Das uralte Amphitheater, auf dem Jeldrik einst unter die Menschen trat nach seiner wundersamen Wiedererweckung durch die Götter und für 250 Jahre ein Eckstein des engonischen Kaiserreichs, war in den letzten Jahren nur durch die Jeldriken benutzt worden. Doch die Krönung von Kelos hatte die Alamar-Tempel in Aufruhr versetzt, in schlimmere Aufruhr als alles, was mit der Inquisition bisher geschehen war. Flamines und Flaminae aus ganz Engonien waren zusammengereist und in der Mitte saßen Flamen Magnus Jarotin aus Engonia, Flamina Magna Amalia aus Donnerheim, Flamen Magnus Gerion aus Brega, Flamen Magnus Damian aus Voranenburg und Flamina Magna Dunwirda aus Middenfelz. Die letzten Tage waren in heftiger Diskussion verbracht worden, denn insbesondere Flamen Damian wurde allenthalben weltliches Interesse an einer Verurteilung von Kelos vorgeworfen. Aber heute war es leise, denn die Flamines und Flaminae hatten ihre Beratungen, Diskussionen und Kontroversen ausgesprochen und man war zu einem gemeinsamen Beschluss gekommen. Im mittäglichen Opferdienst, zu dem kein Ungeweihter, noch nicht einmal die Novizen, zugelassen war, war dieser nun Alamar selbst vorgelegt worden und für gut und richtig befunden wurden.
Flamen Magnus Jarotin, einer der Flamines, der am Längsten die Idee einer Inquisition verteidigt hatte und gleichzeitig einer der Dienstältesten im Raume war, erhob sich. Stille breitete sich im Amphitheater aus, nur das Rauschen des Sees und das Atmen der vielen Menschen, der Ordensmeister der Jeldriken und des Tiors-Ordens, der Abgesandten aus Tangara, Middenfelz und Donnerheim, der Schreiberlinge und all jener, die irgendwie es noch geschafft hatten, einen Platz im Amphitheater zu finden, war noch zu hören. Flamen Magnus Jarotin erhob die Stimme und verkündete:
“Ihr Kinder Alamars und aller guten Götter. Lange haben wir gehofft und gebetet, dass der Weg von Kelos ein verschlungener Weg ist, der ihn doch in das Lichte Alamars bringt. Aber diese Hoffnung mussten wir aufgeben. Er hat sich zum Herrn gemacht, nicht zum Regenten, er hat weltliche Macht übernommen mit nur einem Ziel: Seine Vorstellung durchzusetzen. Nicht länger will er Gesetze durchsetzen, nicht länger will er das Gesetz prüfen, nicht länger will er nur in Vertretung des jeweiligen Fürsten Alamar dienen. Er will selber Gesetz sein, selber Fürst sein, er sieht sich als den Einzigen, der Alamars Wille richtig versteht.” Kurz hält er inne und holt dann tief Luft. “Dies ist Ketzerei.” Als seine Stimme durch das Amphiteater dröhnt, leuchten die heiligen Symbole Alamars auf und Jarotin ist umhüllt von einer leuchtenden Säule. Jedes weitere Wort aus seinem Munde dröhnt und lässt erahnen, wer hinter Jarotin steht, als er das Folgende spricht.
“Kelos, genannt Großinquisitor, ist der Ketzerei an Alamar schuldig erkannt. Ein jeder Diener Alamars, der ihm fürderhin folgt, wird der Ketzerei angeklagt werden. Die Tempel des Herrn Alamar seien ihm verwehrt und der Herr selbst wird ihn strafen, so er diese betritt. So es nach Gesetz und Richtspruch nicht verwehrt ist, soll ein jeder Diener Alamars ihn, so er dessen fähig ist, erschlagen.”
Er setzt sich, sichtlich erschöpft und das Leuchten um ihn und die heiligen Symbole verblasst. Als bereits Stimmengewirr aufbranden will, erhebt sich Flamen Damian. “Fürderhin hat das Konklav erhebliche Bedenken aufgebracht gegenüber der Krönung von Kelos. Da dies aber, genau wie die Reaktionen der übrigen Tempel und der weltlichen Herren nicht in unserer Hand liegen, werden wir uns dazu auch an dieser Stelle nicht ungefragt äußern. Die Alamar-Tempel haben aber einstimmig deutlich gemacht, dass wir jedem Schutz und Unterkunft bieten werden, der vor den Häschern von Kelos flüchtet und dass wir bereit sind, zu diesem Zwecke auch Tempelgardisten in die Tempel zu entsenden, die den von ihm kontrollierten Ländern am Nächsten sind, also insbesondere Brega, Engonia und der Süden von Voranenburg.” Dann setzte auch er sich wieder und niemand verhinderte nun die Explosion von Stimmen, die das gesamte Amphitheater erfasste.