Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Stand der Gnade
Vanion:
Der letzte Satz verwirrte Vanion. Er zerrte an seinen Fesseln, aber die Seile lösten sich nicht. Im Gegenteil, er schien die Knoten nur enger zu ziehen. In ihm kochte es, und sein Zorn vermischte sich mit seiner Angst.
"Unter Meinesgleichen ist es üblich, sich von Angesicht zu Angesicht zu begegnen", zischte er. "Unter Meinesgleichen wird man nicht wie ein Verbrecher behandelt."
Simon de Bourvis:
"Aber das bist du doch nicht wahr? Ein Verbrecher. Ein Eidbrecher. Dafür reisst man dir die Zunge heraus und hackt dir die Schwurhand ab.
Und was deine angebliche Abstammung angeht, so hat mir La Follye bereits alles berichtet, was es zu sagen gibt.
Eine alte Geschichte.
Und keinerlei Beweise."
Vanion:
"Keine Geschichte! Die Wahrheit! Ich bin ein Roquefort!"
Wieder riss er an seinen Fesseln.
"Mein Eidbruch wurde mir vergeben vor dem Heiligen Alamar! Wer seid Ihr, mich hier zu richten?!"
Die Verzweiflung war deutlich aus Vanions Stimme zu hören. Er hatte Angst, Angst um sein Leben. Seine Gedanken rasten. Wer? Wer kann das sein?
Simon de Bourvis:
"Ja sicher, wir hörten davon.Ich werde die Entscheidung eines Flamen nicht anfechten...Wenn es in Hahnenkamp dieser Tage auch kaum noch zwei Diener Alamars gibt,die dieselbe Meinung haben."
Gelächter.
"Doch uns hier soll nur kümmern, wie mit einem zu verfahren ist, der Ansprüche erhebt, die er nicht beweisen kann."
Vanion:
"Nehmt mir die Fesseln und den Sack ab."
Vanion sprach ganz ruhig. In ihm kämpften jedoch Angst und Wut miteinander. Nur eines wusste er mit Sicherheit: die Zeit des Versteckspielens war vorbei. Was immer geschehen würde, er würde es aufrecht und stolz empfangen.
"Ich bin der Erbe des alten Roquefort. Dass ich es nicht beweisen kann, tut der Wahrheit meiner Worte keinerlei Abbruch. Chevalière Lorainne hat die Umstände meiner Herkunft aufgedeckt, als sie nach Beweisen für die Unschuld ihres Vaters suchte. Ihr wollt mit mir verfahren, wie es Euch beliebt - dann nehmt mir Hand und Zunge! Oder Ihr handelt, wie ein Mann von Stand und Würden es täte: hört mich an. Behandelt mich als der Mann, der ich bin: ein Roquefort. Ein Mann, der für La Follye geblutet hat, ein Mann, der im Pilgerzug für Engonien und die Imperatorin kämpfte. Ein Mann, dessen Wort gehört wird unter Kriegern und Priestern!"
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln