Vanion,
erinnerst Du dich noch an den Tag vor Engonia, als wir über Träume sprachen? In dir erkannte ich mich, stets dem Herzen folgend, bar jeder Vernunft, nur das eine Ziel vor Augen. Du warst mir Stütze in der Zeit, in der Simon nicht an meiner Seite und ich plötzlich auf mich gestellt war. Du warst es, der mir meinen Meister, meinen Vater und freund wiederbrachte. Ich konnte dich einiges lehren, aber eines konnte ich Dir nicht beibrigen: auf die Vernunft zu hören. Doch darum werde ich Dich nun bitten müssen, denn der Brief wird der erreichen, wenn es notwendig geworden ist und ich nicht mehr unter den Lebenden weile.
Ich möchte dass Du das für mich tust, worum Du mich in deinem letzten Brief gebeten hast: den letzten Willen zu achten und dafür zu sorgen, dass dieser Wille befolgt wird.
Doch nicht nur deswegen schreibe ich Dir. Es gibt noch so viel zu sagen, soviel Dinge, die fortan nie mehr ausgesprochen werden können. Keine neue Beleidigung mehr, die erneut einen Riss in unsere beiden Familien reißt.
Verzeih mir, dass du nun nicht mehr Deine Genugtuung fordern kannst. Du magst den Roquefort im Namen tragen, aber Du bist und bleibst der verträumte Maulheld, den ich vor sovielen Jahren in Engonia traf: der Mund ist stets schneller als der Verstand und jeder schimpft seine Ziele dumme Träumereien. aber dieser Bauer gab nie auf, bis er sein Ziel erreicht hatte.
Ich bete, dass auch der Ritter, der aus diesem Bauern geworden ist, niemals aufgibt und weiterhin seinem Herzen folgt.
Du kannst nicht ewig in zwei gerissen sein, zwischen Voranenburg und Firngard. Darum behalte Deine Tochter an deiner Seite, in deiner neuen Heimat, Blanchefleur wird sich nicht dagegen aussprechen.
Leah wird als Savarics Tochter sein Erbe antreten, sorge dafür, dass sie ausgebildet wird, wie ich es tue. erzähle ihr die Geschichte unserer Familien, damit sie den Frieden wahren kann.
Sorge dafür, dass meine Tochter ebenso erzogen wird, dass sie alles lernt, was sie wissen muss, bringe ihr eines Tages das bei, was ich Dir einst beibrachte. Bis dieser Tag kommt, soll sie in Goldbach aufwachsen, denn dort liebt und behütet man sie. Doch soll sie in Verbundenheit mit La Follye aufwachsen. Meine Heimat, für die ich alles opferte, soll für sie nicht ein gesichtsloses Fleckchen Erde sein. Sie soll es besuchen und lieben lernen. Anders möge ihr den meinen geliebten Wald zeigen, die Lager des grünen Ritters, die Grenze zu Marnois, die vor meinem Onkel geschützt werden muss. Steh ihr zur Seite, wenn sie Deiner Hilfe bedarf.
Seid ihr eine Familie, wie ihr meine wart.
Vor allem, kümmere Dich um Anders, sie wird nicht verstehen,was passiert ist, sie wird Lavinia zürnen.
Doch ich mochte nicht, dass ich trauert und zornig seid. Ich möchte, dass ihr von Antoine erzählt, der Ritter werden wollte und von seiner Schwester Lorainne, die es schließlich wurde. Erzählt von Simon de Bourvis, der die erste firngardische Ritterin ausbildete und forderte. Erzählt von Vanion, der Lorainne de La Follye in den Zeiten größter Not beistand. Erzählt, singt Lieder und trinkt.
Erinnert Euch.
Eine Bitte habe ich noch, für mich persönlich: Egal, was geschieht, egal, was Dir versprochen wird, opfere niemals eine Deiner Erinnerungen an mich an das Ainewesen.
Erinnerst Du dich an den tag, als Nicholas starb und mit ihm die restlichen Wächter des schwarzen Mondes. Als wir alle drohten zu sterben? Francois und Gregoire, Du, Gorix, Stella, ich und ich weiß nicht wer sich alles in Gefahr befand. Doch jeder opferte Erinnerungen. Gregoire aus Goldbach opferte die an seine Schwester und ich versprach ihm, dass sie niemals vergessen werden wird. Überbringe ihm und francois meine Briefe und erzähl von dem Mädchen mit den braunen Zöpfen, dass gerne auf Bäume kletterte und sich von ihm auf der Schaukel anschubsen ließ. Erzähl ihm davon, damit er sich erinnern möge, jetzt wo ich es nicht mehr für ihn tun kann.
Und Du, erinnere Dich an die rettung von Simon, an Laura, seine Frau. Du opfertest damals die Erinnerung an das Gefühl, dass du empfunden hast. erinnere Dich eines Tages an dieses Gefühl und dann heirate. werde glücklich.
Du warst mir der Bruder, den ich allzu früh verloren habe.
Du warst mir der liebste Teil meiner Familie, weil Du so warst wie ich. und Durch dich lebe ich weiter.
In Liebe
Lorainne