Der Städtebund von Tangara > Ayd'Owl-Akademie
Die Akademie zur Ayd'Owl im Sommer 265 n.J.
Sandra:
Auch Stella verließ die kleine Schänke, noch unentschlossen, wohin sie jetzt gehen wollte. Wenn Rikhard nicht so fluchtartig verschwunden wäre, wäre sie vermutlich mit ihm zurück zur Akademie gegangen.
Andererseits war sie nun schon etwas angetrunken und mit etwas mehr Alkohol hätte sie vermutlich Chancen auf einen traumlosen Schlaf. *Du musst dich den Schrecken stellen* hatte Sasha gesagt... Und Gorix war auch dieser Auffassung. Ja, vermutlich...Aber nicht mehr heute Nacht.
Danach stand ihr jetzt grade wirklich nicht der Kopf. Sie hatte keine Lust auf die Spiele des Schalks. Bisher hatte sie eh das Gefühl, sie könnte nur verlieren, egal was sie tat.
Also machte sie sich auf den Weg zum Marktplatz, in eine der größeren Tavernen wo jetzt noch immer viel los war.
Doch so wirklich in Feierlaune war sie sowieso nicht und eigentlich lag es ihr nicht, ohne eine gesellige Runde mit ihren Freunden zu trinken.
Du hast den Becher jetzt lang genug angestarrt dachte sie bei sich, setzte an und trank ihn leer - zum stehen lassen war es wahrlich zu schade.
Na schön, dann vielleicht doch keine Flucht davor heute Nacht.
Nachdem sie bezahlt hatte machte sie sich ebenfalls auf den Rückweg zur Akademie.
Rikhard Kraftweber:
"Also, du hast diese Schüssel schweben lassen?"
Die sonst so laute, raue Stimme klang auf einmal ganz sanft, wohlwollend, interessiert.
"Ja! Also, den Teller. Keine Schüssel."
Die Stimme, die grade aus dem Stimmbruch war, klang aufgeregt und begeistert.
"Ich hab's genau gespürt! Es war wie ganz viele kleine Adern, die durch den Boden, die Luft, die Bäume pulsierten! Wirklich! Und dann hab ich irgendwie hineingegriffen, die feinen Äderchen zusammengefügt, bis ein plätschernder Bach daraus wurde. Und dann hab ich einen Damm gebaut und immer mehr hat sich angestaut, und dann - und dann hab ich's losgelassen! Und dieser Fluss, dieser Strom hat dann den Teller empor gehoben und fliegen lassen!"
Rikhard zittert immer noch. Er fühlt sich leer, erschöpt, schwach, aber gleichzeitig ist er gradezu euphorisch. Als sei der den ganzen Tag in hoher Geschwindigkeit gelaufen! Nun ist es Abend, und der Zwischenfall ist wenige Stunden her. Seitdem sitzt er mit Grolf zusammen.
"Adern? Kein Tier? Bist du sicher? War es nicht der schnelle Flügelschlag eines Bussards oder eines Habichts, der dich getragen hat? Waren es nicht die Geister, die dir einen Teil ihrer Kraft geliehen haben? Ich rate dir, lass mich dir davon erzählen!"
Doch der junge Rikhard schüttelt den Kopf.
"Nein, hab ich nicht, Grolf. Ich spüre keine Tiere." Er hält inne, dann blickt er den Schamanen neugierig an. "Sollte ich das denn?"
Und Grolf nickt bedächtig.
"Gewiss, gewiss. Magie, weißt du, kommt von den Tieren, von den Geistern der Natur, sie kommt allein und nur daher." Rikhard bemerkt nicht, dass Grolf dabei leicht mit den Augen rollt. Ein aufmerksamerer Beobachter, oder schlicht ein älterer Mann, hätte bemerkt, dass Grolf unsicher ist. Er scheint nicht genau zu wissen, wovon er redet. Doch dem jungen Magier, der sich grade über das Erwachen seiner Gabe freut, fällt nichts auf.
"Ja, in der Tat, so ist es wirklich! Also.. die Kraft der Tiere ist auch die deine, wenn du sie dir zu Nutze machen kannst. Du weißt, darum rufe ich stets die Geister an, und mein Krafttier, der wilde Braunbär, gibt mir die Stärke, die ich brauche, um Krankheiten und Übel vom Dorf fernzuhalten und zu bannen! Du solltest das auch versuchen.."
Unruhig wälzt sich Rikhard hin und her auf seinem Bett. Das Bettlaken ist längst auf dem Boden, er krallt im Schlaf die Finger ins Kopfkissen.
Szenenwechsel. Ein Jahr später.
"Vielleicht bist du ja doch kein Magier, Kleiner!" Grolfs beißende Worte treffen Rikhard. "Versuch es weiter!" Und Rikhard versucht es. Doch bei aller Konzentration, die er aufbringt - er spürt kein Tier. Er spürt keine Geister. Er spürt keine obskure Kraft der Natur. Doch was er spürt, schwach zwar, aber vorhanden, ist das Pulsieren der Adern, die das Land durchdringen. Leise wie ein Vogelschlag im Wald huscht es an ihm vorbei, das Plätschern der Magie. So schwach, dass er es fast für Einbildung hält. Rikhard öffnet die Augen und starrt in die grinsende Fratze des Schamanen. Selbstgefällig und glücklich sieht der aus, und Rikhard hat keine Ahnung, warum.
"Nein, du bist gewiss kein Magier. Vielleicht hat sich ein Geist deiner bemächtigt und diesen Teller fliegen lassen, aber das muss Zufall gewesen sein. Ein schlimmer Fehlgriff einer mächtigen Kreatur."
Szenenwechsel. Mehrere Jahre später.
Immer wiederholt sich das Muster: Grolf erklärt Rikhard etwas, wenn er denn Zeit und Lust dazu hat. Manchmal lehnt Grolf unwirsch und genervt ab. Doch Rikhard klammert sich daran, ein Magier zu sein. Er weiß einfach, dass es so ist. Er gibt nicht auf. Rikhard versucht, den Weisungen zu folgen. Doch nichts funktioniert. Und Grolf wirkt immer zufriedener mit sich selbst. Dem Magier kommen erste Zweifel - doch nicht an sich selbst, sondern an Grolf. An diesem Abend beschließt er, Grolf zu folgen, als der einen Ritus vorbereitet. Es ist eine bedeutende Zeremonie - Feuer, Opfer, Tänze, Gesang, alles für einen sanften Winter und ein gutes Jahr. Gewiss, denkt Rikhard, kann ich ihm etwas abschauen, gewiss gibt es etwas, was er mir noch nicht gezeigt hat!
Endlich erblickt er den Schamanen. Er ist in seiner Hütte am Dorfrand verschwunden, und Rikhard schlägt die Lederhaut, die als Tür dient, beiseite und tritt ein. Grade möchte er sich bemerkbar machen, als er sieht, wie Grolf an einem Tisch mehrere Pülverchen mischt. Er zerstampft einige Samen, mischt rötliches Pulver mit einer dickflüssigen, braun-goldenen Flüssigkeit. Harz? Dabei murmelt der Schamane unablässig vor sich hin, was genau, kann Rikhard nicht verstehen. Nun steht der junge Mann schon eine Minute hier - und hat ein schlechtes Gewissen. Was, wenn Grolf ihn bemerkt? So leise er kann, verlässt er die Hütte wieder. Er ist enttäuscht. Keine magischen Spielereien, nein. Nur irgendwelche Kräuter und Pulver. Wie bei diesen reisenden Schaustellern, die vor einem Jahr in der Gegend waren...
"LÜGNER! LÜGNER UND BETRÜGER!" Der Ruf schallt durch den Raum. Rikhard hat beobachtet, wie Grolf seine Pülverchen in das Feuer gestreut hatte. Als Grolf vermeintlich die Geister angerufen hatte, da hatte Rikhard keine Veränderung in den Adern gespürt, die ihn umgaben. Nichts! Aber dafür hatte das Feuer begonnen, blau und grün zu lodern. Das Pulver! Am nächsten Morgen war Rikhard in Grolfs Hütte gegangen und hatte den Schamanen geweckt. Der Geruch schalen Bieres erfüllt die Hütte; Grolf hat sich offensichtlich am Vorabend, nach dem Ritus, noch betrunken. Nun steht der Hochstapler mit blutunterlaufenen, müden Augen vor dem aufgeregten, wütenden Rikhard, der ihn anschreit. Erste Stimmen regten sich draußen, doch Rikhard brüllt weiter, packt Grolf an den Schultern und schüttelt ihn. "ICH BIN KEIN MAGIER, SAGST DU?! DU HAST MICH IN DIE IRRE GEFÜHRT, MIR VIER, FÜNF JAHRE MEINES LEBENS GESTOHLEN!"
Rikhard hat zwei und zwanzig Winter erlebt. Die letzten Jahre hatte er sich fast damit abgefunden, kein Magier zu sein. Hatte Grolfs Worten Glauben geschenkt, naiv, wie er gewesen war. Doch diese Blase ist geplatzt, diese sorgsam von Grolf aufgeschüttete Mauer ist eingerissen. Nun sieht Rikhard den Schamanen als das, was er in Wirklichkeit ist: ein stinkender, saufender Hochstapler, der sich auf Kosten des Dorfes ein gutes Leben macht. Rikhard hört, wie die Lederhaut an der Tür zurückgeschlagen wird. Schlagen. Ein gutes Stichwort. Er holt mit der Linken weit aus und schlägt Grolf ins Gesicht. Einmal, zweimal, dann greift man ihm in den Arm und hält ihn fest.
Wochen später geht Rikhard durch das Dorf. Er tut das nur noch selten. Wo immer er hingeht, stecken Männer und Frauen die Köpfe zusammen und tuscheln über ihn. Er hört Wortfetzen. Missgeburt nennen sie ihn. Verrückt. Wahnsinnig. Von allen guten Geistern verlassen. Von bösen Geistern besessen. Mit Grolf hat er kein Wort mehr gesprochen. Doch verbringt er immer mehr Zeit im Wald, alleine. Nur Kyra leistet ihm manchmal Gesellschaft, doch in letzter Zeit kommt auch sie nicht mehr. Sie hat geheiratet, ist schwanger. Und sich mit Rikhard sehen zu lassen ist schlecht, wenn man auf einen guten Ruf wert legt. Rikhard ist das egal. Er übt. Konzentriert sich. Meditiert. Und von mal zu mal schafft er es besser, die Adern wahrzunehmen.
Er bemerkt den Apfel nicht, der auf ihn zufliegt, bis der ihn am Kopf trifft. Die schon weiche, angefaulte Frucht hinterlässt süßen Schmier in seinem Gesicht. Er zuckt zusammen, schaut sich um - doch niemand ist zu sehen. Er kehrt zu seinem Elternhaus zurück. Dort herrscht Stille. Kaum jemand redet noch.
Auf seinem Bett in Fanada murmelte Rikhard vor sich hin. Er sprach im Schlaf, doch es war kaum zu verstehen. Irgendetwas mit einem Apfel..
"Da ist er! Da ist die Missgeburt!" Laut schallt der Ruf durch das Dorf, mitten in der Nacht. Rikhard ist zurückgekehrt, und der Weg nach Hause führt ihn an der Dorfschänke vorbei. Dort wartet schon ein Haufen Betrunkener auf ihn. Mit knapper Not entkommt er in den Wald.
"NEIN!" Aufrecht saß Rikhard in seinem Bett. Kerzengrade, wach. Um ihn herum ein leichtes Schimmern - er hatte im Schlaf nach der Magie gegriffen, und es hatte sich einiges angesammelt. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich das nun benutzen kann. Es drängte ihn, Möbel zu zertrümmern, seiner Wut und seiner Angst freien Lauf zu lassen, sie zu kanalisieren in - irgendwas!
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An Schlaf war nicht zu denken. Müde geisterte Rikhard durch die Gänge der Akademie. Lange würde er ohne Einschreibung hier nicht mehr nächtigen können. Das Gebäude fühlte sich nachts kalt und leer an, obwohl hinter manchen Türen noch Licht brannte. Er wollte Gesellschaft, aber außer Stella kannte er hier niemanden. Plötzlich fühlte er sich einsam, allein. Ein kalter Zug drang durch die geöffneten Fenster, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Gewiss würde sie hier irgendwo schlafen, wenn sie nicht noch unterwegs war. Aber einfach an Türen zu klopfen war keine Option.
Sandra:
Stella hatte sich gleich auf den Weg zu ihrem Zimmer gemacht und lief zielstrebig durch die Gänge der Akademie. Als sie den Kerzenschein um die Ecke sah wurde sie aufmerksam, neugierig darauf, wer denn da noch so spät unterwegs war.
Ihre eigene Lichtquelle war ein kleiner Zauber, den sie in einen kleinen Kristall in der Hand beschworen hatte, da die Gänge der Akademie kurz nach Neumond zu dunkel waren um sich ohne Licht dort bewegen zu können und noch dazu deutlich bequemer.
Als sie um die Ecke kam erblickte sie einen ziemlich müde aussehenden Rikhard und machte ein paar Schritte auf ihn zu. Interessiert fragte sie:
"Hey, was ist los? Wie kommt es, dass du hier noch rumgeisterst zu der Zeit? Ich dachte, du wolltest dich schlafen legen?"
Rikhard Kraftweber:
Er erschrak, als Stella ihn plötzlich ansprach. Sie war um die Ecke gebogen, und er hatte mit dem Rücken zu ihr gestanden und das Licht nicht gesehen. Er zuckte zusammen und prallte mit einem dumpfen Geräusch gegen die Tür eines der Schlafzimmer.
Rasch richtete er sein Gewand. "Ich, ähm.. ich konnte nicht wirklich schlafen, weißt du. Ich hab schlecht geträumt."
Sandra:
Erstaunt von der heftigen Reaktion meinte Stella
"Huch, nicht so stürmisch...Entschuldige, ich wollte dich nicht so erschrecken."
Noch einer mit schlechten Träumen...
"Achso... Das tut mir leid. Kann ich irgendwie behilflich sein? Gesellschaft? Meditation? Warme Milch mit Honig?... "
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