstück bezeugen und bestätigen, dass Ihr, Vanion Bachlauf, Knappe der Chevalière De La Follye, keinesfalls ein Leichenschänder oder gar Grabräuber seid, sondern vielmehr ein aufrechter Mann, der dem Orden den Wappenrock eines seiner Streiter zurückbrachte.
Wir hoffen, dass Jeldriks Geist Euch stets begleite und über Eure Taten wache, im Guten wie im Schlechten, als Beschützer und auch als Richter.
Unterzeichnet:
Lirion Alstrom,
Schreiber und Sekretär des Heiligen Ordens der Jeldriken zu Engonia,
im Namen des Ordens und des Schutzpatrons Jeldrik,
verfasst zu Engonia im Juni 263 n.J."
Ermutigt durch seine eigenen Worte schloss Vanion mit fester Stimme:
"Ich bin kein Szivarspaktierer, kein mordender Kultist, wie es in diesem Schmutzblatt steht. Im Gegenteil! Ich kämpfte für die guten Pilgerzügler, ich war dabei, als Engonia an die Rebellen fiel und Konar starb. Ich war dabei, als der Schwarze Mond, ein Artefakt des Täuschers, zerstört wurde! Ich kämpfte im Arden gegen Kreaturen des Täuschers! Freunde von mir sind gefallen, die Geschichte der Sturmrufer sei hier nochmal benannt!
Und sollte mein Wort angezweifelt werden, so sind hier namhafte Männer anwesend, die für meinen guten Leumund bürgen: Ysander, ein Priester und Schwertbruder im Namen der Göttin Elja, sowie der Priester Kassos Blutklinge, Geweihter Tiors, einer der Priester, der den Pilgerzug gegen den Ursurpator Konar ausgerufen hat." Und nicht zuletzt spreche ich hier als Knappe einer caldrischen Chevalière. Aber das wäre nun wirklich unklug.. "Dazu kommt das Vertrauen der Valkensteiner Gardisten, die eine nicht unbeträchtliche Kaution für mich hinterlegten. Auch sie vertrauen auf mein Wort und meine Unschuld."
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