*Die Nacht war kurz gewesen, der Tag eher schweigsam. Sie reisten nach Süden, Richtung Nordwacht.
Auch die nächste Nacht verbrachten sie im Wald, wo sie es sich am Rand einer Lichtung unter den Wurzeln eines umgefallenen Baumes gemütlich machten.
Sashas Schlaf war unruhig, immer wieder schreckte sie hoch. Schließlich gab sie auf und stocherte in der glimmenden Glut des Lagerfeuers herum, um die Flammen neu zu entfachen. Ihr Blick ging nach oben, der Mond strahlte hell und beleuchtete die kleine Lichtung.
Vollmond.
Na toll...
Einige Stunden später war Sasha immer noch wach und wanderte unruhig im flackernden Feuerschein hin und her. Die drei Valkensteiner schliefen mehr oder weniger tief und fest. Mittlerweile war das Licht des Mondes dunkler, die Lichtung wurde in ein düsteres rötliches Licht getaucht.
Das hat mir jetzt echt noch gefehlt.
Solange sie denken konnte, wurde sie mehr oder weniger stark von den Mondphasen beeinflusst, ein Merkmal ihres Blutes. Doch der Einfluss war nicht mehr so stark wie zu ihrer Zeit als Paladin der Luna.
Aber diese Nacht war Blutmond. Und sie spürte seinen Einfluss durch ihren Körper pulsieren.
Dass Kassos gerade in irgendeinem anderen Teil Engoniens auf seiner rituellen Jagd unterwegs war, die aufgrund des blutfarbenen Mondes etwas mehr ausuferte als sonst machte das Ganze nicht besser...
Die Wolfselfe versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen, sich an ihr Rudel zu erinnern, Kraft daraus zu schöpfen. Doch ihre Gedanken fingen an ein Eigenleben zu entwickeln.
Ihr Rudel... was, wenn sie einen von ihnen verletzte? Es war schon einmal passiert, die tiefen Wunden an Maugrims Arm waren noch immer nicht richtig verheilt...
Was, wenn...?
Mit einem unwilligen Knurren drehte Sasha auf dem Absatz herum und lief die gleiche Strecke zurück, die sie eben genommen hatte. Maugrim murmelte irgendwas Unverständliches und seufzte tief, während er sich aus seiner Bettrolle schälte. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass er auf sie zu kam und hielt kurz an, um ihm einen fast schon verzweifelten Blick zuzuwerfen.*
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich für eine kurze Zeit in die Wälder zurück ziehe...oder auch länger. Ich meine, da kann ich wenigstens niemanden verletzen. Was ist, wenn ich zu einer Gefahr werde für die, die ich eigentlich schützen will? Was wenn ich diese Gefahr schon längst bin und es nur noch nicht sehen kann?"
Sasha redete sich in Rage und bemerkte gar nicht, dass Maugrim auf sie einredete und versuchte sie aus ihrer Gedankenspirale zu reißen.
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, immer weiter, immer mehr Bilder von blutüberströmten Freunden stürmten auf sie ein.
Und dann war da noch dieser verdammte Mond....!
Im nächsten Augenblick fand Sasha sich auf dem Rücken liegend auf dem Waldboden wieder. Bunte Sternchen tanzten vor ihren Augen, ihr Kiefer schmerzte und sie schmeckte Blut.
Maugrim hatte ihr ohne Vorwarnung eine verpasst und sie fast einen Salto schlagen lassen. Jetzt beugte sich der Tormentor-Priester über sie und zog eine Augenbraue hoch.*
„Wie siehts aus, nochmal eine oder hörst du mir jetzt zu?“
*Die Wolfselfe öffnete verdutzt den Mund, schloss ihn aber direkt wieder und nickte nur kurz.*
„Bei Tormentor, du klingst wie eine von Zipperlein geplagte Großmutter, die nichts anderes mehr zu tun hat als zu Jammern. Das ist ja nicht mehr mit anzuhören. Wenn du endlich mal aufhören würdest in deinem Selbstmitleid zu ertrinken, dann können wir auch überlegen, wie es weiter gehen soll. Sich verstecken und den anderen aus dem Weg zu gehen ist ganz sicher keine Lösung, das macht es doch nur noch schlimmer. Wenn du dich dem Ganzen nicht aussetzt, wirst du nie wieder lernen, dich vernünftig abzuschirmen und das weißt du auch ganz genau.“
*Sasha starrte Maugrim nur an. Ihre Unruhe war verpufft, die Angst nur noch ein kleiner Funken, der in einer Ecke ihres Geistes vor sich hin glomm. Ihr war völlig klar, dass er Recht hatte. Verstecken und anderen Menschen aus dem Weg gehen machte ihre Lage höchstens noch schwieriger. Sie musste sich mit dem Problem auseinander setzen.*
„Ja...du hast natürlich Recht... Danke.“
*Kleinlaut setzte sie sich auf und rieb sich den Kiefer. Maugrim reichte ihr eine Hand, die sie vorsichtig ergriff. Mühelos zog er sie auf die Beine und grinste sie an.*
„Na also... Ich passe auch auf, dass du keinen Unsinn machst, keine Sorge.“
*Er blickte zu dem dunkelrot verfärbten Mond hinauf und dann wieder fragend zu Sasha.*
„Schlafen ist für dich heute Nacht wohl nicht mehr oder? Was hast du also vor außer hin und her zu laufen?“
*Auch Sashas Blick glitt wieder zu dem tief hängenden Blutmond. Dann traf sie eine Entscheidung. Sie drehte sich langsam zu dem Tormentor-Priester um und zeigte ein wölfisches Grinsen, dass ihre Fangzähne entblöste.*
„Ich gehe auf die Jagd.“