Die Gebiete in Caldrien > Das Caldrische Imperium

Winter 265 n.J., Lager des grünen Ritters, nach dem Schützentunier

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Vanion:
"Manche Äcker muss man salzen. Wenn der Boden so voll von Unkraut und kranker Saat ist, so salzt man ihn und lässt den Regen alle Spuren fortwaschen." Härte sprach aus Vanions Worten, stählerne Härte. "Tränen sind salzig."

Voller Bitterkeit spuckte er die wenigen Worte aus. Vielleicht war es wirklich besser, Anders fortzuschicken. Weit fort. Doch was, wenn ihre Familie sie fand? Was, wenn Savaric sie ausfindig machte? Er trug nun eine Verantwortung für Anders, und nicht nur er  - Lorainne trug eine. Lorainne hatte wegen Silas, wegen diesem verfluchten Geheimnistuer, alles auf's Spiel gesetzt, und mit welchem Recht? Wilde Wut flammte in ihm auf, und er trat plötzlich einen dicken Ast in die Glut. Das Feuer zischte, und ein Stück glühendes Holz, das auf seinem Bein landete, und ein plötzlicher Schmerz in seiner Hüfte brachten ihn zur Besinnung. Sie würde dasselbe für dich tun, du dummer Esel! Darum hat sie das getan! Aus Liebe!

Ruhiger wandte er sich Anders zu und sah ihr direkt in die Augen. "Weißt du, ich habe immer Heldengeschichten geliebt. Ich wollte immer welche hören!" Er schmunzelte. "Nur zuhause, am Kaminfeuer, wenn man keine Sorgen hat und auch kein Schwert, dann hört sich alles immer so leicht an. Der hehre Ritter tötet den Unhold, und dann heiratet er die Prinzessin und ist dereinst König im Land der Märchen. Oder er opfert sein Leben für die Seinen, und dereinst trocknen alle Tränen und er speist mit den Göttern. Immer, wenn ich eine solche Geschichte gehört hatte, wollte ich selbst ein Held sein. Den Schwachen helfen, ja, Gutes tun, ja, aber vor allem wollte ich, dass irgendwann eine Mutter zu ihrem Sohn sagt: 'Und nun erzähle ich dir die Geschichte von Vanion, dem größten und tapfersten Ritter, den Engonien je gesehen hat'."
Ein Lächeln und auch ein Schatten huschten über sein Gesicht.
"Nun, zu solchen Geschichten wird es wohl niemals kommen. Ich mag ein Ritter werden und eines Tages von Lorainne den Schlag erhalten, der nie gesühnt wird - aber meine Ideale hab ich aufgegeben. Der Täuscher verdirbt Freund und Feind, das weiß ich nun. Ich habe getötet, oft und ohne Zögern. Solche Taten vergeben die Götter nicht. Jede Heldengeschichte ist von Menschen gemacht, und Menschen sind schwach. Eine Heldentat ist es, wenn eine Mutter ihr Kind zur Welt bringt. Eine Heldentat ist es, wenn aus Ziegelsteinen und Holz ein Haus entsteht, das Wärme, Licht und Schutz bietet! Doch einen Mann zu erschlagen, ist keine Heldentat. Das ist allein die Furcht, zu sterben. Warum sonst führt man das Schwert besser als der andere? Weil man, wenn man verliert, stirbt. Helden haben Blut an den Händen, jeder einzige."
Die ganze Zeit hielt Vanion den Blick direkt auf Anders' Augen gerichtet.
"Savaric muss sterben, und es wird keine Heldentat sein. Niemand wird darüber singen. Ein krankes Tier zu töten verdient keine Geschichte. Er mag mein Onkel sein, doch ich hab ihn nie gekannt!"
Vanions Stimme wurde lauter, hysterischer, doch hielt er sich im Zaum.
"Was macht einen Mann denn zum Onkel, was hält eine Familie zusammen?! Doch wohl nicht die Geburt, oder? Dann wäre ich kein Knappe, wenn's nur darum ginge, wer mit wem nachts zugange ist! Meine Familie waren Tangaraner, und sie sind es noch! Meine Schwestern sind Tangaraner, meine Mutter und auch - mein Vater." Barak - wohl eher Baraque, verflucht! - war in Caldrien geboren, doch hatte er sich nicht für ein Leben als Bauer in Tangara entschieden?

"Darum geht es - Entscheidungen! Du hast dich dafür entschieden, zu bleiben, wir haben uns entschieden, dir zu vertrauen! Wir haben uns immer wieder füreinander entschieden! Meine wirkliche Familie ist Lorainne! Lorainne de la Follye des Joux ist meine Familie, und Anders, der Kender, und Jeanne, meine Tochter! Savaric gehört nicht zu meiner Familie, das hat dieses Ungeheuer nie getan! Bei den Göttern, er ist hässlich wie die Nacht und verschlagen, als sei der Täuscher selbst auf Erden! Nein, nein, nein!"

Anders:
Anders schwieg. Irgendwie war das letzte wieder flasch rüber gekommen. Naja gut sie war ja auch neu auf dem Gebiet. Also versuchte sie es nochmal. "Ich weiß das er nicht deine Familie ist, also dein Onkel und ich habe mich von meiner ja auch losgesagt und trotzdem. Ich ... mag es nicht das Familien untereinander so sind. Zumindest unsere. Andere Familien sind doch auch nett zu einander. Ich..."
Sie ahnte bei Vanions gesichtsausdruck dass es nichts mehr bringen würde und brach ab, zuckte nur noch einmal mit den Schultern und schaute wieder ins Feuer.
"Wieso bist du die ganze Zeit wütend?", fragte sie schließlich. "Nicht nur auf Savaric, sondern auch auf alle anderen und auf dich? Ich bin auch... verwirrt und... andere Dinge, aber ich versuche ... damitklar zu kommen und meinen Kopf wieder ruhig zu kriegen. Aber du bist schon so lange wütend."
Sie schaute kurz zu ihm und ruderte dann wieder zurück. "Aber... ich glaube das ist kein gutes Thema. Entschuldige..."
Sie seufzte und steckte das Band wieder in ihren Beutel. "Ich habe heute zwei Elstern gesehen. Sie bauen unweit ihr Nest von hier. Langsam wird es wohl doch Frühling."

Vanion:
Es war fast spürbar, wie Anders sich wieder zurück zog. Vanion schalt sich einen Narren. Sie war ihm tagelang ausgewichen, und nun schmiss er sie mit Rache und Hass zu. Wie sollte ihr das helfen? Er sammelte seine Gedanken. Zaghaft hatte sie nach seiner Wut gefragt, und eine Antwort schien sie nicht einmal zu erwarten. Bestürzt bemerkte Vanion, dass Anders sich nicht nur wegen der Dinge, die ihr geschehen waren, von ihm zurück zog, sondern auch, weil sie ihn nicht mehr so sah wie früher. Wie konnte das sein? Hatte er sich so sehr verändert?

"Ja, es wird Frühling", sagte er, doch blieben seine Gedanken bei Anders' vorherigen Worten. Savaric war eine Kreatur des Täuschers, nicht wahr? Ein falscher, schlimmer Mensch. Das, was Vanion tat, um Savaric näher zu kommen, funktionierte und war richtig. Der Zweck rechtfertigte alle Mittel - oder nicht? Du bist Savaric näher gekommen, bald bist du nahe genug, um ihn zu töten! - aber auch in anderer Hinsicht war er Savaric näher gekommen. Das Töten machte ihm nichts mehr aus. Er war abgestumpft. Als Lorainne Gefangene verhört hatte, zu Folter gegriffen hatte, da hatte er nichts getan, sie davon abzuhalten. Als Alain umgebracht wurde, war er still geblieben. So viele Verbrechen auf dem Weg zur Gerechtigtkeit.
Vanion versuchte, sich an den ersten Menschen zu erinnern, den er getötet hatte, doch fiel ihm weder ein Gesicht, noch ein Name oder gar die Situation ein. Anders hatte Recht!
"Diese Wut, die du beobachtest - ich glaube, wir kommen unserem Ziel immer näher. Doch auf dem Weg geschieht so vieles, was nicht gut und nicht richtig ist, dass wir aus den Augen verlieren, wer wir eigentlich sind. Darum bin ich so wütend, vor allem auf mich selbst."
Nun musste Vanion trotz aller Bitterkeit lächeln. Als Anders ihn verwirrt ansah, sagte er:
"Lyra hatte Recht! Und das ist etwas, was ich selten sage. Du bist ein Licht. Das mag sehr poetisch formuliert sein, aber du bist in der dunkelsten Stunde da und schaffst es, Abgründe zu erleuchten." Wir werden zu dem, was wir bekämpfen. Wir morden und foltern.

EIn langes, langes Schweigen entstand. Vanion fürchtete fast, dass Anders nun aufstehen würde und gehen würde. Sie sah unglücklich aus. Vorsichtig streckte er den Arm aus und legte dem Kender die Hand auf die Schulter.
"Eine Familie ist füreinander da. Du hast mir gezeigt, zu was ich werden kann, wenn ich nicht aufpasse. Nun, da ich mich gesehen haben, ist mir klar, was zu tun ist." Das war es überhaupt nicht. Aber es ging nicht mehr um ihn, es ging um Anders. "Und mir ist auch klar, was für dich zu tun ist. Dieser schreckliche Fluch, der auf dir liegt, wird gebrochen werden. Ich weiß, dass Stella sich darum kümmern möchte, und ich bin mir sicher, dass Kadegar oder sogar Gorix dahinter stehen werden und aufpassen werden. Und wenn du frei davon bist, dann.." Ja, was dann? Vanion war ein Knappe, er konnte nicht länger in die Welt reisen. Versprich nichts, was du nicht halten kannst. "Für dich wird immer ein Platz da sein, egal wie gut oder schlecht es mir geht." Plötzlich hörte Vanion ein Flattern. Ein Vogel setzte sich nicht allzuweit entfernt auf einen Ast.
"Schau mal, eine Elster!" Dass es in Wirklichkeit eine Singdrossel war, wusste der Knappe nicht.

Anders:
"Eine .... Elster...", sagte Anders bemüht das Lachen was in ihrem Bauch steckte zurück zu halten. Aber irgendwie wollte sie das auch gar nicht und so ließ sie es frei. Es tat gut wieder zu lachen, gerade über solche Kleinigkeiten. "Das ist doch keine Elster", giggelte sie und hielt sich den Bauch. "Das ist eine Singedrossel."
Sie versuchte sich zu beruhige, fing den Blick von Vanion auf und prustete wieder los. "Warte kurz." Immer noch leise vor sich hin kichernd stand sie auf und ging zu ihrer Bettstatt. Dort holte sie aus ihrem Rucksack ein Behältnis welches aus so dünnem Holz zu sein Schien, dass es Papyrus ähnelte auch wenn es keines war. Sie klappte es auf und darin kamen unglaublich viele Vogelfedern zum vorschein. So lang wie ihr Unterarm oder so dünn wie einer ihrer Finger, einige recht bunt, andere eher dunkel. Sogar ein ganzer Elsternflügel kam zum Vorschein den sie jetzt hervor holte. "Das ist das Gefieder eine Elster. Das ist eine Singdrossel. Schau sie hat eine ganz andere Farbe und dieser Flügel wäre auch viel zu groß für sie. Außerdem ist sie bräunlich und hat am Bauch die Punkte. Eine Elster hat einen weißen Bauch und eine Schwarze Brust. Und ihre Federn schillern, schau."
Sie drehte den Flügel etwas im Licht und man konnte ein leichtes Schillern erahnen. "Am besten sieht man es an den Schwanzfedern, warte."
Sie drückte ihm den Flügel in die Hand und besah sich ihre Sammlung erneut. "Hier."
Sie zog zwei lange Dünne schwarze Federn hervor die einen leichten Schimmer darauf hatten.
"Und Elstern krächzen eher. Diese hier pfeift."
Sie lauschte kurz und ahmte dann die Melodie nach.
Mit einem Lächeln strich sie sanft über die Federn und schien einen Moment wieder ganz die alte. "Ich sammel sie. Auf meinen Reisen findet man manchmal welche. Ich hab immer gehofft irgendwann eine Phönixfeder zu finden. Das wäre toll."
Wieder blieb es einige Zeit Still von ihrer Seite, dann sah sie auf. "Wenn ihr wirklich wieder etwas mehr die alten werded wäre das schön. Vielleicht müsst ihr auch einfach mal auf mich hören. Ich hab hier so oder so nichts zu sagen, aber ich hab auch gute Ideen. Ich will euch eure.... Rache garnicht weg nehmen... aber... Wenn ihr nur noch an sie denkt... Verändert ihr euch. Und das nicht ins gute."
Der Vogel hob ab und flatterte davon. Anders blickte ihm nach. "Ich bin froh, dass ich trotz allem noch staunen kann. Ich glaube sonst wäre ich innerlich ganz tod geworden."

Vanion:
Anders Lachen war ansteckend, und der Knappe lachte unsicher mit. "Singdrossel, Elster, was auch immer.." grummelte er vor sich hin, während Anders ihre Federn herauskramte. "Ich bin ein Knappe, jawohl, kein, kein.. Vogelkundler."
Doch Anders ließ sich von seinen brummigen Einlassungen gar nicht stören. Munter erklärte sie ihm die Federn. Aus ihm würde gewiss kein Vogelliebhaber werden, aber die unbeschwerte Art des Kenders war einfach zu schön. Der Wald wirkte sofort heller und leichter, und die Sorgen verschwanden wieder an den Ort, an dem sie meistens waren, wenn man sie nicht grade hervorholte und polierte.  Als Anders die Melodie nachahmte, lachte er laut los.

Die Stille, die folgte, war eine schöne - nur unterbrochen vom Knacken der Glut und den Geräuschen des Windes in den Baumwipfeln. Und Vogelgezwitscher! Grade, als Vanions Aufmerksamkeit völlig abzuschweifen drohte, begann Anders wieder zu sprechen.
Nachdenklich stützte der Knappe nun den Kopf in die Hände.

"Wieder die Alten werden, sagst du.. ich glaube nicht, dass das geht. Was man erlebt, prägt einen, und es lässt einen nicht los. Ehrlich gesagt, möchte ich auch gar nicht mehr der Junge werden, der ich mal war. Ich.. ich glaube, ich hatte den Kopf viel zu voll, und meine Hände zu oft leer.
Du hast ja keine Ahnung, was ich für ein Mensch war. Es hat durchaus Gründe, dass viele meiner Freunde mich verlacht haben, und manche tun es heute noch. Bevor ich zum Pilgerzug stieß, hab ich ein Leben als Tagelöhner und Raufbold geführt, und gesoffen wie ein Loch. Selbst während des Bürgerkrieges hab ich das getan. Dahin möchte ich nicht zurück."
Er holte tief Luft. "Und Lorainne. Sie wurde gefoltert! Vielleicht vergewaltigt! Wer weiß, was in dieser verfluchten Höhle geschehen ist! Sie ist körperlich zerbrochen worden, seelisch zerbrochen worden, und dann wieder zusammengesetzt worden. Das verändert einen Menschen. Sie tötet ohne zu Zögern, und ich hab keinen Einfluss auf sie. Sie tut, was sie will, und sie lebt im Extrem: alles für ihre Freunde, Schmerz und Tod für ihre Feinde. Sie.. sie wird ausbrennen, wenn das so weiter geht. Irgendjemand muss ihr zeigen, wie normales Leben geht. Sie war jahrelang im Krieg, dann dieses unselige Duell mit Simon, der ein Vater für sie war, und dann Savaric."

Er seufzte. "Weißt du, ich war nur dumm, und verantwortungslos. Ich hab mein Leben gelebt, wie's mir gepasst hat, und es mir immer so leicht gemacht, wie es nur ging. Das mag niemandem geschadet haben - außer der ein oder anderen gebrochenen Nase hab ich niemandem weh getan!" Nun lachte er wieder. "Aber es war ein leeres Leben. Erst als Marius, ein Barde, mit dem ich gereist war, Engonien verließ und mich mitten im Krieg alleine ließ - er da wurde mir klar, wohin mein Weg mich führt. Und Wege geht man nunmal zu Ende, sonst wärst du ja auch nicht hier." Ach, was soll's. Er legte den Arm um sie. "Ich veränder' mich nicht, das verspreche ich dir. Jedenfalls werde ich nicht zu dem, was ich zu bekämpfen geschworen habe! Nicht, solange ich von Freunden wie dir und Lorainne und Dorell und all den anderen umgeben bin.
Um ehrlich zu sein, denke ich grade daran, was wohl sein wird, wenn Savaric erst besiegt ist. Ich meine.. ich bin Vanion de Roquefort. Ich habe einen gewissen Anspruch." Er zögerte kurz, dann stellte er die Frage, vor deren Antwort er zu seinem Erstaunen Angst hatte: "Was wirst du tun?"

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