Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Stand der Gnade
Simon de Bourvis:
"Wir wollen aber ihren Namen unerwähnt lassen, sowohl "Bachlauf" wie auch "Roquefort" mögen ihr mehr schaden als nützen.
Die Mutter Oberin wird es verstehen und ihren Namen für sich behalten."
Vanion:
Unwillkürlich empfand Vanion Bewunderung für Lorainnes Geschick.
Seine Tochter an Leahs Seite zu bestellen war eine Gratwanderung, die nicht ungefährlich war. So war Jeanne in direkter Reichweite eines jeden Caldriers, der ihm ernsthaft schaden wollte. Doch genauso war sie unter dem Schutz Lorainnes - und Simons. Und wenn Blanchefleur soviel an Leah lag, dann war er gewiss niemand, der Kindern etwas antun würde. Jeanne war hier oben sicher, und es war letztendlich die Heimat ihrer Ahnen, und hier gehörte sie hin.
Sie jedoch ins Kloster zu schicken, sie unter den Schutz Lavinias zu stellen, war ein zweischneidiges Schwert. Gewiss würden Diener der Göttin niemals etwas tun, was zum Schaden seiner Tochter führen würde. Doch andererseits - was, wenn sie den Weg Lavinias wählte? Was, wenn Jeanne sich dazu entscheiden würde, in dem Kloster zu bleiben und zu dienen? Wieder erinnerte sich Vanion daran, dass er seit Savarics Tod nicht mehr zu Lavinia gebetet hatte. Er war fest davon überzeugt, dass die Mutter ihn verstoßen hatte für seine Tat. Vielleicht ist das der Wille Lavinias, dachte er. Ich gebe meine Tochter in die Hand der Göttin, sie sorgt für meine Tochter, wie sie nie wieder für mich sorgen wird. Denn ihre Hand und ihre Gnade habe ich verwirkt.
So musste es gewiss sein, dachte er. Das war die letzte Gnade, die Lavinia ihm erwiesen hatte. Sie würde über seine Tochter wachen.
"Es möge so sein, wie die Chevalière Lorainne es vorschlägt, Euer Gnaden. Lasst Jeanne im Kloster aufwachsen. Den Namen Bachlauf soll sie niemals führen, denn es ist nicht der Ihre. Ich werde beten, dass Jeanne und Leah durch eine innige Freundschaft von Kindesbeinen an verbunden werden - als Freunde, und als Verwandte."
Lorainne:
"Ich werde sie persönlich ins Kloster bringen, so Euer Gnaden es wünschen."
Isabeau Lioncoeur:
"Da ich mich eh auf dem Weg nach Norden befinde kann Chevalier Lorainne und das Kind mit mir reisen. Ich werde in Donnerheim halt machen um bei Hofe zu berichten. Da wird es die Möglichkeit geben alles notwendige zu besorgen."
Vanion:
So sollte es also sein.
Blanchefleur und Goldbach. Lorainne. Ein Bauer.
So viele Parteien waren hier, so viele unterschiedliche Beweggründe prallten aufeinander. Innerlich dankte Vanion den Göttern für das Glück, das ihm zuteil wurde, während er gleichzeitig fieberhaft zu ergründen und zu verstehen versuchte, was hier grade geschah - und welche Tragweite die Ereignisse hatten.
Blanchefleur schien es vor allem um den Frieden zwischen Roquefort und La Follye zu gehen. Er konnte gewiss keinen Bastard brauchen, der einen Anspruch auf Roquefort durchzusetzen versuchte. Vanion besaß keine Macht, die über die Kraft seiner Hände hinaus ging, aber es fiel dem Krieger schwer, einzuschätzen, ob Blanchefleur das klar war. Was also waren seine Motive? Es schien ihm um Leah zu gehen, Savarics Tochter. Das einzige wirklich unschuldige und unbefleckte Familienmitglied der Roqueforts - neben Vanions eigener Tochter.
Wenn Leah erst auf Roquefort herrscht, hat sie alles, was sie braucht, um das Lehen zu führen. Starken Beistand durch Blanchefleur, durch ihren Oheim Simon, und dadurch gewiss auch durch Lorainne. Und Lorainne ist als Mündel Goldbachs aufgewachsen. Das wiederum sorgte dafür, dass die Isabeau Lionceur sich wahrscheinlich nicht gegen Roquefort und auch nicht gegen Blanchefleur stellen würde. Vanion mochte sich täuschen, doch schienen Blanchefleur und Goldbach nicht grade in inniger Freundschaft miteinander verbunden zu sein.
Also doch kein Mitgefühl und keine Sorge, sondern harte Politik des Barons? Oder doch eine Mischung aus beidem? Noch blieb ihm die Antwort auf dieses Rätsel verborgen.
Seine eigene Tochter würde mit Leah aufwachsen - ein Garant für den caldrischen Adel, dass Vanion nichts gegen Leahs Anspruch unternehmen würde, eine weitere Versicherung dafür, dass sein Verzicht endgültig war. Im Gegenzug erhielt er endlich den Stand, der ihm durch Geburt und Erbe zustand. Mochte er auch nur als Bastard anerkannt sein, das reichte. Er war von hoher Geburt. Jeanne würde Lesen, Schreiben und vielleicht sogar die Mathematik erlernen. Und sie könnte den Weg einer Novizin Lavinias einschlagen, vielleicht eine Nonne im Kloster werden. Ein friedliches, sicheres Leben, unbeeinflusst von den unsteten Umtrieben des Vaters. Der Preis dafür war hoch. Vanion war sich sicher, dass er Jeanne nicht mehr so oft sehen würde. Den heimischen Hof konnte er immer besuchen, dort konnte er immer soviel Zeit verbringen, wie er wollte, wenn der nicht grade durch die Welt reiste. Aber oben in Blanchefleur wäre das nicht so einfach möglich. Die Trennung würde weh tun, und gleichzeitig Ansporn für ihn sein.
Als die Baronin sprach, runzelte er die Stirn. In ihre Hände würde er seine Tochter nicht geben. Isabeau war eine sture, unbarmherzige Frau, die ungerecht über ihn geurteilt hatte. Er hatte versucht, ihr die Hand zu reichen, doch sie - und, ganz wörtlich, ihre Männer - hatte darauf gespuckt. Ihre Haltung konnte er verstehen: keinen vollen Monat vor dem Bruch seines Knappeneides hatte er ihr gegenüber seinen Eid noch bekräftigt und erneut beschworen. Und doch fühlte er sich ungerecht behandelt. Sie vergisst, dass es nie um sie ging bei dem, was geschehen ist - sondern immer um Lorainne. Mochte sie ihn doch verteufeln, ihm machte es wenig aus. Mit Goldbach verband ihn - nichts.
Respektvoll wartete er ab, bis sie ausgesprochen hatte, und in die entstandene Stille sagte er:
"Ich werde Jeanne nach Reines bringen, wenn Ihr es gestattet, Euer Gnaden. Die Reise zurück nach Tangara und wieder in den Norden mag gewiss einige Wochen Zeit beanspruchen, doch im Sommer reitet es sich leichter und schneller als im Winter."
Erwartungsvoll sah er Blanchefleur an. Mit Genugtuung bemerkte er, dass die Männer des Barons nicht mehr links und rechts von ihm standen, sondern sich respektvoll etwas zurückgezogen hatten. Zwar beäugten sie ihn nach wie vor mit Argwohn, doch schienen sie verstanden zu haben, dass es hier nicht länger darum ging, einen scheinbaren Lügner zu bestrafen.
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