Die Arrestzelle war ein enges, schmales, dunkles Ding, das sich wie ein gereiztes Tier in die hinterste Ecke der Kaserne drückte. Die Gitterstäbe waren alt und verwittert, aber immer noch robust und André erkannte selbst aus der Entfernung, dass das Innere wohl einigermaßen anständig in Stand gehalten wurde. Nach allem, was er soeben gehört hatte, befand sie sich wohl regelmäßig in Nutzung.
Der Wachmann, der André in diesen Teil der Räumlichkeiten begleitet hatte, klimperte hörbar mit seinem schwer behangenen Schlüsselbund, während sie an die Zelle herantraten; seine schweren Schritte waren nicht zu überhören... doch die schmale, heruntergekommene Gestalt, die sich hinter den Eisenstäben in den Schatten drückte, schien nicht zu reagieren. "He Arnauld", bellte die Stadtwache, offensichtlich nicht erfreut, auf diese Art ignoriert zu werden, "hier's jemand, der dich sprechen will." Der Angesprochene drehte sich noch immer nicht um, starrte weiterhin die kahle Wand an, doch seine Schultern hoben und senkten sich einmal kurz und ein leises Schnauben war zu hören, fast so, als würde er lachen. Andrés Begleiter funkelte den Insassen daraufhin wütend an, wandte sich aber letztendlich an den jungen Gardisten. "Er ist ganz Euer", erklärte er leise, "aber macht Euch nich allzu große Hoffnungen. Arnauld ist ein Bastard, und ein gerissener noch dazu. Glaub' nich, dass Ihr irgendwas aus ihm rauskriegen werdet, was wir nich schon wissen." Mit diesen Worte drehte er sich um und begab sich zurück zur Tür des Raums - weit genug weg, um André ein wenig Privatsphäre zu geben aber nah genug, falls er etwas dummes oder verbotenes tun sollte.
"Arnauld ist also dein Name", begann André schließlich, als er sich einigermaßen sicher war, wirklich ungestört mit dem Gefangenen sprechen zu können. "Isch kannte mal einen Arnauld... freundlischer Kerl, aber nischt sonderlisch klug in der Wahl der Leute, mit denen er sisch umgab..."
"Versuch's gar nicht erst, Junge", erklang eine raue, messerscharfe Stimme aus den Tiefen des Käfigs. "Ich hab euch nichts zu sagen. Keine Namen, keine Routen, keine Verstecke. Ich weiß von nix und ich hab nix getan. Es gibt nix, was ihr mir anbieten könnt und vor ein paar Jahre im Loch nebenan hab ich keine Angst." Arnaulds Worte troffen nur so vor Selbstsicherheit und Trotz.
"Oh, isch will keine Namen", antwortete André, ohne sich von dem respektlosen Ton provozieren zu lassen, "und auch keine Routen oder Verstecke. Eure kleinen Schmuggelspiele sind mir egal, isch will nur etwas über einen Mann wissen, der vor einiger Zeit in diese Stadt gekommen sein müsste und wohl in Kontakt mit deinen Freunden am Hafen gekommen ist... kahlköpfig, breit gebaut, strenge Gesischtszüge und die 'altung eines Soldaten... 'at sisch um die Zeit des letzten Vollmonds 'erum mit einigen von ihnen vor einem kleinen 'of im Süden getroffen. Isch glaube, dass du etwas über ihn weißt... und isch bin mir ziemlisch sischer, dass isch dir durschaus etwas anzubieten habe, was disch interessieren dürfte."
Zum ersten Mal, seit André den Raum betreten hatte, kam Bewegung in den Körper des Gefangenen. Arnauld drehte den Kopf, wodurch seine langen, verfilzten Haare zur Seite geschoben wurden und ein langes, hageres Gesicht mit klugen, stahlblauen Augen offenbarten. "Ein Fremder, hm?", echote er, immer noch harsch, aber weniger provokativ in seinem Tonfall. "Wieso sollte ich mich um sowas scheren? Wenn er wirklich in Geschäfte mit den Leuten verstrickt wurde, von denen ihr glaubt, dass ich sie kenne, ist er mittlerweile tot oder einer von ihnen - beides nix, womit ich dir helfen kann, Junge." Auf Andrés Angebot ging der Schmuggler gar nicht erst ein. Er schien ihm kein Stück zu glauben.
"Nun, das ist eine Schande", erwidete André nonchalant, "denn dieser Mann wird von sehr mäschtigen Leuten gesucht... Leuten, die es nischt ausstehen können, keine Antworten auf ihre Fragen zu er'alten... und wenn du keine Antworten 'ast, bedeutet das für sie, dass du disch ihnen widersetzt. Im Moment warten vielleischt nur ein paar Jahre in einem dunklen Loch auf disch, aber wenn du disch weigerst, bei dieser Angelegenheit hilfreisch zu sein, kannst du dir schonmal Gedanken darüber machen, was für einen 'übschen Knoten der Henker am ehesten in deinen Strick machen soll."
Natürlich bluffte André... mehr oder weniger. Zwar hatte das Wort der Baronin von Goldbach in diesen Breitengraden ein gewisses Gewicht, und das Verweigern von Hilfe gegenüber denjenigen, die ihren Willen ausführten, war durchaus ein Vergehen, aber der Gardist bezweifelte, dass sie nur auf seinen Bericht hin einen Schmuggler in Merdrignac an den Galgen bringen würde. Dieses Detail würde er Arnauld allerdings ganz sicher nicht auf die Nase binden...
Der Gefangene lachte freudlos und verschränkte die Arme, seinem Besucher jetzt etwas mehr zugewandt. "Ach ja, an den Galgen", spottete er, doch ein gewisser Zweifel schwang in seiner Stimme mit. Offensichtlich hatten Andrés selbstsichere Worte ihre Wirkung nicht verfehlt. "Und was sollen das für Leute sein, die mich nur mit nem Wort dahinbringen können?"
"Leute, die hochgeboren genug sind, um diesen Einfluss zu besitzen und niedrig genug, um ihn auch zu nutzen, wenn man sie verärgert." Andrés Antwort kam so schnell, als hätte man sie aus einer Armbrust gefeuert. Oh Herr Alamar, verzeih mir die lästerliche Rede und lass den Sergeant bloß niemals erfahren, dass ich das grade gesagt habe, dachte er dabei im Stillen. Sein Blick während er die unterschwellige Drohung aussprach, war konzentriert und streng, aber gleichzeitig gelassen... und er verfehlte seine Wirkung nicht.
Arnauld ließ seinen Blick über Andrés Gestalt schweifen, über seine Kleider und seine Ausrüstung. Der Gardist hatte seinen Wappenrock abgelegt, ebenso wie alles andere, was ihn als Diener des Hauses Goldbaches auswies, aber er trug immer noch Kleidung, die ein einfacher Bauer eher nicht in seinem Besitz hatte, ebenso wie eine Seitenwehr, die für einen Bürgerlichen nicht so einfach zu kriegen war. Alles an ihm drückte aus, dass er inoffizielle Arbeit für jemand sehr Offizielles ausführte... und das beunruhigte den Schmuggler.
"Mal angenommen du sagst die Wahrheit...", begann Arnauld daher zögerlich, "was kannst du mir bieten?"
"Komfortablere Unterbringung", antwortete André, "vielleischt sogar eine kürzere Strafe, wenn die Informationen gut sind... aber auf jeden Fall das Verspreschen, dass sisch in nächster Zeit keine Schlinge um deinen 'als legt."
Der Gefangene zögerte. Man sah, dass er mit sich kämpfte, dass er dem Mann vor seiner Zelle eigentlich nicht glauben wollte... doch letztendlich nickte er.
"Ich hab den Mann gesehen", rückte er schließlich heraus, "nur flüchtig und wir haben nich gesprochen. Ich weiß nich, wer er ist oder was wollte, ehrlich... aber ich weiß, mit wem er gesprochen hat." Arnauld rückte etwas näher an die Gitterstäbe heran. Sein Blick wurde sehr ernst. "Ich hab nich gelogen grade, weißt du. Wenn er wirklich an dem Ort war, von dem du sprichst, mit den Leuten, die du vermutest, ist er mittlerweile Teil der Geschäfte im Hafen und wird es mit absoluter Sicherheit auch bleiben... oder er ist tot."
André schluckte. Das war keine neue Information, aber die Gewissheit, mit der sein Gegenüber sie aussprach, traf ihn wie ein weiterer Schlag in seine Magengrube. "Gibt es irgendeine Art, wie ich herausfinden kann, was von beidem der Fall ist?", hakte er nach. "Wenn du es mir sagst, wirst du es nicht bereuen, Arnauld."
Doch Arnauld grinste nur freudlos. "Ich bleibe dabei, Junge. Keine Namen, keine Routen... aber es gibt da ein Versteck, dass du meinetwegen finden kannst. Es ist nich wirklich geheim und wenn du die falschen Leute dorthin führst, wird man eh einen neuen Ort finden. Dieses Versteck hat deine Antwort."
Diese Worte verwirrten den Gardisten und er runzelte die Stirn. "Was soll das 'eißen?", fragte er. "Von was für einem Versteck redest du?"
"Ganz einfach", antwortete Arnauld, "immer, wenn... diese Leute für ihr Geschäft ein Leben auslöschen, nehmen sie dem armen Tropf seine Besitztümer ab. Alle wirklich wertvollen Dinge werden verteilt oder verkauft, aber von jedem Opfer wird ein Gegenstand übrig gelassen - meistens von geringem Wert in Kupfer, aber einzigartig genug, um als Besitz des Toten erkannt zu werden... und dann bringt man diesen Gegenstand an einen Ort, an dem Dinge wie diese aufbewahrt werden. Trophäen, wenn du so willst. Ein Signal und eine Warnung für Alle, sich nicht in gewisse Geschäfte einzumischen.
Andrés Augen wurden groß. Er verstand jetzt. Er verstand, worauf der Gefangene hinaus wollte und es gefiel ihm ganz und gar nicht. "Das 'eißt, wenn der Mann, den isch suche, von den Schmugglern getötet wurde, dann..."
"Genau", kam es von Arnauld. "Geh zu der Grube. Der Weg ist nicht weit. Wenn du dort etwas als den Besitz dieses Kerls wiedererkennst, ist er ein toter Mann."