"In Friedenszeiten hätte er wohl Zeit für dich", antwortete Vanion - eher der Höflichkeit halber, nicht, weil er tatsächlich davon überzeugt gewesen wäre. Narecien mochte in fernen Landen Rang und Würden eines Paladins tragen, doch wenn er sich an den Toren Voranenburgs so gebärdete, wie er es hier getan hatte, dann würde man ihn wohl eher auslachen und fortschicken.
"Doch solange du keine Streiter bringst, wird er seine Aufmerksamkeit gewiss auf andere Dinge richten wollen. Bedenke, dieser Konflikt schwelt seit Jahren. Sein Tun und Handeln ist darauf ausgerichtet, die Seinen zu schützen und seine Feinde zu strafen. Da wird er einen Fremden Ohneland, mag er auch noch so gerechte Absichten in sich tragen, nicht anhören. Und gerätst du zwischen die Linien, dann sei gewarnt. Ein Ritter mag zwischen Freund und Feind, Edlen und Gemeinen unterscheiden können. Doch ein Gardist, dessen Frau zuhause auf ihn wartet, wird für die Sache seines Herren zuschlagen, denn er will zu Heim und Herd zurück."
Er seufzte. Das tat er in den letzten Jahren irgendwie öfters.
Er weiß nichts von diesen Landen. Er hat hier keine Freunde, kein Ansehen, keine Macht. Sein Gott ist fern von hier. Aber Vanion verstand, dass Nareciens Pflichten ihn dazu zwangen, sich einzumischen, auf die eine oder andere Art und Weise.
"Ich trage die Blüten der Mutter Lavinia nicht, weil sie schön aussehen. Sei versichert, dass das Volk geschont werden wird. Und da Graf Heinrich zu diesem Krieg gezwungen wurde, ist alles Leid der sturen Baronin von Pfauengrund vorzuwerfen. Ich bete zu Lavinia, dass sie sieht, was sie da tut. Sie kann nicht alleine bestehen."
Vanion dachte darüber nach, Narecien vom Tiorsorden zu berichten. Von Kassos' Lehen, das eine wichtige Rolle spielen würde. Von den Äxten, die dort gedungen waren. Doch er entschied sich dagegen. Zu wenig wusste er über diesen Kerl, als dass er ihn, der so unbedacht und vorlaut war, ins Vertrauen ziehen würde. Und außerdem war das hier ein Kloster der Lavinia, und er war der stille Büßer, nicht der streitende Ritter. Und mit diesem Gedanken wurde ihm bewusst, dass er dieses Gespräch nicht mehr länger führen konnte. Zu sehr brachte es die Welt hinein, zu sehr lenkte es ihn ab von Einkehr und Gebet. Also fuhr er fort:
"Die Geschicke Voranenburgs liegen nicht in meinen Händen, und ich bin Bruder Vanion, nur einer von vielen Dienern der Lavinia in diesem Kloster. Ich werde beten und die Mutter um Verzeihung bitten, denn für einen Moment habe ich der Welt erlaubt, an diesen Ort zurückzukehren und mich zu versuchen. Bruder Ignaz - ", er winkte nach dem älteren Mönch, "Narecien wollte sich verabschieden. Er reist allein, und gewiss können Pferd und Reiter etwas zu Essen und zu Trinken vertragen."
Bruder Ignaz blickte streng drein.
"Das Pferd ist versorgt und der Reiter hat nur geredet, statt zu speisen, so scheint es."
Er nickte in Richtung der nicht angerührten Speisen, die nach wie vor auf dem Tisch standen.
"Dein Besucher, Bruder Vanion, hat gewiss noch anderswo zu tun, und ich wünsche ihm den Segen der Mutter auf seinen Reisen."
Die höfliche Verabschiedung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ignaz genug von der Unruhe hatte, die Narecien mitgebracht hatte.
"Sie schenke ihm Ruhe und Einsicht."