Die Nacht war kühl und der Nebel in der Bucht von Tiors Hand schien noch dichter und undurchdringlicher als er es sonst schon war. Das Feuer, um welches die fast funf Dutzend Männer und Frauen standen, warf lange Schatten an die Aufstiege der Senke, in dessen Mitte es loderte.
Kassos blickte sich zufrieden um. Hier waren die Besten und vielversprechendsten versammelt, all diejenigen des Ordens, die wahrhaftig Tior dienten und dem Weg des Priesters, oder Paladins folgten. Sie alle waren große Krieger. Männer und Frauen, die nichts in ihrem Glauben erschüttern konnte. Unter ihnen -da war sich Kassos sicher- würde er seinen Nachfolger als Ordensmeister finden.
Langsam Schritt der Hohepriester um das Feuer, um das die Novizen und Priester sich im Kreis aufgestellt hatten. Er ging zwischen ihnen und dem Feuer und blickte jedem von ihnen in die Augen. Was er sah machte ihn stolz: Stärke, Mut, Ehre und Opferbereitschaft. Doch was er nicht sah, machte ihn noch stolzer: keiner von ihnen hatte Furcht in den Augen.
Als Kassos eine Runde gegangen war, blieb er stehen und blickte ins Feuer. Nun ist der Augenblick gekommen, dachte er und ging weiter, um das Feuer ein weiteres Mal zu umrunden. Er hob den Blick zum Mond.
"Heute Nacht, sind wir Jäger", begann der Tiorsgeweihte, "heute Nacht, werden wir im Licht des blutroten Mondes Jagen.
Legt eure Stiefel ab, denn ihr sollt spühren welchen Weg eure Beute nahm." Wie eine Einheit, stießen die Männer und Frauen ihre Speere in den Boden und streiften ihre Stiefel ab.
"Legt eure Rüstung ab, denn nur euer Kampfgeschick und euer Glaube, sollen euer Rüstzeug sein.", sprach Kassos und die Priester und Novizen gehorchten. Sie streiften die Lederwämse ab, die jeder von ihnen nur noch trug und warfen sie zu Boden.
"Nehmt euren Speer auf, denn er soll eure Klauen und eure Reißzähne sein." Und mit wildem Geschrei und Tiors gebrülltem Namen, nahmen sie ihre Speere auf und reckten sie dem blutroten Mond entgegen.
"Heute Nacht sind wir Jäger in Tiors Namen.", begann Kassos erneut zu sprechen, als sich die Kriegsrufe gelegt hatten. "Heute Nacht, gehen wir zur rituellen Jagt. Wir jagen nicht das Wild was wir essen, wie es bei Vollmond brauch ist, nein, wir jagen die Finsternis selbst! Wenn der Mond die Farbe von frischem Blut annimmt, werden wir gemeinsam Tior um den Blick des Wolfes in der Nacht bitten. Wir werden gemeinsam beten und wir alle werden die Sinne des Jägers erhalten. Ihr werdet die Fäulnis, hervorgerufen durch den Einfluss des dunklen selbst, riechen. Ihr werdet das Fauchen seiner Kreaturen hören, als wären sie euer eigener Herzschlag. Ihr, die ihr heute Nacht in den Schatten geht, werdet das Blut seiner Kreaturen vergießen. Ihr werdet die das Fürchten lehren, die keine Furcht kennen und ihr werdet denen den Tod bringen, die selbst der Tod sind."
Erneut blickte Kassos zu Mond hinauf und sah, wie sich ein Schatten in das Licht drängte. Ein leichter roter Ton war bereits zu erahnen.
"Betet nun, Brüder und Schwestern. Tior wir bitten dich, lass uns sehen, was die Nacht vor uns zu verbergen sucht. Lass uns das erkennen, was er vor uns zu verstecken sucht. Wir bitten dich gewähre uns diese Gunst und noch eine weitere: Sieh uns zu. Wir bitten nicht um Stärke, denn wir sind stark! Wir bitten nicht um Mut, denn wir tragen Mut in unseren Herzen! Wir bitten nicht um Schutz, denn unser Kampfgeschick wird uns schützen! Wir bitten nur, um deinen Blick der auf uns ruht und den Taten, die wir dir zu Ehren vollbringen."
Als der Hohepriester das Gebet beendet hatte, ging er runter auf ein Knie und erwartete, wie es die Regel des Ordens wollte, Tiors Antwort und die Priester und Novizen taten es ihm gleich.
Nicht einmal ein lautes Atmen war zu hören,selbst die wenigen Tiere, die in der Nähe von Tiors Hand zu finden waren, gaben keine Laute von sich.
Mit einem Mal, loderte das Feuer haushoch auf und war von einer tiefen, roten Farbe. Wie in Trance, begannen alle die um das Feuer versammelt waren sich zu erheben. Sie hatten Tiors Antwort vernommen.
Kassos ging auf den Rand der Senke zu und die Männer und Frauen folgten ihm. Er führte sie Richtung Süd-Osten, auf die Ausläufer des Walds von Arden zu.
Niemand sprach und niemand würde sprechen, bis er einen würdigen Gegner gefunden hatte. Und nichts anderes würde in dieser Nacht über ihre Lippen kommen, als Tiors Name.
Vor den ersten Bäumen blieb Kassos noch einmal stehen und blickte zum Mond. Bald würde er vollständig rot sein. Er wandte sich den anderen Jägern zu und blickte grinsend, fast wahnsinnig von einem zum anderen. Wie bei den anderen Jägern, zeigten sein Gesicht die Schatten wölfischer Züge.
Nach dem er dem letzten von ihnen in die Augen gesehen hatte, hob er seinen Speer. Die Männer und Frauen stürmten los und auf den Wald zu. Der Hohepriester an ihrer Spitze. Sie sahen die Fährten ihrer Beute am Boden, rochen die Angst der Kreaturen und hörten den Herzschlag derer, die sich in ihrer Furcht ergingen.
Jeder von ihnen würde heute Nacht einen Diener des Herrn der Lügen jagen. Jeder von ihnen würde heute Nacht schwarzes Blut vergießen.
Die rituelle, dunkle, Jagt hatte begonnen.