Als der Priester die albtraumhafte Gestalt endlich erlegt hatte, änderte sich schlagartig die Szene und raubte Sasha den Atem.
Sie stand wieder in einem Wald in einer Vollmondnacht. Doch dieser Wald war dichter und ließ kaum Mondlicht bis zum Boden durch.
Wieder schaute die Wolfselfe sich um, fast schon neugierig darauf, was Tior ihr diesmal zeigen wollte.
Sie hatte sich kaum einmal um sich selbst gedreht, als etwas mit lautem Rascheln aus dem Unterholz brach und sich auf sie stürzte.
Sasha wurde zu Boden gerissen und rollte sich gerade noch zur Seite, als eine mächtige Klaue den Waldboden an der Stelle aufriss, wo sie zu Boden gegangen war.
Ein übler Gestank erfüllte ihre Nase, eine Mischung aus Fäulnis und Verderbtheit, als sie versuchte sich aufzurichten und ihren Gegner mit dem Blick zu erfassen.
Über ihr stand ein Mannwolf. Ähnlich dem in der ersten Vision.
Das Fleisch des mächtigen Wolfsschädels war an einigen Stellen schon verrottet und man konnte den bleichen Knochen hindurch schimmern sehen, das Fell hing in verwesenden Fetzen herunter. Die Reißzähne waren braun verfärbt und der Geifer troff grünlich aus dem weit geöffneten Maul.
Aber der Anblick, der sich wahrscheinlich für immer in Sashas Seele einbrennen würde, waren die Augen der Bestie.
Die Augen von Kassos.
Die Zeit schien für einen Augenblick stillzustehen, die Szenerie fror ein. Selbst die Bäume erstarrten.
Nichts bewegte sich.
Und in Sashas Kopf ertönte eine tiefe grollende Stimme, die ihr nicht unbekannt war.
Sei gegrüßt, Dienerin meines Bruderwolfes Askar.
Du hast gefragt...hier ist meine Antwort.
Ich habe den, der sich Kassos nennt, nicht verstoßen. Ich musste mich von ihm abwenden, denn seine Zukunft in meinen Diensten ist düster und verdorben und hat nichts mit Ehre zu tun.
Er hat alles gegeben um den neuen Glauben zu verbreiten...und er war dabei sich selbst aufzugeben, den Teil, der ihn ausmacht, den menschlichen.
Sein Lebensweg war nicht immer gradlinig und er hat Entscheidungen getroffen, die ihn viel gekostet haben.
Ist dir aufgefallen, dass er schon seit vielen Monden nicht mehr mit meinem Namen auf den Lippen in den Kampf gezogen ist?
Der Priester in ihm ist völlig ausgebrannt, Paladin. Bleiben würde nur das, was du gesehen hast.
Und der einzige Weg, der mir offen blieb, um ihm für seine Treue zu danken, war dieser.
Die Szenerie erwachte aus ihrer unwirklichen Starre, mit einem weder menschlich noch wölfisch zu nennenden Schrei warf sich der riesige verottende Mannwolf auf die Wolfselfe.
...und Sasha fand sich in dem runden Tior-geweihten Tempelraum im Tormentor-Tempel in Port Valkenstein wieder, den zerbrochenen Obsidian immer noch mit der linken Hand umklammernd.
Maugrim kniete neben ihr und sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
„Was war das denn...?“
*Sasha hatte zuerst Mühe, den Tormentor-Priester mit ihrem Blick zu fixieren, dann atmete sie einmal tief durch.*
„Das....war eine Antwort.“