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Einwände

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Yorik:
Verdammt, der hatte gesessen. Natürlich hatte Vanion Recht mit seiner Äußerung über den "gläubigen Krieger". Yorik kämpfte immer noch mit den Widersprüchen zwischen seinem neuen und alten Lebenswandel; besonders in Westmynd hatte ihm das zugesetzt. Aber grade deswegen machte er sich ja solche Gedanken um Vanions Entscheidung! Dem Novizen fiel es schwer, zu sehen, wie sein Freund offensichtlich mit seiner Situation rang. Was soll ich tun? Ich habe kein Ziel mehr... Das waren exakt die gleichen Worte, die Yorik nach Ilianas Tod von sich gegeben hatte. Sie hatten ihn für viele lange Monde verfolgt, ihn geplagt und fast zerstört... Eine solche Leere sollte kein Mensch empfinden, und Vanion erst recht nicht.

"Hör zu", begann Yorik daher sanft, "ich will dich nicht von hier wegholen, Vanion. Ganz und gar nicht. Ich wünsche mir nur, dass du in Zukunft mit deinem Lebenswandel glücklich bist." Verdammt, klang das schleimig. Doch es war die Wahrheit. "Wenn du dein Ziel verloren hast, solltest du versuchen, ein neues zu finden, welches auch immer das sein mag. Und wenn es das friedliche Leben auf diesem Hof ist, umso besser!" Am liebsten hätte er hier einfach aufgehört, fröhlich gelächelt und den Rest des Tages mit Vanion getrunken, er musste jedoch noch etwas hinzufügen. "Aber um eines bitte ich dich: Wähle deinen Weg basierend auf dem, was sich für dich richtig anfühlt, nicht auf dem, was einfach ist."
Dann schaute Yorik zu Boden, leicht beschämt aufgrund seiner schulmeisterhaften Dreistigkeit. Hoffentlich war er jetzt nicht zu weit gegangen...

Vanion:
"Jawohl, großer, weiser Meister." Vanions Spott war beißend.
"Bei allem Respekt, Yorik - warum kannst du meine Entscheidung nicht respektieren? Warum versuchst du, mich zu irgendetwas zu bewegen? Ich hab mich entschieden, auf eine gewisse Art zu handeln. Nun trage ich die Konsequenzen dieses Handelns. Das ist alles. So einfach ist es wirklich, glaube mir. Wenn ich Lust auf ein Bier bekomme, gehe ich in die Stadt. Wenn ich nach Brega reisen will, um dort vielleicht ein paar Freunde zu sehen, so tue ich das." Er schüttelte den Kopf. "Na los, komm mit." Die Axt ließ er achtlos auf dem Tisch liegen.

Ohne viel zu reden, führte Vanion Yorik vom Hof herunter und nach Fanada hinein. Der Nachmittag war schon fortgeschritten. Kurzerhand betrat Vanion eine Schänke, die er von früher bereits kannte, und bestellte zwei Krüge Bier. Ein Gespräch entspann sich zwischen den beiden. Nichts allzu wichtiges - Vanion sprach nicht über Yoriks Verletzung, und Yorik sprach vorläufig nicht von Vanions Entscheidung.

Der Abend wurde länger und länger, und Vanion wurde beschwipster. Zwar trank er in Maßen, aber auf Dauer bemerkte er das herbe Bier durchaus. Die ersten Barden stimmten ihre Lauten - der Abend schien einer von der lebhafteren Sorte zu werden. Je später es wurde, desto mehr erzählte Vanion. Er erzählte Yorik so viel wie nie zuvor. Von seiner Kindheit hier in Fanada, und in Norodar. Von Kameraden aus dem Pilgerzug. Von den Sturmrufern. Von Lorainnes Duell mit Simon. Fast hätte er Yorik von Laura erzählt, doch riss er sich rechtzeitig am Riemen.

Irgendwann begann er, lustige, glückliche Geschichten zu erzählen, die er früher gehört und aufgeschnappt hatte, und bald fand sich ein kleiner Zuhörerkreis ein. Gut gemeinte Zwischenrufe erfüllten den Raum, je lauter Vanion erzählte. Doch nach und nach zerstreuten sich die Gäste. Immer mehr gingen nach Hause, und am Ende fanden Yorik und Vanion sich fast allein im Schankraum wieder. Aus einer Ecke drang der Klang einer Laute, und eine weiche Frauenstimme sang von fernen Ländern und Heldentaten. Wie früher, genau wie früher. Wehmütig warf der Knappe.. der Bauer einen Blick in das niedrig brennende Kaminfeuer.

"Wohl dir! Du hast's errungen
Mit deines Blutes Born,
Die Schande ward bezwungen
Vom edlen Freiheitszorn"

Die Sängerin endete, und auch Vanion schwieg. Sein Leben hier war schön, aber wollte er wirklich ein Bauer bleiben? Yorik hatte gut daran getan, diese Frage zu stellen, doch die Antwort blieb Vanion schuldig. Das Mädel sang nicht weiter, und plötzlich fiel Vanion auf, dass sie nicht alles gesungen hatte. Er hatte dieses Lied von Marius anders kennen gelernt.

Doch müssen wir andern weinen
Und klagen im bittern Schmerz:
Solange die Sterne scheinen,
Schlug nimmer ein treueres Herz.

Wie aus dem Nichts kam ihm ein anderes Lied in den Sinn, und er summte es leise vor sich hin:

"Ich will ihr sagen, wie sehr ich sie liebe,
aber erstmal brauch' ich etwas Wein.
Ihre Majestät ist 'ne süße, holde,
und irgendwann, da wird sie mein."

Yorik:
Da war er wieder, der bittere Sarkasmus, den Yorik bei Vanion so gut kennen und fürchten gelernt hatte. In zahlreichen vergangenen Gesprächen war er immer dann aufgetaucht, wenn Yorik sich in ein Thema mit aller Macht verbissen hatte, und er traf den Novizen tief - jedes Mal. Doch diesmal war etwas anders: Der Spott des ehemaligen Knappen kam nicht aus heiterem Himmel, Yorik hatte ihn erwartet. Außerdem verstand er, was er bedeutete: Das Gespräch wurde Vanion zu viel, sie hatten einen Stelle erreicht, an der Yoriks Einwände nur Schaden anrichten konnte, und so ließ er sein Anliegen vorerst ruhen. Er stimmte Vanions Vorschlag zu, und zusammen verließen sie den Hof in Richtung Stadt.

Zwar fühlte es sich anfangs komisch an, in der aktuellen Situation über scheinbare "Belanglosigkeiten" zu reden, doch das anfängliche Geplänkel in der Schänke tat den beiden jungen Männern sichtlich gut. Es half, vergangene Schmerzen und Fehler für einen Moment zu vergessen, und einige Augenblicke lang zählten tatsächlich nur die Gemütlichkeit der Schänke und die Qualität des Biers. Eben jener Qualität war es wohl auch geschuldet, dass Vanion im späteren Verlauf redseliger wurde. Yorik, der sich mit dem Alkohol etwas zurückhielt, beobachtete diese Wandlung interessiert - und lauschte.

Der Novize, der sich sonst immer sehr gesprächig präsentierte, lehnte sich einfach nur zurück, um seinem langjährigen Gefährten zuzuhören. Dabei schenkte er ihm seine ganze Aufmerksamkeit, nickte an den richtigen Stellen und ermutigte Vanion hier und da, weiter zu machen. Was er hörte, löste vieles in ihm aus: Begeisterung, Rührung, Mitleid, Staunen. Die Vergangenheit, die Vanion nun enthüllte, half Yorik den ehemaligen Knappen deutlich besser zu verstehen - außerdem machte sie ihm klar, dass er bisher keine Ahnung vom Leben seines Freundes gehabt hatte.

Diese Geschichten waren starker Tobak, daher war Yorik äußerst dankbar, als Vanion sich irgendwann entschied, zu angenehmeren Themen über zu gehen. Der Novize lachte, klatschte, fand schnell seinen Platz in der staunenden Menge. Vanion ist wirklich ein verflixt guter Geschichtenerzähler. Er könnte wohl selbst die grimmigsten Miesepeter unerhalten, wenn er selbst in der richtigen Stimmung ist. Yorik freute sich, seinen alten Freund so zu sehen, außerdem half es ihm, sich noch mehr mit Vanions Entscheidung abzufinden.

Ja, der frisch gebackene Bauer zweifelte an seiner Entscheidung. Und ja, er war offensichtlich noch nicht bereit, das zuzugeben. Doch Yorik war auch nicht hierher gekommen, um Vanion umzustimmen. Sein Ziel war es nur gewesen, ihn zum Nachdenken anzuregen - und das hatte er offensichtlich geschafft. Zufrieden mit sich selbst bestellte Yorik ein Bier, lächelte seinen alten Gefährten an und lauschte wie er der Sängerin. Dies war ein guter Abend, und ein angemessener Abschied für sie beide.

Vanion:
Nach diesem Abend hatte Vanion Yorik angeboten, die Nacht auf dem Hof zu verbringen, und der Novize hatte angenommen. Am nächsten Morgen hatte man sich verabschiedet, und Yorik hatte sich auf den Weg zu irgendeinem Tempel gemacht. Vanion hatte nicht weiter gefragt. Der Abschied war kurz gewesen, und jegliche Emotion, die Vanion verspürte, hatte er hinter einer Fassade versteckt gehalten.

Ein wenig war es, als zöge mit Yorik auch sein altes Leben davon. Als er in die Küche zurückkehrte, lag immer noch seine Axt auf dem Tisch, und seine Mutter saß daneben und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie war alt, weit über sechzig, und sprach nicht mehr viel. Ein wenig hilflos hatte Vanion mit den Schultern gezuckt und die Bardike weggeräumt.

Das Tagewerk des Hofes nahm in schnell wieder in Besitz. Die Tage vergingen in einem stetigen, gleichen Rhythmus. Früh aufstehen, hart arbeiten, früh schlafen gehen. Für Träumereien war keine Zeit. Irgendwann beschloss Vanion, seine Axt aufzuhängen, und so brachte er in einem Kellerraum zwei Halterungen an der Wand an und hängte sie kurzerhand hinein. Das Gerede der Leute, die sich anfangs wunderten, dass Barak Bachlaufs Sohn zurückgekehrt war und die ganze Familie wieder mitgebracht hatte, verstummte nach und nach. Viele seiner alten Freunde aus der Gegend stellten sich wieder ein.

Ein neues, altes Leben hatte begonnen.

Sandra:
Die Wochen zogen ins Land und Stella hatte nun auch wieder einige Wochen in der Akademie verbracht und natürlich war sie auch zwischendrin in Fanada auf dem Markt und in so mancher Gaststätte den Tag zwischen den Büchern, Vorlesungen und Übungen mit anderen Schülern ausklingen lassen.
Eines Abends schnappte sie zufällig in einem Gespräch den Namen "Bachlauf" auf, der sie aufhorchen ließ.

"...wieder zurück..."
"...Feigling....Doch kein Ritter..."
".... Roquefort.... "
"... Bauer bleibt Bauer..."

Die Gesprächsfetzen machten wenig Sinn in ihrem Kopf, doch je länger sie lauschte, umso eher umriss sich die Aussage, dass Vanion wohl zum Hof seiner Eltern vor Fanada zurückgekehrt war und angeblich sein Knappendasein an den Nagel gehängt hatte.
Sie hatte genug gehört und wollte sich selbst davon überzeugen.

"Hey ihr da, entschuldigt, aber hab ich richtig gehört, dass ihr die Bachlaufs kennt? Könnt ihr mir sagen, wo genau ich deren Hof finde?"

Ein kurzes Gespräch und einige Augenblicke später wusste sie, was sie wissen wollte und würde morgen wohl einen kleinen Ausflug vor die Stadttore machen.

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