Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche

Auf Reisen.

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Engonien NSC:
Ein beherztes Klopfen an das schwere Tor sorgte dafür, dass Vanion Einlass gewährt wurde. Nun stand er ein wenig hilflos im Innenhof herum - er wollte seine Hilfe anbieten, wusste aber nicht, wohin. Da sprach ihn eine Frau an. Um die dreißig mochte sie sein, doch die Haare waren schlohweiß. Ein Lederband hielt den Schopf in ihrem Nacken, und während viele Lachfältchen an ihren Augen zu sehen waren, sah man genauso einige Sorgenfältchen um die Mundwinkel herum. Sie war in eine beige Tunika gehüllt, und an linken Seite trug sie ein schlankes Rapier in einer dezent verzierten Lederscheide, auf der Metallbeschläge glitzerten.

Sie stellte sich als Danica vor, und artig sagte auch Vanion seinen Namen. Wohin er denn wolle, wollte sie wissen, und als Vanion sagte, dass er seine Hilfe anbieten wolle in Anbetracht der Wegelagerer im Wald, musterte die Frau ihn verwundert und auch ein wenig vorsichtig:

"Gewiss ist es gut gemeint, Meister Bachlauf, aber seid versichert, dass die Stadtwache das alles unter Kontrolle hat. Grade jetzt, in den frühen Abendstunden, befindet sich ein Trupp auf dem Weg in den Wald, der sich um diese Gesetzlosen kümmern wird. Und Ihr habt bereits eine Verletzung davongetragen, ich sehe doch Eure Schulter."

Schon wollte sie sich abwenden, da besah sie sich den Mann vor ihr noch einmal genauer.
Er stand dort mit einem gewissen Selbstbewusstsein. Am Sattel des Pferdes hinter ihm hing eine Bardike, deren Klinge in der Abendsonne glänzte. Und mochte der Gambeson, den der Mann trug, auch bereits ein wenig in Mitleidenschaft gezogen worden sein, so waren die sichtbaren Flicken doch sorgfältig angebracht worden. Auch Verletzungen schien er gewohnt zu sein; als er sich vom Pferd geschwungen hatte, hatte Danica nichts gesehen, was auf Schmerzen hingedeutet hätte, erst nun, da der Krieger vor ihr stand, war ihr die Wunde aufgefallen.
Alleine von Berufs wegen her wurde sie nun misstrauisch. Sie war nicht nur Teil der Stadtwache Norodars, sondern hatte sogar einen nicht ganz unwichtigen Posten inne.

Kurzerhand winkte sie zwei weitere Wachen heran. "Bringt Meister Bachlauf in die Mannschaftsquartiere, in eines der freien Rekrutenzimmer." Als Vanion zu sprechen anhob, winkte Danica nur ab. "Glaubt mir, Meister Bachlauf, jemand sollte nochmal nach Eurer Schulter sehen. Nachher entzündet sich die Wunde. Ihr kommt ohnehin nicht von hier, nicht wahr?" Vanion blieb nichts anderes übrig, als zu nicken.

Als die beiden Wachen den ehemaligen Knappen zu seinem nicht ganz freiwilligen Nachtquartier geleiteten, nickte Danica selbstzufrieden. Zum Einen war sie nun sicher, dass die Operation heute Abend im Wald nicht fehlschagen würde, und zum anderen hatte sie für den morgigen Tag einen gewiss interessanten Gesprächspartner gewonnen. Ich glaube zwar nicht ernsthaft, dass er zu den Wegelagerern gehört, aber man weiß nie. Sicher ist sicher.

Vanion:
War Vanion anfangs irritiert gewesen, wurde ihm nun recht schnell klar, was geschah. Die beiden Wachen, die ihn begleiteten, waren gesprächig - ein alter, bärtiger Veteran und ein Frischling. Vor allem der Veteran schien gern mal eine Geschichte auf zwei zu erzählen. Nachdem die beiden ihn zu den Mannschaftsquartieren geleitet hatten, fragte Vanion, was denn hier überhaupt vor sich ginge, und wurde aufgeklärt: heute Abend unternahm die Stadtwache einen Schlag gegen die Wegelagerer. Der Krieger war hier aufgetaucht, verletzt und nicht gerade reinlich (eine Reise auf dem Pferderücken sorgte nunmal dafür, dass man auf gewisse Annehmlichkeiten verzichten musste).
Das hatte Danica, die einen Offiziersposten inne hatte, dazu gebracht, ihn über Nacht hier zu behalten. Er mochte nicht offiziell festgesetzt sein, aber es war klar, dass er zumindest bis zum morgigen Tag hierzubleiben hatte.

Warum auch nicht, dachte er. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass diese Operation die erste war, für die Danica selbst verantwortlich war. Folgerichtig ging sie kein Risiko ein, das sie oder ihre Männer gefährden würde. Vanion konnte es der Frau nicht verübeln, als er an sich herunter sah. Er hätte durchaus zu den Wegelagerern gehören können. Das blaugelbe Band, das von dem Schaft seiner Bardike baumelte, mochte für ihn und einige andere aufschlussreich sein, doch nicht für die Männer und Frauen hier in Norodar. Sonst trug Vanion nichts an sich, was auf irgendeine Zugehörigkeit hätte schließen lassen.

Der Mannschaftsarzt ließ nicht lange auf sich warten. Er sah sich Vanions Schulter genauer an, bestätigte nochmals, dass die Wunde nicht gefährlich war, und verordnete kurzum für den Abend Bettruhe und Schonung. Das Abendessen, deftigen Eintopf, nahm der Krieger gemeinsam mit anderen Rekruten ein. Er stand unter Beobachtung, aber er hatte den Eindruck, dass die meisten eher neugierig als misstrauisch waren.

Engonien NSC:
Am nächsten Morgen wurde Vanion vom unsanften Klang eines Horns geweckt. Man blies zum Morgenappell. Grade hatte er sich angezogen, da wurde nach einem kurzen Klopfen die Holztür seines Quartiers geöffnet. Danica streckte den Kopf herein und lächelte ihn an.

"Ich hoffe, Ihr habt gut geruht, Meister Bachlauf?" Als Vanion nickte, fuhr sie fort: "Nun, ich denke, Ihr wisst so gut wie ich, weshalb Ihr die Nacht hier verbracht habt. Ich habe bereits gehört, dass meine Männer gerne reden, und warum sollten sie's auch nicht tun? Es wird Euch gewiss freuen, zu hören, dass die nächtliche Aktion ein voller Erfolg war. Im Wald gab es eine Höhle, und.. nunja, die hatte einen Eingang, aber keinen Ausgang."
 Härte trat in ihre Augen, und um Danicas Mundwinkel herum entstanden Falten, die auf Härte und Unerbittlichkeit schließen ließen.
"Wenn man alle Ratten an einem Ort hat, so reicht wenig Holz und ein kleiner Funken, um sie auszuräuchern."
Gespannt lauerte sie auf Vanions Reaktion. Wenn die Männer im Wald seine Freunde gewesen waren und er dazugehören würde, würde er sich nun wohl verraten. Doch der Mann vor ihr begann zu lächeln:
"Gute Arbeit, Danica. Ich hoffe nur, Ihr habt keine Verluste zu beklagen."
Die Frau schüttelte den Kopf.
"Nein, nicht einen Mann. Zwei oder drei haben ein paar Verletzungen davongetragen, doch nichts Schlimmes. Stellt Euch vor, einer ist gestolpert und mit dem Kopf gegen einen Baum geprallt. Im Kampf, versteht sich. Wie auch immer, da Ihr nun schon die Nacht in meinem Haus verbracht hat, möchte ich Euch auch zum Frühstück einladen."

Nach weiteren unverbindlichen Worten bekam Vanion Gelegenheit, sich zu waschen. Sogar frische Kleider wurden ihm gestellt. Zwar war das Wams und das enge Beinkleid in den Farben Norodars, Grau und Schwarz, gehalten, aber das störte ihn nicht weiter. Man begab sich in ein Arbeitszimmer, das offensichtlich von Danica genutzt wurde. Auf einem schweren Holztisch lagen einige Dokumente und ein aufgeschlagenes, in Leder eingebundenes Buch. Vanion wurde gutes, deftiges Brot gereicht, mit fetter Butter, Käse und gutem Schinken. Danica aß nichts; sie hatte bereits in der Frühe gegessen.

Während Vanion speiste, schrieb Danica einige Sachen in das Buch hinein. Als Vanion mit dem Essen fertig war, schlug auch Danica das Buch zu, stand auf und legte es in eine kleine Kommode, die neben der Tür stand. Dann füllte sie zwei Becher mit verdünntem Wein, reichte einen Vanion und fragte: "Also, Meister Bachlauf, wo kommt Ihr eigentlich her? Von hier jedenfalls nicht."

Vanion:
"Ich komme hierher, aus Norodar. Oder, zumindest bin ich hier geboren."

Vanion lächelte. Das hübsche Gesicht vor ihm war ihm von Anfang an bekannt vorgekommen, und auch, wenn Danica älter als er war, wusste er nun endlich, woher er sie kannte. Prüfend sah er sie an, und da ging ihm auf, dass auf ihrem Gesicht ein bestimmter Ausdruck der Erwartung lauerte. Sie wusste es ebenfalls, ganz so wie er. Warum hatte sie nichts gesagt?

"Aber verratet Ihr mir doch nun - wie schafft es ein Mädchen, das Zeit damit verbringt, andererleuts Kinder zu hüten, einen Offiziersposten der Wache Norodars einzunehmen?"

Danicas Gesichtszüge entgleisten für einen Moment, dann hatte sie sich wieder im Griff. Offensichtlich hatte sie nicht mit Vanions Worten gerechnet. Doch schlagfertig, wie sie war, zögerte sie nicht:

"Durch Fleiß und Können, Kleiner!" Sie lachte nun herzlich.

Engonien NSC:
Tatsächlich war Danica hoch erfreut. Sie hatte von Anfang an vermutet, Vanion zu kennen - der Vorname war hier in der Gegend nicht grade häufig, doch den Nachnamen hatte es allzu oft gegeben. Da hatte es mal einen kleinen Jungen von zwei, vielleicht drei Jahren gegeben, auf den sie aufgepasst hatte, wenn seine Eltern mal keine Zeit hatten. Sie mochte nur fünf, vielleicht sechs Jahre älter sein als er, aber sie war schon immer etwas weiter gewesen als andere Kinder in ihrem Alter.

"Ich kann es nicht glauben. Wie geht's deiner Mutter? Seit sie diesen Caldrier geheiratet hat und nach Fanada davon gezogen ist, hab ich sie nicht mehr gesehen. Es ist bestimmt fünfzehn, zwanzig Jahre her! Ich weiß noch, wie sie mir Küchlein gebacken hat, weil ich dich gehütet habe!" Sie lachte laut. "Der kleine Vanion Bachlauf ist wieder hier in Norodar. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich noch an mich erinnerst, und mich vor allem wieder erkennst!"

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