Das Auge Alamars war längst untergegangen. Mutig war Svenja vorausgeschritten, und Destus und Vanion hatten keuchend das Bruchstück der Stele hinterdreingeschleppt. Hinter ihnen hatten sie das Rasseln der Kettenhemden und die schweren Stiefel der Söldner gehört, die mit ihnen aufgebrochen waren. Was für ein wahnwitziger Plan war das nur? Gorix wollte alleine, möglichst unbemerkt und hinter seinen Schutzzaubern geborgen, dieses seltsame Konstrukt reaktivieren. Vanion konnte immer noch nicht so recht fassen, dass er diesem Plan zugestimmt hatte. Aber schließlich war Gorix nicht nur der Herr Baron, den der Herr Ritter schützen sollte, sondern eben auch ein mächtiger Magier und, auch das war Vanion sehr bewusst, um einiges kompetenter als der Chevalier.
Vanion konnte kaum glauben, dass sie unbehelligt bis zu dem Ort gekommen waren. Und auch, während Gorix seine Magie wirkte und Vanion neben Destus angestrengt in den schwarzen Wald hineinstarrte, wurden sie nicht gestört. Ein gutes Zeichen, fand Vanion, und er war um einiges zufriedener und gelöster, als die Gruppe, nun ohne Gorix, sich auf den Weg zurück zum Lager machte. Nach und nach fiel die Anspannung von allen ab, und je näher sie dem Lager kamen, desto fröhlicher wurden sie. Svenja, Destus und Vanion scherzten miteinander, knufften sich und foppten einander.
Und dann schälten sich aus der Dunkelheit vor ihnen Gestalten. Ihre Augen glühten, und auf ihrer Stirn prangte, eingeschnitten oder eingebrannt, das Auge des Täuschers. Viel zu viele, um zu hoffen, den Kampf lebendig zu verlassen. "Lauft", rief jemand, Vanion wusste nicht, wer. Während er selbst rannte, verlor er Destus aus den Augen, aber der Ritter wusste, dass Destus flink und geschickt war. Und dann gellte ein Schrei durch die Nacht, und Vanion sah, wie Svenja zusammenbrach. Sofort eilte er zu ihr, wehrte die ersten Schläge ab, aber es war völlig hoffnungslos. Viel zu viele Feinde. Von allen Seiten prasselten Schläge auf ihn herab, und das letzte, was er sah, war das Glänzen einer Klinge, die den Sternenhimmel auslöschte.
Und dann fühlte er Dunkelheit. Und Wasser! Panisch japste er nach Luft, als er begriff, dass er schwomm. In einem Meer war er, und wohin er seinen Blick auch richtete,
nirgends war ein Ufer zu erkennen. Grade, als er unterzugehen drohte, griff etwas nach seiner Hand. Ein warmer, weicher Griff war das, liebevoll und sanft, aber auch stark! Vanion wurde emporgehoben - und dann hörte er ein wütendes Wolfsknurren, laut wie der Donner. Der Frieden, der ihn durchströmt hatte, zeriss wie ein Nebelschwaden im frischen Wind, und plötzliche Hitze durchdrang Vanion. Es war, als würde sein Blut brennen! Verschwunden war das Meer, verschwunden war die Hand Lavinias, und alles, was er spürte, war Hitze und Flammen und Feuer und Wut. Und dann schlug er die Augen auf und sah in Maugrims Gesicht.
Irgendetwas hatten die Magier getan. Und Vanion hatte dabei geholfen, den Ritualkreis zu schützen. Hatte sich Kultisten und Dämonen entgegengestellt, mit dem Feuer Destruteps im Blut, dem Segen Alamars im Arm, und dem Segen Nedras auf seinem Herzen. Es war nicht verwunderlich, dass der Ritter, nachdem die Strapazen der ständigen Kämpfe, der Blutwurzeln, des Gifts und der Krankheiten endlich überwunden waren, in einen tiefen Schlummer gefallen war, und nun lag er zwar wach, aber völlig zerschunden auf einem der Karren des Trosses. Immer noch brannte es in seinen Adern, und Vanion reagierte unwirsch und zornig auf seine Umgebung.
Dieses ständige Kribbeln sorgte auch dafür, dass er sich gegen alle Widerstände von dem Karren erhob, sobald der Tross Halt gemacht hatte.
Und dann sah er den Krater.
"Das war also das Beben", murmelte er. Um ihn herum löste sich der Tross langsam auf, die ersten begannen mit Untersuchungen der Barriere, andere sicherten die unmittelbare Umgebung. Vanion erinnerte sich daran, wie Lorainne begonnen hatte, die Leichen der Wächter aufzubahren. Erst zwei Tage war das her, aber es kam ihm viel länger vor. Sein Blick glitt über die schwarz-gelben Toten. Hier gab es noch mehr zu tun.