Vanion dankte der Wirtin, dann fing er auch schon an, zu erzählen.
Anfangs erzählte er von der Ausrufung des Pilgerzuges, über den Marsch auf Brega, dann kam er zur Belagerung der Hauptstadt. Er schmückte aus, was nur ging, erzählte Heldengeschichten, die keine waren,
erzählte von feigen Lupus Umbra, von harten Kämpfen, tapferen Maiden und so weiter und so fort. Er hätte einem Barden Konkurrenz gemacht.
"Nun, nach der Befreiung Bregas hielt uns nicht mehr viel! Wir hatten Engonia vor Augen und wähnten Konars Kopf schon zu unseren Füßen. Nun, die Stadt war jedoch gut besetzt. Tausende schwerst gerüsteter Lupus-Soldaten, dazu Milizen mit böse aussehenden Mistgabeln und schnellen Bögen, und erst die kaiserliche Garde! Riesige Hünen, die mit Blut in den Augen und Tiors Namen auf den Lippen vorwärts stürzten... Aber ich greife vor.
Der edle Herr und Chevalier Simon de Bourvis machte sich mit einigen erlesenen, nicht weniger edlen und ehrenvollen Mannen auf. Der Schlachtplan war ausgearbeitet, und es galt, eine Bresche in die starken Mauern, in die steinernen und stählernen Bollwerke Engonias zu schlagen! Denn so sehr diese Mauern Jeldriks Männern dienten, so sehr dienten sie nun auch dem Lupus. Dieser kleine Trupp unter Herrn Simon, bei dem auch ich bei war - ja! glaubt es, oder lasst es bleiben, ich war dabei! - schaffte es, etwas einzunehmen, was voller magischem Brimborium war. Und..."
Vanion verstummte. Bilder stiegen in seinem Kopf hoch, von einem zermatschten Bein, über das sich ein brüllender Luthor beugte. Wydh, die auf ihn herabsah und nach einem kurzen "Der ist verloren..." weiter rannte. Jelena, im Kampf mit dem Tiorswolf - und die Inkarnation der Lügen, die Konar niederschlug. Die Menschen in der Taverne beugten sich vor, begierig, mehr zu hören. Vanion sprach langsam weiter, sein Blick verlor sich in den niederbrennenden Flammen des Kaminfeuers.
"Und...wir kämpften. Jeder einzelne gab sein Bestes. In den Augen eines jeden Einzelnen, der mit uns kämpfte, war eine unbeugsame Flamme. Opferbereitschaft bis zum Leben selbst. Tapferkeit. Stärke. Und Mitleid. Einige hatten sogar Mitleid. Als wir in diesem Wald kämpften, da erschlug ich selber Lupus-Soldaten. Ich kann mich noch genau an den ersten erinnern - groß, bärtig. Ich konnte ihn schnell niederstrecken. Die anderen? Fragt mich nicht, es war ein Nebel aus Blut und Schreien, den wir durchschritten. Und am Ende dieses Nebels...erschien der Kaiser selbst." Die Leute waren nun vollkommen verstummt, die ganze Taverne hörte Vanion zu. Als ein Glas vom Tisch fiel und klirrend zerschellte, zuckten einige zusammen.
"Der Kaiser selbst kam, heraufbeschworen durch Priester und Magier. Wir wollten uns auf ihn stürzen, ihn, die Verkörperung all unserer Ängste, ihn, den Schuldigsten von allen Angeklagten, ihn, den Verderbtesten der Schwärzesten zermalmen. Aber... aber..." Vanion verstummte endgültig. Er schluckte ein paar Mal, versuchte weiter zu reden, doch ihm fehlten die Worte.
"Wir alle fühlten plötzlich etwas. Es wurde kalt - und doch gleichzeitig heimelig warm! Eine rücksichtslose Geborgenheit umfing uns, die uns nicht entkommen ließ. Etwas umstrich unsere Seelen, es versprach Heil und Ruhm, es drohte mit schrecklichen Qualen. Und DANN!" Vanion wurde nun laut. "Dann kam ER! Wir trauten unseren Augen nicht! Szivar, der ewig Verfluchte selbst, schien auf unsere Welt gekommen zu sein! Er verhöhnte uns, verhöhnte Konar, spielte mit uns! Und ER war es, der Konar tötete. Er allein." Ungläubige Rufe wurden in der Menge laut. Vanion ließ die Leute reden und sich aufregen. Die größte Teil der Menge glaubte ihm, nur ein paar einzelne schienen ihn als Lügner und Hochstapler zu betrachten.
Helga forderte ihn schließlich laut auf, weiterzumachen. "Mensch, Jüngelchen! Was du da erzählst, ist spannend! Mach schon weiter, was ist dann passiert? Jib nix auf das Pack, das dir nicht glaubt. Weiter jetzt, los!"
"Der Rest ist schnell gesagt. Am folgenden Tag gelang es uns, in die Stadt einzudringen. Die Bresche war geschlagen, der Lupus in Auflösung inbegriffen. Dennoch gab kaum einer der Ordenskrieger auf. Sie sammelten ich immer wieder in Gruppen, besetzten Häuser, drohten, Frauen und Kinder umzubringen, falls wir näher kamen. Sie wollten die Tempel zerschlagen, die Stadt in eine Ruine verwandeln. Wir konnten das verhindern. Jeder einzelne verlor an diesem Tag Freunde.
Aber das war es wert. Der Tod des falschen Kaisers ist jedes einzelne Menschenleben wertgewesen! Denn jedes dieser Leben wurde freiwillig gegeben, um andere Leben zu bewahren! Darum ehrt diese Toten! Und ehrt die Lebenden! Jeden einzelnen Mann, jede Frau und jeden Knaben, der in der Armee oder im Tross des Widerstandes gedient und gearbeitet hat! Wann immer ihr einen solchen Menschen seht - ihr habt ihm eure Freiheit zu verdanken."
Mit einem Ruck stand Vanion auf und hob seinen Krug. "Auf den Pilgerzug! Auf den Widerstand! Auf Simon, auf Lorainne, auf Jelena, auf Damian, auf Rania, auf Kassos! Auf Lalaith, auf Maugrim, auf Gerhardt! Auf ALLE dieser Männer und Frauen!" Nun schauten die meisten verwirrt, nur wenige kannten diese Namen. Sie tranken dennoch.
"Nun, Helga - ich gehe zu Bett. Ich habe durch diese Geschichte genug Unruhe gestiftet, vermute ich. Sieh nur, wie aufgeregt die Männer da diskutieren."