Vanion biss die Zähne zusammen, als Keks (schon wieder) irgendwas an seinem Bein tat. Er hasste das aus tiefstem Herzen. Lorainne hätte über ihm gestanden und ihn ausgelacht, und sie hätte ihn gescholten, weil er sich so dumm angestellt hatte. Er wusste, er brauchte die Hilfe und die Heilung, aber zur Untätigkeit verdammt zu sein, das stand einem Ritter nicht gut an. Er atmete tief durch, wie Keks es ihm geraten hatte, und während das Pochen in seinem Bein langsam nachließ, hörte er ihr nur mit einem halben Ohr zu - und schon wackelte sie davon.
"Ich -"
Keks verließ den Raum.
Keks kam wieder herein.
"Du -"
Keks verließ erneut den Raum.
Keks kam wieder herein.
"Keks!!"
Vanion keuchte, als er laut wurde, und seine Stimme war gereizt. Ihm schien es gelungen zu sein, die sprunghafte Frau zumindest für einen Moment aufzuhalten. Alles Mögliche ging ihm durch den Kopf, aber nun war vor allem eines wichtig. In wieder ruhigem Tonfall sagte er:
"Stand ist kein Kleid, das man an- oder auszieht, wie es einem passt! Das darfst du nicht vergessen. Du sprichst von der Courtois - von dem angemessenen Benehmen, einer Höfigkeit. Das war eines der Probleme, das ich mit Anders hatte. Sie hat sich einmal von hinten an mich heran geschlichen und mir Kuchen in den Mund gesteckt, während ich mich in einem Gespräch mit Edlen befand!"
Einen Moment musste er grinsen, aber er fing sich sofort wieder. Das war schließlich nicht lustig und er war ein Ritter.
"Immer, wenn du versucht hast, mich von einem Kampf abzuhalten, hab ich gedacht, sie steht vor mir. Sie kann das nicht. Sie kann nicht dabei zusehen, wie ihre Freunde verletzt werden, oder schlimmer, einander verletzen. Sie - sie geht kaputt an dem, was sie tun muss, um ihre Freunde zu schützen. Ich ... ich hatte gehofft, dass du einmal mit ihr sprechen kannst. Ihr seid euch in gewisser Weise sehr ähnlich, und vielleicht könnt ihr einander etwas geben, was weder Edler noch Gemeiner euch geben kann. Ich kann sie vor Schwertern und Äxten und Speeren schützen, aber ihre Seele vermag ich nicht zu verteidigen. Sie gibt sich auf, fürchte ich, Stück für Stück für Stück, und versteht nicht, warum wir Menschen einander ständig schlimme Dinge antun."
Mit einem Mal sah der Ritter blass aus, erschöpft, und auch müde. Man sah ihm an, dass es ihn einiges kostete, so offen zu sein, abseits des Standes, den er bekleidete.
"Sie hat mehr Ehre im Leib als mancher Ritterbruder, ist tapferer als viele Krieger. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal über - ausgerechnet - einen Kender sage. Nur ist sie so kindlich und unschuldig - zumindest ist sie das einmal gewesen. Sie kann sich das nicht bewahren, fürchte ich, und das wird sie umbringen, bis sie nur noch einen leeren Körper zur Schau trägt und irgendwann einfach tot umfällt."
Vanion vergrub das Gesicht in den Händen. "Ich kann vieles. Kämpfen, Männer in den Kampf führen, ich kann tanzen, gute Rede führen - aber hier bin ich so machtlos wie ein Blinder und Tauber und Stummer." Dann hob er den Kopf und sah Keks ins Gesicht. "Geh, kümmere dich um die anderen. Ich komme gleich nach, wenn mein Bein mich nicht mehr anschreit und ich mit etwas Würde diese Kammer verlassen kann. Ich versteh schon - du glaubst, ich weigere mich, Schwäche zu zeigen. Aber meinesgleichen muss nun einmal Vorbild sein, mit Herz und Verstand. Sieht man die Schwäche eines Ritters, wie soll man ihm dann folgen, sich von ihm inspirieren lassen? Lorainne hat diese Kunst zu einer Meisterschaft gemacht. Sie konnte noch so zerschlagen sein, sie hat es sich nicht anmerken lassen und streng dafür gesorgt, dass all die Schwachen vor ihr versorgt wurden. Und ich sitze nun hier, umsorgt von dir, während andere gewiss noch bluten und leiden. Sieh nun nach diesen. Wir sehen uns gleich im Hof. Vielleicht ist dann auch Anders wieder aufgetaucht. Falk hab ich jedenfalls schon gesehen."