Und so begann er, der Ritt zur Löwenburg. Kaum einen Tag dauerte es, bis die hochaufragenden Mauern am Horizont auftauchten. Man hatte Boten vorausgeschickt, die das kommen des Zugs angekündigt hatten. Genauso, wie man Boten nach Voranenburg und nach Engonia ausgesandt hatte. Die Inquisition schien das Gebiet längst verlassen zu haben, vielleicht waren auch alle tot, die den Fuß auf das Jeldrikengebiet gesetzt hatten.
Vanion wusste es nicht, und ihn scherte es nicht. Schweigend verbrachte er den Ritt an der Seite seines Barons, und sollten wer immer ihn ansprach, bekam keine Antwort, die über nichtssagende Worte hinaus ging. Erst, als sie das Tor durchschritten, die Burschen und Diener des Tiorsorden kamen, sich um die Pferde kümmerten, sprach Vanion wieder. Kurze Befehle gab er, sorgte dafür, dass Gorix in ein Gemach kam, rief Heiler herbei. Er überließ es Kassos, vom Tod des Ordensmeisters Gerrit zu berichten, und kam seinen Pflichten nach, die er als Ritter des Barons hatte.
Schließlich zog er sich in eine Kammer zurück, und jemand brachte ihm Tinte und Papier.
Hochwohlgeborene Baronin Isabeau de Lioncoeur,
Lavinia behüte und erhalte Euch.
Ich bringe schlimme Nachrichten und vermag es nicht, die Worte in hübsche Gewänder zu hüllen.
Lorainne de la Follye des Joux erlag am achten Tage des zwölften Monats im Jahre 268 n.J. ihren Verletzungen. Sie gab ihr Leben für die Freiheit Irmgards von Voranenburg und für die Sicherheit und das Wohl aller, die mit ihr hart bedrängt wurden.
Sie starb an dem Ort, an dem sie vor langen Jahren den Ritterschlag erhielt. Ein Dämon des Täuschers streckte sie nieder, als sie in Verzweiflung kniete und betete, wider alle Hoffnung. Sie starb allein und kalt auf dem Schlachtfeld, in der Dunkelheit wurde ihr ohnmächtiger Leib zu spät entdeckt. Euer Mündel blieb auf dem Felde, und kein Gebet, kein Flehen, kein Zauber noch edle Tat vermag es, sie zurückzuholen. Leere herrscht in meinem Herzen, zu keiner Regung bin ich fähig abseits der Trauer, und die Worte des Trosts, die manche sprechen, erscheinen mir hohl.
Auch der Baron Gorix von Feuerklinge ist versehrt worden. Er liegt in tiefem Schlafe in der Obhut der festen Mauern der Löwenburg. Sein Gefolge ist um ihn, und wir beten zur gnadenvollen Mutter, dass sie ihm beistehe. Doch mich treibt die ritterliche Pflicht nun nach Norden. Ich werde den Leib meiner Rittermutter zum Orden der Lavinia nach Blanchefleur bringen, wo er gewaschen und gesegnet werden soll. Von dort geht es nach La Follye, wo ihr Körper seine letzte Ruhestätte finden soll.
Ich werde Euch aufsuchen, sobald ich es vermag, und Euch berichten.
Lavinia halte Euch nun, und stehe Euch bei in dieser dunkelsten Stunde, edle Isabeau.
Vanion Bachlauf, aus Roquefort, Chevalier Voranenburgs.
Die Feder fiel aus seiner Hand, und er sackte in die Arme des Stuhls, auf dem er saß. In diesem Moment, in dem er ganz für sich allein war, scherte er sich nicht um Ritterwürden, Ehre oder Ideale. Tränen rannen über seine Wangen, und seine Gedanken galten allein der Frau, die ihn über lange Jahre begleitet hatte. Der er alles zu verdanken hatte, schlimmste Tat wie höchste Ehre. Die Frau, die vorausgegangen war in eine Welt, die der Onkelmörder vielleicht nie betreten würde.