Vanion trieb sein Pferd zur Eile an. Es hatte ihn gewurmt, nicht nach Engonia reisen zu können, aber Damians Auftrag war klar gewesen. Ein weiteres Schwert wäre eben dies gewesen - ein Schwert, und davon hatte es gewiss genug gegeben in diesem Spital. Dazu hieß es, Goldbach würde Männer schicken, und Lorainne de la Follye, deren Knappe er gewesen war, ebenfalls. Kein gutes Pflaster für ihn - zu viele private Konflikte.
Also hatte Damian ihn nach Ahrnburg geschickt. Ein Reiter mit tangarischen Wurzeln in Braun würde nicht weiter auffallen, ein weiteres reisendes Schwert, wie man es nach dem Krieg nur allzu oft gesehen hatte. Eine hellbraune Hose, ein brauner Gambeson, lederne Armschienen und eine leichte Brigantine - das einzig auffallende an ihm war sein langes Schwert, das in einer Scheide an seiner rechten Seite ruhte.
In Ahrnburg hatte er nicht viel erfahren können, abgesehen davon, dass in der Stadt viele Stimmen von den Umtrieben der Inquisition munkelten. Feuerschlag, den Damian einst von den Stufen des Tempels in Barebury gewiesen hatte, war mächtiger geworden und hatte seine zahlreichen Jünger angewiesen, jemanden zu suchen. Und Inquisitor Kelos war zu seinem Gegenspieler geworden, so hieß es. Vanion betete, dass diese Erkenntnisse seine Freunde nicht zu spät erreichen würden. Er hatte einen Boten zu Damian geschickt, aber der hatte wohl kaum sein Ziel erreicht, bevor die Männer und Frauen zum Konzil aufbrechen würden.
Aber seine Arbeit hier war getan. Die Informationen, die er aufgetan hatte, mochten wichtig sein oder auch nicht. Nun galt es jedenfalls, zu Damian zurückzukehren.
Sein Lager schlug er einmal mehr in einem Wald abseits der Straße auf. Er hatte kein Interesse, anderen Reisenden zu begegnen, aber es war mittlerweile so bitterkalt geworden, dass er um ein halbwegs niedriges Feuer nicht herum kam. Ein wenig Trockenfleisch und ein Kanten Brot mussten als Abendessen herhalten, und nicht lange, so kuschelte er sich an sein Pferd, um die Wärme nicht zu verlieren, und schlief ein.
“Eure Hoheit, eure Hoheit!”
Einen Moment blickte er sich verwirrt um. Er befand sich in einem kleinem Raum, die Wände schienen aus Holz zu sein, doch der Raum warso eng, dass hier nicht einmal ein Schwein hineingepasst hätte. Er blickte an sich herab. Seine Kleidung war prachtvoll golden, natürlich, schließlich war er mit "eure Hoheit" gemeint. Und dass seine Hose heruntergelassen war, kam ihm auch vollkommen normal vor. Schließlich saß er auf dem Abort!
"Es ist soweit, kommt herein!", hörte er sich selber rufen. Helles Licht flutete seinen kleinen Thron, als eine riesige Gestalt, bestimmt dreimal so groß wie er selber, zu ihm herein kam. Auffordernd streckte er ihr die Arme entgegen und sofort wurde er hochgehoben, ihm der Hintern abgewischt und seine Hose wieder angezogen.
"Wie ein größer Imperator! Aber ein Herrscher muss auch seine Ländereien aufräumen, also ab mit dir in dein Zimmer und aufräumen."
Was fiel dieser riesigen Dienerin eigentlich ein? Schließlich war Vanion hier der Imperator!
"Nö! Ich will das jetzt nicht! Ich hab jetzt hunger und will spielen gehen!"
"Aber eure Hoheit, Ihr müsst doch…"
Wie kann sie es wagen? Vanion zu unterbrechen! Die Zornesröte stieg ihm sofort ins Gesicht.
"Aber ich will das nicht! Ich will jetzt essen!"
Schnell buckelte die Riesendienerin vor dir bis auf die Knie runter.
"Aber natürlich, Eure Hoheit, verzeiht, Eure Hoheit, ich werde mich sofort darum kümmern, Eure Hoheit."
Und rückwärts kriechend verschwand die Dienerin aus seinem Sichtfeld. Was eine Freichheit! Hätte er eine Wahl gehabt, würde er die beiden Riesendiener sicher schon längst ausgetauscht haben. Doch nun gab es Wichtigeres zu tun! Schnell den Denkerdaumen in den Mund und sofort ging es an neue Pläne für sein Imperium. Schließlich mussten die Bösen, tja, wer sind eigentlich die Bösen? Egal! Es mussten Pläne gegen die Bösen geschrieben werden! Also ab ans Schreibpult. Grazil griff er nach der eleganten blauen Schreibfeder, tupfte sie kurz in dieses Dingsda, keine Ahnung wofür das gut war, und begann, heroische Pläne niederzuschreiben.
Doch dann begann er, kleiner zu werden - nein, sich von sich selbst zu entfernen. Die vergoldeten Wände seines Palastes wurden blasser und grauer, sein königliches Gewand verlor an Glanz und verwandelte sich einfach so in lumpige Kleider! Vanion entfernte sich immer weiter von sich selbst und erkannte, dass seine Schreibfeder nichts anderes als ein kleines Stück Kreide war, mit welchem er auf einer Schiefertafel wild umher kritzelte. Sein Blick auf die Szene fuhr immer weiter zurück und er sah die Dienerin, eine still vor sich her weinende Mutter in einer heruntergekommenen Küche, die ihrem Kind aus alten Möhren und Kartoffeln eine Suppe zubereitete.
Viel mehr als eine Portion würde es wohl nicht sein. Die Wände des Hauses schließen sich, als sein Blick über das Haus hinausging. Die Umrisse Norodars wurden für ihn sichtbar, und die meisten Häuser waren nicht in gutem Zustand. Einige Dächer waren sogar eingestürzt.
Vor einem der Häuser herrschte Aufruhr, Männer in Schwarz und Blau zerrten einen Mann aus dem Haus, um ihn zu einem bewachten Karren zu schleppen, auf welchem weitere Männer saßen. Der Krieg war über Norodar gekommen, und die Stadt blutete aus.