Mitten in den verwinkelten Gassen Fanadas versteckte sich in einer kleinen Seitenstraße, nahe der Akademie, ein kleines Wirtshaus. "Zur Gerste" hieß es, und wer schon länger in Fanada lebte, der wusste, das dort oft Reisende untergebracht waren. Im Schankraum, der besonders in den Abendstunden gut gefüllt war, konnte man Fremde wie Einheimische treffen.
Heute jedoch waren fast nur Einheimische da und ein, zwei reisende Händler aus dem freien Andarra, die hier die Herbst- und Winterwaren ihrer Stämme verkaufen wollten. In einer Ecke saß Vanion an einem Tisch, der schon früher sein Lieblingstisch gewesen war. Er saß ganz hinten, mit dem Rücken zur Wand, und hatte sich in seinen dicken, grünen Wollmantel gehüllt. Denn obwohl das Feuer im Kamin hell brannte, ihm war doch kalt. Nur halbherzig lauschte er den Gesprächen am Tisch: grade erzählte der dicke Tom, dass eins seiner Pferde unter hohen Schwierigkeiten gefohlt hatte, und schon fiel Daron, der Sohn eines Müllers mit ein. Die Mühlsteine seien ja kaum noch zu bedienen, sagte er, ständig würden sie sich verkanten, doch sein alter Herr würde niemandem außer sich selbst erlauben, den Schaden zu richten. Dummerweise war sein alter Herr wirklich alt, weit über sechzig, und kaum noch in der Lage, gradeaus zu sehen. Genervt von den alltäglichen Themen schnaubte Vanion, was ihm ärgerliche Blicke der anderen beibrachte und einen bissigen Kommentar von Tom:
"Auf dem Bachlauf-Hof, da hat man ja keine Probleme, nicht wahr? Mutter Bachlauf führt den Hof ja. Und der Sohnemann vom Rübenbauer draußen, der ja auch, der hat ja.. welche deiner Schwestern hat der nochmal geheiratet?!"
Ungerührt sah Vanion zurück in Toms düsteres Gesicht. Die finstere Miene des breiten Mannes beeindruckte ihn nicht im Geringsten.
"Isabelle war es. Meine ältere Schwester. Sie könnte den Hof auch führen, geschickter als du ist sie allemal, Tom!"
Die anderen lachten unsicher, doch Vanions Miene blieb ernst und auch gelangweilt. Diese Gespräche, sie waren so.. alltäglich. Öde.
Dieser Brief...
Sollte er das tun? Nach allem, was er erlebt hatte, erschien es ihm ungerecht, so von oben herab angesprochen zu werden. Doch dann saß er hier herum, trank Bier mit seinen Freunden.. oder eher Bekannten. Seit er in den Krieg gezogen war, hatte er sich verändert. Und diejenigen, die hier geblieben waren, nun - die waren mit anderen Dingen beschäftigt. Kartoffeln, Weizen, fohlende Pferde...
Erst jetzt bemerkte er, dass Tom ihn wütend anfunkelte. In seinen Gedanken versunken, hatte er die Erwiderung des Dicken gar nicht mitbekommen. Noch bevor Vanion nachfragen konnte, was er überhaupt verpasst hatte, fuhr Tom ihn an:
"Jaja, der feine Herr, denkt, er sei was besseres! Steht über uns drüber, hm, weil er eine Axt hat und ein Pferd, weil er das Wappen eines Ritters trägt, hm? Wo ist das eigentlich? Hab Geschichten gehört über dich, ja.. warum bist du jetzt wieder hier? Genug vom Rockzipfel deiner Rittermutter?"
Vanion wusste genau, er sollte ruhig bleiben. Er hatte Tom bloßgestellt vor seinen Freundein, sich über ihn lustig gemacht. Tom wollte sich prügeln, er hatte auch schon einen im Tee. Nachgeben, beruhigende Worte finden, vielleicht auch aufstehen und nach Hause gehen.
Stattdessen landete seine Faust zielsicher im Gesicht des teigigen Mannes. Mit einem Knirschen brach Toms Nase, doch der ließ sich gar nicht beirren. Sofort stieß er Vanion von sich. Schon wollte Vanion aufspringen, um sich eine zünftige Prügelei mit Tom zu liefern, doch plötzlich packten ihn fünf, sechs Hände und zerrten an ihm. Noch bevor er sich wundern konnte, warum es so viele Gegner waren, landete er hochkant auf dem kalten, gefrorenen Lehm der Gasse. Noch während er sich aufrappelte, schlug die Tür hinter ihm zu.
Zwischen ihm und der Tür standen Tom, der sich die blutende Nase hielt, Daron, die Fäuste geballt, und der Wirt mit einem Knüppel in der Hand.
"Merde! Vous trois?!", zischte der ehemalige Knappe. Dann erst besann er sich, dass hier niemand caldrisch sprach. "Zu dritt? Seit wann ist eine Prügelei zwischen zwei Freunden eine Sache für mehr als zwei Freunde?"
Doch die abweisenden, verschlossenen Gesichter ließen ihn erkennen, was hier los war. Das waren nicht seine Freunde. Das waren nicht mal Bekannte. Seit Wochen hatte er das Gefühl, mit niemandem hier reden zu können. Die Leute interessierten sich für das Wetter, für Vieh und Getreide, und für Gerüchte, die man über die Ayd'Owl hörte. Alles andere war fremdländisches Gewäsch, seltsame Dinge, aus denen sich die Leute hier heraushalten wollten. Er hatte zu oft gehört, was man über den Sohn des alten Barak hier so raunte, der in die Welt geritten war, und dann wie ein geprügelter Hund zurückgekommen war, um nicht zu verstehen, was hier vor sich ging.
"Ihr..ich hab mit euch gespielt, wir haben Ritter und Magd gespielt, wir haben die Schafe drüben vor'm Osttor scheu gemacht! Und jetzt wollt ihr mich verprügeln!?"
Betreten sahen die drei sich an, dann ergriff der Wirt das Wort.
"Vanion, verschwinde. Das hier ist 'ne Kneipe für gute Tangarer, nichts für solche wie dich. Du hättest mal lieber bei deiner Mutter sein sollen, als dein alter Herr gestorben ist, und ihr beim Hof unter die Arme greifen sollen. Du bist ein Tunichtgut, ein Glücksritter, das brauch' ich nicht in meinem Laden. Ehrbare Leute will ich haben, nicht so Vagabunden wie dich."
Keine drei Tage später brach Vanion von seinem Hof auf. Nein, dort gehörte er wirklich nicht hin.