Die Gebiete in Caldrien > Das Caldrische Imperium

Voranenburg, 266 n.J.

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Vanion:
Spätsommer 266 n.J.

Vor ihnen lag einer der vielen niedrigen, sanft geschwungenen Hügel, die für das südliche Caldrien so markant waren. Vanion reiste gerne durch diese Gegend. Mit dem Kennerblick des Bauern hatte er früh den fruchtbaren Boden hier erkannt, und die breiten, langsam dahinfließenden Flüsse waren gut nutzbar zu machen. Wassermühlen fand man hier immer wieder, und insgesamt merkte man den gräflichen Ländereien an, dass der Krieg sie weitestgehend verschont hatte. Hier war kein Salz auf die Felder gestreut worden, kein Feuer hatte hier die Wälder berührt, und die Mauern der Voranenburg selbst waren nicht vom Blut ganz rot gefärbt worden.

Und die Mauern der Voranenburg waren es, die Esta und Vanion erblickten, als sie die Hügelkuppe erreichten. Sie sahen hinab in eine weite Senke, in deren Zentrum sich ein weiterer Hügel erhob, auf dem das trutzige Gemäuer thronte. Der alte Bergfried war zu erkennen, aber auch die neueren Gebäude, die ihn umgaben, und die erst später dazu gekommen waren. Um die Burgmauer herum schmiegten sich die Häuser und Hütten der Stadt aneinander. Die vielen Dächer ließen verwinkelte Gassen erahnen, die sich plötzlich zu weiten Marktplätzen weiteten. Das grün-goldene Banner mit der silbernen Waage darauf flatterte stolz in den blauen Himmel hinein, und auf der großen Straße, die zu einem der Haupttore der Stadt führte, herrschte reger Verkehr: Reisende zu Fuß und zu Pferd, einige Karren, und sogar eine große Kutsche war zu erkennen.

Mit einem frohen Lächeln auf den Lippen drehte sich der Schwanenritter zu Esta um. "Nun? Habe ich zuviel versprochen?"

Esta:
Schon die ganze Reise über war Estas Blick immer und immer wieder über die Landschaft gewandert und sie sog die Bilder von florierendem Leben, die sich ihr boten, regelrecht ein. Es war tatsächlich ganz anders als in Tangara, obwohl die beiden Gegenden, Caldrien und Tangara, quasi nebeneinander lagen.
Während der Reise war sie recht nervös gewesen; etwas, bei dem sie sich lediglich in der Nähe von Alamarsdienern besondere Mühe gegeben hatte, es zu verbergen. So nahe an den Ländereien Ahrnburgs zu sein war ihr wirklich nicht geheuer gewesen. Erst als Vanion begann, die Umgebung als Ländereien Voranenburgs zu preisen, entspannte sie sich und sie konnte die Reise endlich wirklich genießen.
Oben auf dem Hügel angekommen, ließ die junge Händlerin und Magierin ihre Augen über das lebhafte Treiben gleiten und konnte es kaumerwarten, in all das Leben eintauchen zu können.

Auch Vanion schien sich sichtlich zu erholen und sein Lächeln angesichts seiner neuen Heimat ließ Esta ebenfalls freudig auflachen. Es ging ihm besser. Was für eine Erleichterung.

„Schon etwas. Ich meine, angesichts deiner Beschreibung habe ich eine Stadt soweit das Auge reicht erwartet. Das hier ist dann doch schon etwas...unterwältigend.“
Kurz stutzte sie und runzelte grübelnd die Stirn. Sie ließ den ironischen Ton fallen und sah Vanion fragend an: „Eh...Gibt es das Wort? Unterwältigend? Egal, nein, jetzt im Ernst, es ist wunderschön hier. Ich fange an zu verstehen, warum du es hier so magst. Mal davon abgesehen, dass du hier als Ritter dienen darfst.“
Den letzten Satz verzierte sie mit einem Zwinkern in Richtung des vertrauten Chevliers neben ihr.

Vanion:
"Das habe ich nicht zuletzt Damian zu verdanken. Er hat Fürsprache für mich bei seinem Vater, dem Grafen Heinrich, geleistet, und ich bin sein geschworener Mann. Es gibt noch weitere Ministerialritter am Grafenhof. Nicht viele, lass es zehn oder elf sein, aber allesamt sind sie Männer von Ehre!"

Während die beiden langsam den Hügel herunter kamen und sich weiter in Richtung der Stadttore bewegten, erzählte Vanion Esta ein wenig mehr über die Stadt, und auch über das Grafengeschlecht. "Nicht nur Graf Heinricht trägt Ritterwürden, sondern auch seine Frau. Und die Grafentochter Irmgard hat sich dem Tiorsorden angeschlossen." Irgendwann fiel ihm auf, dass er selbst gar nicht soviel über Voranenburg wusste, wie er es gern gewusst hätte.
"Ich muss Damian einmal darum bitten, mir etwas über die Geschichte dieser Stadt zu erzählen."

Esta:
„Da ist aber jemand stolz.“
Ein leises Schmunzeln kam von ihr.
„Du hast wirklich Glück gehabt.“
Sie hörte Vanion aufmerksam zu, während sie beim Gehen immer wieder die Träger ihrer vielen Taschen richtete und die nahenden Tore betrachtete.
„Frauen in der Ritterwürde. Das ist selten. Und dann noch die Tochter in den Diensten Tiors. Klingt nach einer recht wehrhaften Familie.“
Sanft legte sie Vanion beim Gehen eine Hand auf die Schulter.
„Und wenn Damian dir ein wenig erzählt hat, werde ich es lieben gerne hören wollen. Aber erst mal  erholst du dich noch komplett...und kommst heile von Pyria und allem was dafolgen mag zurück.“ Ein leichtes Grinsen zog sich über ihre Lippen.
„Jede Stadt spricht für sich, wenn man sich in ihr bewegt. Auch deine hier wird es. Mehr erzählen kann man später immer noch.“

Vanion:
"Da hast du auch wieder Recht."
Esta war immer noch so vernünftig wie früher, fand er. Diese altklugen Sprüche kannte er.
"Für Erholung ist wenig Zeit, fürchte ich. Ich hoffe, ich kann die Angelegenheiten in Pyria schnell genug zu Ende bringen, um zu Hochwohlgeboren stoßen zu können. Die Baronin reist zum Arden, und wenn ich die Tage richtig rechne, so besteht wohl kaum eine Chance, dass ich ihr dort beistehen kann. Es ist niemals gut, an des Täuschers Haustüre zu klopfen."

Die Miene des Ritters verfinsterte sich, als er voller Sorgen an die kommenden Tage dachte. Aber das fröhliche Treiben am Tor brachte ihn wieder auf andere Gedanken, und nachdem die Wachen sie durchgelassen hatten, sagte er:
"Deine Fürsorge hat gut getan, Esta. Die Glut schwelt noch, aber das Feuer ist nicht mehr aufgelodert - und wird es wohl auch nicht tun. Lavinia hat mir geholfen, und sie hat durch dich gehandelt."
Er legte die Hand auf die Kirschblüten, die sein Wappen zierten.
"Lavinia Tutulina hat mich beschützt, so wie ich in ihrem Namen mich darum mühe, andere zu schützen. Sie gibt mir Kraft in dunklen Stunden, und sie verzeiht die größte Sünde, wenn man sie nur offen und ehrlich bereut."

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