Mit gesenktem Kopf rieb Vanion seine tauben Hände aneinander. Sie prickelten, als langsam wieder Blut hineinlief.
Die Worte Blanchefleurs trafen tief. Widerwillig musste Vanion sich eingestehen, dass Blanchefleur gradezu meisterhaft auf der Klaviatur seiner Vergangenheit spielte, während er zeitgleich Vanions Anspruch so erscheinen ließ, als würde er allein auf Kosten Leahs durchgesetzt werden - und als wäre ebendies Vanions Absicht.
Doch dann kannst du mannhaft deinen Streit führen....gegen ein vierjähriges Mädchen.
Seine Augen suchten nach Lorainne, doch sie schien seinem Blick auszuweichen. Vor einem Jahr noch war er ihr so nah gewesen. Sie hatte sich ihm anvertraut, ihn als Roquefort akzeptiert. Und nun waren nichts als Scherben übrig. Sein Blick wanderte weiter, über die Männer des Barons hin zu dem harten, verschlossenen Gesicht der Isabeau de Lioncoer. Vor nicht ganz einem Jahr war es gewesen, als er seine Schwüre bekräftigt hatte, und dann hatte es keinen Monat gedauert, bis er alles in den Wind geschlagen hatte. Worte.. Worte sind Wind. Taten, darauf kommt es an.
Und mit diesem Gedanken fasste er wieder Mut.
"Vanion, der Bauer aus Tangara, war es, der in den Krieg gegen Barad Konar zog und Seite an Seite mit den Männern aus Bourvis focht."
Tief holte er Luft.
"Vanion, der Trunkenbold, war es, der nach Ahrnburgs Fall beschloss, ein Pilger zu werden, anstatt den einfachen wie feigen Weg auf's Meer zu nehmen.
Vanion, der Frauenheld und Hurenbock, war es, der half, eine Edle Goldbachs von ihrem ewig währenden Leid zu erlösen."
Sein Blick auf die Baronin war streng und unerbittlich, aber ohne Feindschaft.
"Vanion, Vater eines Bastards, war es, der seine Rittermutter anflehte, Leah nicht gegen ihren Vater einzusetzen!
Vanion, angeklagt als Mörder, gezeichnet durch Valkenstein, war es, der fast zwei Jahre lang nach Lorainne suchte, als sie entführt war, und der sie am Ende fand!
Vanion, der das Vertrauen eines Flamen Magnus besitzt, war es, der die Gebeine der Flamina Agathe barg und den Tempeln Alamars übergab!
...Vanion, der Eidbrecher."
Nun schwieg er. Es war leicht, seine Sünden gegen seine guten Taten aufzuwiegen. Doch war all das nichts als Geplänkel, wie das langsame Abtasten zweier Krieger im Kampf, gewesen. Nun galt es.
"Vanion, der Eidbrecher. Der Feigling, der bei Nacht und Nebel fortlief. Der Ehre, Eide und Freunde betrog, weil er nicht den Mumm hatte, seinen eigenen Onkel zu töten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich hier vor Euch stehe, Euer Gnaden, weil ich Anspruch auf das Erbe erhebe, welches mein Leben als Knappe beendete.
Vanion, der Feigling, kehrte zurück, als Lorainne in höchster Not in ihrem Blute lag. Vanion, der Eidbrecher war es, der am Ende die Klinge Savarics in seine eigene Kehle rammte. Vanion, der Ehrlose, hatte nichts zu gewinnen durch diese Tat. Gegen Alamar hatte Vanion sich versündigt, und nun zog er durch einen Sippenmord den heiligen Zorn Lavinias auf sich. Doch damit wurde La Follye gewonnen. Nicht alleine dadurch, gewiss, doch was wäre La Follye ohne eine La Follye? Dort würde nun der Hirsch auf den Bannern wehen, und Savaric würde weiter mit dem Täuscher paktieren. Der Eidbruch mag damit nicht fortgewaschen sein, doch ich tat, was ich tat, ohne einen Gedanken auf Ruhm oder Gewinn. Ich tat es, weil ich meine Freunde, meine - Familie schützen wollte."
Endlich sah er Blanchefleur an.
"Ich flehe Euch an, Euer Gnaden: Glaubt mir, dass ich Leah kein Haar krümmen möchte! Sie ist meine Cousine, und sie ist das Unschuldigste und Reinste, was auf Roquefort zu finden ist! Doch möchte ich genausowenig mein Erbe verleugnen. Vanion Bachlauf gibt es nicht länger, und ich habe es als letzter von allen erkannt - doch ich habe es erkannt."
Seine Stimme zitterte.
"Wenn Ihr mich als Bastard aus Roquefort anerkennt, mit allen Folgen und Implikationen, und mir Euer Wort gebt, dass an den Feuern Roqueforts stets ein Platz für mich ist - so will ich verzichten auf Lehen und Erbe."
Es tat weh. Vier, fünf Jahre hatte er gekämpft - und nun entglitt ihm der Lohn. Doch er hatte die Götter erzürnt, und dies war gewiss Teil ihrer Strafe.
"Allein eine Bitte möchte ich äußern, so Euer Gnaden es mir gestatten."