Jelena stand auf dem Dach ihres Hauses und ließ den Blick über die Stadt schweifen.
Fanada, die Goldene, machte an diesem Oktober-Tag ihrem Namen alle Ehre: der gleißende Sonnenschein brachte die vergoldeten Kuppeln der Tempel und Schreine zum glühen und tauchte die Straßen und Plätze in scharfes, blendendes Licht in dem nur noch die Kontraste zwischen Licht und Schatten hervortraten.
Es war ein kompletter Gegensatz zu jenem Tag 12 Monate zuvor.
Jenem kalten, nassen, nebligen Ungeheuer von Tag der vor genau 52 mal 7 Tagen, vor 8760 Stunden einen ihrer liebsten Menschen gestohlen hatte.
"DESTRUTEP! KRIEGSBRINGER! HERR DES FEUERS! Hier stehe ich und vollbringe dein Werk! Das Opfer wurde gebracht..."
Galoria neben ihr jubelte, sie wertete seine Stimme als Lebenszeichen, aber Jelenas Herz verkrampfte sich vor Panik, denn sie erkannte die Worte und sie wusste genau was geschehen würde...
Sie schüttelte den Kopf um die Erinnerung zu vertreiben und stützte sich auf die warme Mauer vor ihr, ließ die taktile Empfindung das Grauen vertreiben, welches sich in ihrer Seele einnisten wollte. Bei einem ihrer letzten Besuche hatte Sasha sich ihr geöffnet und die Verbindung zu seiner Seele ermöglicht, denn das Rudel blieb auch nach dem Tod zusammen. Es war eine Tatsache die Jelena sehr gut annehmen konnte, war es doch zu Hause mit den Seelen der Ahnen genau so.
Sie hatten geweint und gesoffen und es war ein großer Teil gewesen der zur Heilung der Wunde in ihrem Herzen beigetragen hatte.
Wenn Jelena eines verstand, dann war es der freie Wille und die eigene Entscheidung. Und dies war seine Entscheidung gewesen. Es war kein Zwang durch die Helfer des Lichs, keine Überwältigung durch den Gott der sich ungebeten in seiner Seele breit gemacht hatte. Es war seine eigene Entscheidung gewesen sich für das Leben seiner Schwester zu opfern.
Jelena konnte mit dieser Erkenntnis gut leben.
Sie hatte ein Jahr lang ihm zu Ehren Trauer getragen. Gewänder in der Farbe des Blutes, einen Kopfschmuck aus immergrünen Zweigen zu hohen Festtagen, hatte auf Schmuck verzichtet und auf Standessymbole. Sie hatte Weihrauch verbrannt und Sandelholz, Whiskey und sein Lieblingsessen als Opfergaben dargebracht und eine Figur nach seinem Ebenbild auf ihrem Hausaltar aufgestellt.
Nun aber war das Jahr vorbei und es würde seine Entscheidung nicht ehren wenn sie in Trauer versinken würde und seine Seele hier festhielt. Das war egoistisch und falsch. Stattdessen hatte sie mit Anicas Hilfe den Ritus vorbereitet um die Trauer enden zu lassen und vollends in das Leben zurück zu kehren.
Mal ganz davon abgesehen das er mit derlei Drama überhaupt keine Geduld haben würde.
Also hatte sie Einladungen verschickt und angefangen zu backen, literweise sein Geheimnis zu mischen, Musikanten eingeladen und sich auf eine nervenaufreibende Suche nach der seltsamen Geschichtenerzählerin im blauen Gewand gemacht um sie zu bitten Teil des Festes zu sein.
Jetzt blickte sie auf das bunte Treiben in ihrem Innenhof herab und lauschte den Gesprächsfetzen. Bald würde die Dämmerung hereinbrechen und sie würde das Feuer entzünden um die Trauergewänder zu verbrennen und ihre normale Kleidung wieder anzulegen.
Musik und Tanz würden beginnen und schließlich würde die Geschichtenerzählerin vortreten und ihr Werk vortragen.
Das Epos über die drei Tode des Kriegers.
Das Epos über den Tod des Maugrimm Wolfsfang.