Autor Thema: Einwände  (Gelesen 9420 mal)

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Offline Yorik

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Einwände
« am: 22. Jun 15, 11:31 »
Als er die Nachricht erhalten hatte, war er zutiefst erschrocken gewesen. Nein, nicht erschrocken - bestürzt. Bestürzt und fassungslos. Er hatte es nicht wahrhaben wollen, doch die Quelle seiner Informationen war zuverlässig. Also hatte er nachgedacht, überlegt. Sich gefragt, wie es dazu hatte kommen können. Er fand keine zufriedenstellende Antwort. Schließlich hatten sie alle so einen weiten Weg hinter sich, und er war von Anfang an dabei gewesen. Er hatte ihm den Kopf immer dann grade gerückt, wenn er in die Wolken abgedriftet war. Und jetzt, so kurz vor dem Ziel, verschwand er einfach sang- und klanglos? Ohne sich überhaupt zu verabschieden? Wie er es auch drehte und wendete, es machte keinen Sinn, also packte er das nötigste zusammen und meldete sich für einen Tag ab. Dann, am nächsten Morgen, brach er auf.

Auf einem kleinen Hof vor Fanada
Der Bursche preschte über die Felder. Er war noch jung, hatte grade mal 9 Sommer gesehen und den heimischen Hof in dieser Zeit noch nie verlassen. Umso mehr war er jedes Mal fasziniert, wenn hier in der Gegend etwas besonderes passierte. Und so ein fein gekleideter Herr, der auf eine Krücke gestützt über den kleinen Feldweg gehumpelt kam - das war auf jeden Fall besonders. Und er wollte einen der Nachbarn sprechen! Er preschte weiter, und war daher ganz außer Atem, als er auf dem Hof ankam, zu dem er wollte. "Meister Bachlauf!", rief er schon von weitem, "Meister Bachlauf! Da draußen kommt ein Krüppel über den Weg, und er sagt, er will Euch sprechen!"
« Letzte Änderung: 22. Jun 15, 11:43 von Yorik »
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Offline Vanion

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Re: Einwände
« Antwort #1 am: 22. Jun 15, 11:49 »
"Ein Krüppel?" Vanion schmunzelte über den Eifer des Knaben. Er gab ihm einen Klaps auf die Schulter, dann schickte er ihn hinein. "Geh und bereite in der Küche etwas Brot, und wärm die Suppe von gestern auf. Ich glaube, das Gesicht kenne ich."

Als Yorik auf ihn zu humpelte, lächelte Vanion. Er freute sich schlichtweg, den Novizen zu sehen. Die Farbe war in seine Gesicht zurückgekehrt, und die Ereignisse in Westmynd schienen ihn zumindest nicht sichtbar zu verfolgen.
« Letzte Änderung: 22. Jun 15, 11:56 von Vanion »
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Offline Yorik

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Re: Einwände
« Antwort #2 am: 22. Jun 15, 12:08 »
Fast wäre Yorik gestolpert, als er Vanion auf sich zukommen sah. Zwar erkannte er seinen alten Weggefährten auf Anhieb, doch gleichzeitig sah er auf den ersten Blick, dass sich etwas verändert hatte. Zum einen natürlich die Kleidung, die nicht mehr die eines Knappen, sondern die eines normalen tangaranischen Bauern war - doch da war noch mehr. Er wirkte älter, so als seien nicht Wochen, sondern einige Jahre vergangen, und irgendetwas in seinem Gesicht hatte sich verändert. Yorik konnte es nicht genau benennen, aber es machte ihn sprachlos. Also tat er das naheliegendste: Er blieb stehen und wartete, bis der Andere die letzten Meter zwischen ihnen überbrückt hatte.

Dabei stürzte er sich auf die Krücke, die mittlerweile eine echte, vernünftige war und schaute zu Boden. Er tat sich immer noch schwer, Leuten direkt in sie Augen zu schauen, da er vermeiden wollte, dass sie die zwei langen Narben sahen, die sein Gesicht nun "zierten". Sie waren Vanion offensichtlich noch nicht aufgefallen, genau wie Yoriks Augenringe. Ja, dem Novizen ging es besser, dank Lyra, Rania und einer Menge Besinnung im Tempel, doch die Nächte waren immer noch kurz und hässlich. Als Vanion schließlich bei ihm ankam, hob er dann doch den Kopf. "Hallo Vanion", begrüßte er den alten Freund und versuchte sich an einem zerknirschten Lächeln.
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Offline Vanion

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Re: Einwände
« Antwort #3 am: 22. Jun 15, 12:43 »
"Yorik, sei willkommen!"

Kurze, unverbindliche Worte der Begrüßung wurden ausgetauscht, dann bat Vanion den Besucher in die Küche. Tom hatte tatsächlich Brot aufgetischt, doch an Getränke oder gar Aufschnitt hatte er nicht gedacht.
"Gib mir ein paar Minuten, Yorik."

Während Vanion in der Vorratskammer kramte, konnte Yorik sich ausgiebig den Raum ansehen. Das Gehöft war schon älter, teils aus Stein, teils aus Holz errichtet. Die Küche selbst war ein langgezogener, rechteckiger Raum und besaß eine hölzerne Decke mit einem durchgehenden Mittelbalken. Sie war liebevoll eingerichtet, einige Blumen standen auf der Fensterbank und auch auf dem Tisch, und in einer Ecke konnte man einen recht großen Ofen erkennen.

Als Vanion wiederkam, balancierte er Schinken, Käse, Butter und einen großen Krug Milch auf seinen Armen. Als er endlich alles ausgebreitet hatte, sah er Yorik aufmerksam an. Aus der Nähe war ihm sein Schicksal aus dem Gesicht abzulesen.
"Nun, was treibt dich her? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich hab nicht mit Besuch gerechnet."
Im Grunde wusste Vanion sehr genau, warum Yorik gekommen war. Vanion fragte sich nur, ob der Novize ihn schelten wollte, ihn überzeugen wollte, in Lorainnes Dienste zurückzukehren, oder sich einfach nur Sorgen machte.
« Letzte Änderung: 23. Jun 15, 13:55 von Vanion »
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Offline Yorik

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Re: Einwände
« Antwort #4 am: 22. Jun 15, 16:42 »
Yorik war beeindruckt und geschmeichelt von der herzlichen Begrüßung. Als er sah, wie reich Vanion den Tisch deckte, war er sogar fast beschämt, schließlich hatte er sich wirklich nicht angekündigt und platzte einfach hier herein. Einen Moment lang galten seine Gedanken nur diesem schönen Hof und dem spontanen Mal, doch Vanions Frage brachte ihn schnell wieder auf Kurs, und sein Blick wurde ernst. "Was mich hierher treibt?" Er gab einen ratlosen Laut von sich, der wie ein leises Auflachen klang, aber nichts lustiges an sich hatte. "Eigentlich bin ich hier, um genau das dich zu fragen." Die Antwort klang leicht bitter, doch es lag weder Zorn noch Vorwurf in seiner Stimme, nur Fragen. Viele, viele Fragen und eine große Portion Verständnislosigkeit. "Bitte versteh mich nicht falsch", fügte er hinzu, "dieser Hof ist wunderbar, und ich danke dir für deine Gastfreundschaft, aber... Warum? Warum bist du hier? Und warum jetzt? Das alles kam so... plötzlich..."
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Offline Vanion

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Re: Einwände
« Antwort #5 am: 22. Jun 15, 18:19 »
Vanion seufzte. Er sah an sich herab. Eine einfache Leinentunika, eine Wollhose, und dünner Gürtel, an dem zwei, drei Dinge hingen, unter anderem ein buntes Band und ein kleiner, blauer Beutel.

"Ich stand vor einer Entscheidung, Yorik. Einer Entscheidung, die mein Leben für immer verändern würde. Ich konnte meine Hände und meine Ehre mit dem Blut meines Onkels beflecken, oder mit dem Blut meiner Chevalière."
Beim Klang des caldrischen Wortes glitt ein Schauer über Vanions Rücken. Dieses Wort beinhaltete so vieles, Gutes wie Schlechtes.

"Wie immer ich mich entschieden hätte, beide Wege hätten mich wohl zum Ritter gemacht. Den Ritterstand hätte ich entweder von Savaric erkauft, indem ich seine Sache unterstützt und meine Ideale verraten hätte - oder ich hätte ihn von Lorainne erkauft, indem ich meinen Onkel erschlagen hätte. Und was für ein Ritter wäre ich dann gewesen? Wohl kaum einer mit Ehre im Leib."
Dass Lorainne in Reichsfeld gefoltert hatte, dass sie Alain umgebracht hatte, davon schwieg er.
"Ich hab mich am Ende dazu entschieden, meinen Eid zu verraten."
Ein bitterer, trauriger Zug huschte über sein Gesicht. Man sah Vanion an, wieviel es ihn gekostet hatte, diesen Schritt zu gehen, und dass er selbst jetzt noch zweifelte, ob es richtig gewesen war. Er hatte nicht weniger als seinen Traum aufgegeben, als er Lorainne verlassen hatte.

Doch ohne Bedauern sah er Yorik ins Gesicht. "Das hier ist mein Zuhause und das hier ist meine Familie." Just in diesem Moment sprang seine Tochter durch die nur angelehnte Türe und sah ihren Vater vorwurfsvoll an. Schließlich versteckte der sich hier in der Küche, dabei schien draußen die Sonne, da konnte man doch spielen? Grinsend schüttelte Vanion den Kopf und rief nach einer seiner Schwestern. Als die schließlich reinkam und die kleine Jeanne auf den Arm nahm, streckte das Kind ihm die Zunge heraus. Kurzerhand streckte Vanion seine auch heraus, dann wandte er sich wieder Yorik zu.

"Lorainnes Kampf ist nicht meiner. Wer weiß, ob ich überhaupt noch Kämpfe führen soll. Bisher bin ich vor allem mit dem Pflug beschäftigt."
« Letzte Änderung: 22. Jun 15, 18:21 von Vanion »
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Re: Einwände
« Antwort #6 am: 23. Jun 15, 12:42 »
Während Vanions Ausführungen hatte Yoriks Gesichtsausdruck sich verändert. Beginnend bei skeptisch, hatte er sich über verständnislos und besorgt hin zu ratlos gewandelt. Still hatte er dagesessen und versucht, die neuen Informationen zu verarbeiten, bis plötzlich Vanions Tochter erschienen war. Wie ein Orkan aus Sonnenlicht hatte sie den Raum gestürmt und sofort alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, auch die des Novizen. Doch das Beeindruckendste war, was sie in ihrem Vater auslöste. In dem Moment, in dem er ihr die Zunge herausstreckte, sah Yorik etwas in seinem alten Freund, das er so noch nie gesehen hatte, und Vanions Worte begannen langsam, ihren Sinn zu entfalten.

Einge Momente lang starrte Yorik sein Gegenüber noch an, dann schüttelte er den Kopf. Ein Geräusch entrang sich seiner Lunge, das bei genauerem Hinhören als leises Lachen zu erkennen war. "Du verdammter Mistkerl", murmelte er, "ich hatte mir ganz genau zurechtgelegt, was ich dir sagen will. Und jetzt hast du jedes meiner Worte entkräftet, bevor ich anfangen kann." Er hob den Blick, sodass man das schiefe Schmunzeln auf seinen Lippen sehen konnte. "Ich wollte dir was erzählen von Verpflichtung und Konsequenz, dich erinnern an deinen bisherigen Weg und daran, wie weit du dabei gekommen bist. Ich wollte dich dazu aufrufen, dein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren - aber das wäre angesichts der Situation nur hohles Phrasendreschen." Yorik dachte an die Zeit, die Vanion wie ein besessener nach Lorainne gesucht hatte, und es schauderte ihm bei dem Gedanken, wie brutal diese Entscheidung für den jungen Mann gewesen sein musste. Gleichzeitig dachte er auch an ihr zweites Treffen - im Kloster in Blanchefleur. Damals hatte Vanion bereits von dem Traum gesprochen, sich einfach niederzulassen...

"Ich weiß nicht, ob ich deine Entscheidung überhaupt hätte treffen können," begann Yorik erneut, "und ich ziehe den Hut vor dir, dass du es getan hast. Du hast dein großes Ziel aufgegeben...", er stockte, "aber dafür ein anderes Ziel erreicht, nicht wahr?" Er deutete demonstrativ auf die Einrichtung der sie umgebenden Stube, dann schmunzelte er erneut, diesmal etwas fröhlicher. "Und was wäre ich für ein Diener Lavinias, wenn ich dagegen etwas sagen würde?"

Ich hoffe nur, er ist wirklich für dieses Leben gemacht, dachte er sich im Stillen, den Krieger kriegt man nicht aus der Haut. Wer weiß, wie das mit Knappen aussieht...
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Re: Einwände
« Antwort #7 am: 23. Jun 15, 13:33 »
Nun musste Vanion laut auflachen.

"Du sprichst wie ein alter Mann, der hundert Sommer und hundert Winter erlebt hat, weißt du das? Weise wie zwölf Ratsmänner!" Er hörte auf zu lachen, doch ein gewisses Schmunzeln blieb in seinen Zügen. "Du brauchst mir nicht zu vergeben, Yorik. Ich hab immer so gehandelt, wie es mir richtig und gut erschien. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen trägt man nunmal. Ich glaube kaum, dass ich mich in Caldrien nochmal blicken lassen kann. Dort erzählt man bestimmt bald Geschichten über mich - und zwar nicht die, von denen ich geträumt hab. Kennt ihr schon die Geschichte von dem Feigling, der weggelaufen ist?"

Lautes Kindergeschrei drang vom Hof herein, dazwischen die enervierte Stimme seiner Schwester, die versuchte, die Bälger voneinander zu trennen. Vanions Blick ging zum Fenster, dann wieder zurück zu Yorik. "Ich war nicht für diesen Hof gemacht, mein Freund. Darum bin ich ja auch weggelaufen vor ein paar Jahren."
Er stand auf und ging zu einem größeren Wandschrank. Darin stand (neben einigen Besen) seine Bardike. Das Holz war gesplittert und abgenutzt, die Schneide glänzte zwar noch in ihrer Schärfe, doch Flugrost hatte das Axtblatt befallen.

"La Chevalerie. Das Rittertum." Nachdenklich sah er durch die geöffnete Tür auf die Waffe. In Westmynd, da hab ich das erste und wohl auch das letzte Mal an einer Turney teilgenommen. Der Herold rief meinen Namen. Die Menge rief meinen Namen. Ich wollte nicht kämpfen, doch ..musste Damian vertreten werden. Es war dumm, sich zu verausgaben, aber irgendwie fühlte es sich richtig an - und gut.

"Dieses Leben hier ist wundervoll. Friedlich. Keine Sorgen, keine Verantwortung. Wir leben in einem befriedeten Engonien, und zumindest Tangara wächst und gedeiht. Die Ernte letztes Jahr war gut, die Saat dieses Jahr war gut. Mit etwas Glück werden wir noch im Winter einen Überschuss haben." Sanft schloss er die Schranktür, dann setzte Vanion sich wieder zu Yorik. "Ich will offen zu dir sein, Yorik. Nichts wünsche ich mir mehr, als den Ritterschlag zu empfangen. Ein Leben in Ehre und Würde verbringen, voll der guten Taten, und irgendwann erzählen die Leute Heldengeschichten über mich." Seine Augen leuchteten plötzlich, ganz wie in den ersten Tagen nach dem Ende des Bürgerkrieges.
"Aber - seien wir realistisch. Wer nimmt schon einen Knappen an, der auf seinen Knappeneid gepfiffen hat? Wer den einen Eid bricht, dem ist der zweite nicht viel wert, sagt man doch. Mein Traum ist ausgeträumt, und ich bin aufgewacht. Und ich muss sagen, so schlimm ist es gar nicht, wach zu sein - es ist schön hier. Friedlich, ruhig - naja, bei den Kindern und der Arbeit hat man nie wirklich Ruhe, aber man muss nicht ständig auf seinen Rücken aufpassen. Freundschaften bekräftigt man bei einem Bier. Ich muss keine Krüge mehr halten und keinen Schild mehr buckeln, der mir nicht gehört."

Vanion war bewusst, dass seine Rechtfertigungen ziemlich lahm klangen, aber er war zufrieden mit diesem Leben. Bestimmt war er das.
« Letzte Änderung: 23. Jun 15, 13:37 von Vanion »
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Re: Einwände
« Antwort #8 am: 23. Jun 15, 17:37 »
So sehr ihn der neugewonnene Frieden des ehemaligen Knappen freute - bei dessen letzten Worten stutzte Yorik. Vanion wirkte zwar ehrlich glücklich, gleichzeitig glaubte der Novize jedoch, da noch etwas anderes zu spüren. Eine Art Bedauern, eine Unsicherheit, so gut versteckt, dass man sie nur erahnen konnte. Vor allem als Vanion den Schrank öffnete und einen Blick auf seine alte Waffe warf, lag da etwas in seinem Blick...  Noch misstrauischer machten Yorik aber die Äußerungen zu der aktuellen Situation seines alten Freundes. Dessen Ausführungen zum Stand des Landes klangen etwas zu enthusiastisch, so als wolle er sich die Sache selbst schön reden.

"Ich glaube, ich verstehe dich jetzt, Vanion", setzte der Novize an und legte Vanion seine Hand auf die Schulter, "und wie schon gesagt - es sieht hier in der Tat idyllisch aus. Wenn es wirklich das ist, was dich glücklich macht, so gönne ich es dir von ganzem Herzen." Dann wurde seine Stimme leiser, und er raunte dem Tangaraner etwas zu. "Solltest du jedoch zweifeln, bitte ich dich, diese Zweifel nicht einfach zu ignorieren. Du bist nicht mehr der Mensch, der diesen Hof vor Jahren verlassen hat, und wenn man erstmal ein Leben adoptiert hat, wird man es nicht so einfach los..." Wieder einmal dachte Yorik an sein Leben als Krieger, an die körperliche Anstrengung und das Gefühl, aktiv eingreifen zu können. "Meine Mutter sagt immer, ein saurer Bäcker backt nur saure Brötchen", fuhr er fort, "wie wird das wohl mit einem Bauern sein, der sich für Höheres berufen fühlt?"

Yorik war klar, dass Vanion nicht zu Lorraine zurückkehren konnte - er hatte das Dilemma verstanden. Doch es gab auch noch andere Möglichkeiten, der Welt seinen Stempel aufzudrücken. Vanion musste sich nur entscheiden, ob er es sich lohnte, nochmal neu anzufangen. Mit einem neuen Traum.
« Letzte Änderung: 23. Jun 15, 22:20 von Yorik »
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Re: Einwände
« Antwort #9 am: 23. Jun 15, 22:52 »
"Und wie ist das mit einem Krieger, der gläubig wird?" Vanion sah Yorik scharf an. Als der Novize zusammenzuckte und ertappt wirkte, hatte Vanion fast ein schlechtes Gewissen. Er wusste, dass Yoriks Worte nicht böse gemeint waren, doch er mochte nicht zugeben, dass Yorik ihn getroffen hatte. Tatsächlich zweifelte er, so schön es war - den Rest seines Lebens als Bauer verbringen? Was war mit seinen Freunden? Wie ging es Damian, was taten Kadegar und Lyra grade? Ob Lorainne wohl noch lebte? Und Rania..

Entschlossen schüttelte er den Kopf. "Zu Höherem berufen, ja.. na, wenn's so ist, werd ich's merken. Das Höhere, das gerufen hat, hat mich am Ende zu einem Scheideweg geführt, und dort klebte Blut, dick und feucht und zäh. Ich sollte dankbar sein, den Bürgerkrieg und die Jahre danach überlebt zu haben. Versteh' mich recht, wenn ich meinen Teil leisten soll, werd ich mich nicht verstecken. Aber - naja, was soll ich tun? Ich hab kein Ziel mehr. Ich hab nichts, worauf es sich hinzuarbeiten lohnt." Er grinste bei diesen Worten. "Nichts, sag ich? Ich hab eine wundervolle Familie. Eine einfache Familie, in mehr als einer Hinsicht. Der Preis dafür war mein Stand, mein Leben als Knappe. Und je länger ich hier bin, desto stärker wird das Gefühl, dass der Preis im Grunde sehr gering war."

Erneut stand er auf und ging zu diesem Schrank. Mit einem dumpfen Schlag landete die Axt auf dem Küchentisch.
"Wenn man etwas aufgibt, dann sieht man schnell, was bleibt. Das hier bleibt auch. Ich bete, dass kein erneuter Krieg herauf zieht, und meine Haltung zu den Dienern des Täuschers, die allzuviel Leid über die Welt bringen, hat sich kein Stück geändert. Wenn jemand Hilfe braucht, wird meine Türe gewiss nicht verschlossen bleiben, auch wenn ich abseits dieser Axt nicht viel habe, was ich in die Waagschale werfen kann. Aber das Abenteuer suchen, wie früher? In die Welt hinausziehen? Dazu braucht es wahrscheinlich einen Barden."
« Letzte Änderung: 23. Jun 15, 22:56 von Vanion »
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Offline Yorik

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Re: Einwände
« Antwort #10 am: 23. Jun 15, 23:34 »
Verdammt, der hatte gesessen. Natürlich hatte Vanion Recht mit seiner Äußerung über den "gläubigen Krieger". Yorik kämpfte immer noch mit den Widersprüchen zwischen seinem neuen und alten Lebenswandel; besonders in Westmynd hatte ihm das zugesetzt. Aber grade deswegen machte er sich ja solche Gedanken um Vanions Entscheidung! Dem Novizen fiel es schwer, zu sehen, wie sein Freund offensichtlich mit seiner Situation rang. Was soll ich tun? Ich habe kein Ziel mehr... Das waren exakt die gleichen Worte, die Yorik nach Ilianas Tod von sich gegeben hatte. Sie hatten ihn für viele lange Monde verfolgt, ihn geplagt und fast zerstört... Eine solche Leere sollte kein Mensch empfinden, und Vanion erst recht nicht.

"Hör zu", begann Yorik daher sanft, "ich will dich nicht von hier wegholen, Vanion. Ganz und gar nicht. Ich wünsche mir nur, dass du in Zukunft mit deinem Lebenswandel glücklich bist." Verdammt, klang das schleimig. Doch es war die Wahrheit. "Wenn du dein Ziel verloren hast, solltest du versuchen, ein neues zu finden, welches auch immer das sein mag. Und wenn es das friedliche Leben auf diesem Hof ist, umso besser!" Am liebsten hätte er hier einfach aufgehört, fröhlich gelächelt und den Rest des Tages mit Vanion getrunken, er musste jedoch noch etwas hinzufügen. "Aber um eines bitte ich dich: Wähle deinen Weg basierend auf dem, was sich für dich richtig anfühlt, nicht auf dem, was einfach ist."
Dann schaute Yorik zu Boden, leicht beschämt aufgrund seiner schulmeisterhaften Dreistigkeit. Hoffentlich war er jetzt nicht zu weit gegangen...
« Letzte Änderung: 24. Jun 15, 00:12 von Yorik »
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Re: Einwände
« Antwort #11 am: 24. Jun 15, 11:40 »
"Jawohl, großer, weiser Meister." Vanions Spott war beißend.
"Bei allem Respekt, Yorik - warum kannst du meine Entscheidung nicht respektieren? Warum versuchst du, mich zu irgendetwas zu bewegen? Ich hab mich entschieden, auf eine gewisse Art zu handeln. Nun trage ich die Konsequenzen dieses Handelns. Das ist alles. So einfach ist es wirklich, glaube mir. Wenn ich Lust auf ein Bier bekomme, gehe ich in die Stadt. Wenn ich nach Brega reisen will, um dort vielleicht ein paar Freunde zu sehen, so tue ich das." Er schüttelte den Kopf. "Na los, komm mit." Die Axt ließ er achtlos auf dem Tisch liegen.

Ohne viel zu reden, führte Vanion Yorik vom Hof herunter und nach Fanada hinein. Der Nachmittag war schon fortgeschritten. Kurzerhand betrat Vanion eine Schänke, die er von früher bereits kannte, und bestellte zwei Krüge Bier. Ein Gespräch entspann sich zwischen den beiden. Nichts allzu wichtiges - Vanion sprach nicht über Yoriks Verletzung, und Yorik sprach vorläufig nicht von Vanions Entscheidung.

Der Abend wurde länger und länger, und Vanion wurde beschwipster. Zwar trank er in Maßen, aber auf Dauer bemerkte er das herbe Bier durchaus. Die ersten Barden stimmten ihre Lauten - der Abend schien einer von der lebhafteren Sorte zu werden. Je später es wurde, desto mehr erzählte Vanion. Er erzählte Yorik so viel wie nie zuvor. Von seiner Kindheit hier in Fanada, und in Norodar. Von Kameraden aus dem Pilgerzug. Von den Sturmrufern. Von Lorainnes Duell mit Simon. Fast hätte er Yorik von Laura erzählt, doch riss er sich rechtzeitig am Riemen.

Irgendwann begann er, lustige, glückliche Geschichten zu erzählen, die er früher gehört und aufgeschnappt hatte, und bald fand sich ein kleiner Zuhörerkreis ein. Gut gemeinte Zwischenrufe erfüllten den Raum, je lauter Vanion erzählte. Doch nach und nach zerstreuten sich die Gäste. Immer mehr gingen nach Hause, und am Ende fanden Yorik und Vanion sich fast allein im Schankraum wieder. Aus einer Ecke drang der Klang einer Laute, und eine weiche Frauenstimme sang von fernen Ländern und Heldentaten. Wie früher, genau wie früher. Wehmütig warf der Knappe.. der Bauer einen Blick in das niedrig brennende Kaminfeuer.

"Wohl dir! Du hast's errungen
Mit deines Blutes Born,
Die Schande ward bezwungen
Vom edlen Freiheitszorn"


Die Sängerin endete, und auch Vanion schwieg. Sein Leben hier war schön, aber wollte er wirklich ein Bauer bleiben? Yorik hatte gut daran getan, diese Frage zu stellen, doch die Antwort blieb Vanion schuldig. Das Mädel sang nicht weiter, und plötzlich fiel Vanion auf, dass sie nicht alles gesungen hatte. Er hatte dieses Lied von Marius anders kennen gelernt.

Doch müssen wir andern weinen
Und klagen im bittern Schmerz:
Solange die Sterne scheinen,
Schlug nimmer ein treueres Herz.


Wie aus dem Nichts kam ihm ein anderes Lied in den Sinn, und er summte es leise vor sich hin:

"Ich will ihr sagen, wie sehr ich sie liebe,
aber erstmal brauch' ich etwas Wein.
Ihre Majestät ist 'ne süße, holde,
und irgendwann, da wird sie mein."


« Letzte Änderung: 24. Jun 15, 14:52 von Vanion »
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Offline Yorik

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Re: Einwände
« Antwort #12 am: 25. Jun 15, 17:10 »
Da war er wieder, der bittere Sarkasmus, den Yorik bei Vanion so gut kennen und fürchten gelernt hatte. In zahlreichen vergangenen Gesprächen war er immer dann aufgetaucht, wenn Yorik sich in ein Thema mit aller Macht verbissen hatte, und er traf den Novizen tief - jedes Mal. Doch diesmal war etwas anders: Der Spott des ehemaligen Knappen kam nicht aus heiterem Himmel, Yorik hatte ihn erwartet. Außerdem verstand er, was er bedeutete: Das Gespräch wurde Vanion zu viel, sie hatten einen Stelle erreicht, an der Yoriks Einwände nur Schaden anrichten konnte, und so ließ er sein Anliegen vorerst ruhen. Er stimmte Vanions Vorschlag zu, und zusammen verließen sie den Hof in Richtung Stadt.

Zwar fühlte es sich anfangs komisch an, in der aktuellen Situation über scheinbare "Belanglosigkeiten" zu reden, doch das anfängliche Geplänkel in der Schänke tat den beiden jungen Männern sichtlich gut. Es half, vergangene Schmerzen und Fehler für einen Moment zu vergessen, und einige Augenblicke lang zählten tatsächlich nur die Gemütlichkeit der Schänke und die Qualität des Biers. Eben jener Qualität war es wohl auch geschuldet, dass Vanion im späteren Verlauf redseliger wurde. Yorik, der sich mit dem Alkohol etwas zurückhielt, beobachtete diese Wandlung interessiert - und lauschte.

Der Novize, der sich sonst immer sehr gesprächig präsentierte, lehnte sich einfach nur zurück, um seinem langjährigen Gefährten zuzuhören. Dabei schenkte er ihm seine ganze Aufmerksamkeit, nickte an den richtigen Stellen und ermutigte Vanion hier und da, weiter zu machen. Was er hörte, löste vieles in ihm aus: Begeisterung, Rührung, Mitleid, Staunen. Die Vergangenheit, die Vanion nun enthüllte, half Yorik den ehemaligen Knappen deutlich besser zu verstehen - außerdem machte sie ihm klar, dass er bisher keine Ahnung vom Leben seines Freundes gehabt hatte.

Diese Geschichten waren starker Tobak, daher war Yorik äußerst dankbar, als Vanion sich irgendwann entschied, zu angenehmeren Themen über zu gehen. Der Novize lachte, klatschte, fand schnell seinen Platz in der staunenden Menge. Vanion ist wirklich ein verflixt guter Geschichtenerzähler. Er könnte wohl selbst die grimmigsten Miesepeter unerhalten, wenn er selbst in der richtigen Stimmung ist. Yorik freute sich, seinen alten Freund so zu sehen, außerdem half es ihm, sich noch mehr mit Vanions Entscheidung abzufinden.

Ja, der frisch gebackene Bauer zweifelte an seiner Entscheidung. Und ja, er war offensichtlich noch nicht bereit, das zuzugeben. Doch Yorik war auch nicht hierher gekommen, um Vanion umzustimmen. Sein Ziel war es nur gewesen, ihn zum Nachdenken anzuregen - und das hatte er offensichtlich geschafft. Zufrieden mit sich selbst bestellte Yorik ein Bier, lächelte seinen alten Gefährten an und lauschte wie er der Sängerin. Dies war ein guter Abend, und ein angemessener Abschied für sie beide.
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Offline Vanion

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Re: Einwände
« Antwort #13 am: 26. Jun 15, 14:32 »
Nach diesem Abend hatte Vanion Yorik angeboten, die Nacht auf dem Hof zu verbringen, und der Novize hatte angenommen. Am nächsten Morgen hatte man sich verabschiedet, und Yorik hatte sich auf den Weg zu irgendeinem Tempel gemacht. Vanion hatte nicht weiter gefragt. Der Abschied war kurz gewesen, und jegliche Emotion, die Vanion verspürte, hatte er hinter einer Fassade versteckt gehalten.

Ein wenig war es, als zöge mit Yorik auch sein altes Leben davon. Als er in die Küche zurückkehrte, lag immer noch seine Axt auf dem Tisch, und seine Mutter saß daneben und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie war alt, weit über sechzig, und sprach nicht mehr viel. Ein wenig hilflos hatte Vanion mit den Schultern gezuckt und die Bardike weggeräumt.

Das Tagewerk des Hofes nahm in schnell wieder in Besitz. Die Tage vergingen in einem stetigen, gleichen Rhythmus. Früh aufstehen, hart arbeiten, früh schlafen gehen. Für Träumereien war keine Zeit. Irgendwann beschloss Vanion, seine Axt aufzuhängen, und so brachte er in einem Kellerraum zwei Halterungen an der Wand an und hängte sie kurzerhand hinein. Das Gerede der Leute, die sich anfangs wunderten, dass Barak Bachlaufs Sohn zurückgekehrt war und die ganze Familie wieder mitgebracht hatte, verstummte nach und nach. Viele seiner alten Freunde aus der Gegend stellten sich wieder ein.

Ein neues, altes Leben hatte begonnen.
« Letzte Änderung: 27. Jun 15, 10:02 von Vanion »
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Offline Sandra

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Re: Einwände
« Antwort #14 am: 01. Jul 15, 17:29 »
Die Wochen zogen ins Land und Stella hatte nun auch wieder einige Wochen in der Akademie verbracht und natürlich war sie auch zwischendrin in Fanada auf dem Markt und in so mancher Gaststätte den Tag zwischen den Büchern, Vorlesungen und Übungen mit anderen Schülern ausklingen lassen.
Eines Abends schnappte sie zufällig in einem Gespräch den Namen "Bachlauf" auf, der sie aufhorchen ließ.

"...wieder zurück..."
"...Feigling....Doch kein Ritter..."
".... Roquefort.... "
"... Bauer bleibt Bauer..."

Die Gesprächsfetzen machten wenig Sinn in ihrem Kopf, doch je länger sie lauschte, umso eher umriss sich die Aussage, dass Vanion wohl zum Hof seiner Eltern vor Fanada zurückgekehrt war und angeblich sein Knappendasein an den Nagel gehängt hatte.
Sie hatte genug gehört und wollte sich selbst davon überzeugen.

"Hey ihr da, entschuldigt, aber hab ich richtig gehört, dass ihr die Bachlaufs kennt? Könnt ihr mir sagen, wo genau ich deren Hof finde?"

Ein kurzes Gespräch und einige Augenblicke später wusste sie, was sie wissen wollte und würde morgen wohl einen kleinen Ausflug vor die Stadttore machen.
~Every moment has a lesson for you to learn. Learn to listen.~

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