Autor Thema: Wassilij und Jennas Geschwister auf dem Weg von Engonia nach Fanada (Sommer 264)  (Gelesen 16661 mal)

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Offline Lilac

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Es war noch früh am nächsten Morgen nach dem Aufbruch von Engonia, als Jabucica und Dječak zeitgleich die Augen aufschlugen. Zunächst waren sie irritiert. Warum lagen sie hier draußen, unter freiem Himmel? Ein kurzer Rundum-Blick zeigte eine ungewohnte Szene: Eine kleine Feuerstelle, die bereits neu angefacht war, ein Teekessel, drei Pferde - zwei Wallache und ein auffallend hochwertiger Hengst, die Ausrüstung der Tiere, zwei armselige Haufen mit der ganzen Habe der beiden Geschwister und ein geübt sortierter Packen mit den Habseligkeiten des Mannes, der gerade von einem Kurzausflug ins Gebüsch zurückzukommen schien.

Im selben Moment schoss der jungen Frau und dem jungen Mann die Erinnerung in den Kopf:
der gestrige Tag - der Fremde (er heißt Wassilij) - der Fortgang von Heim und Familie - der Weg durch und aus Engonia - der Ritt in die neue Zukunft...

Genüsslich schlossen Jabucica und Dječak noch einmal für einen Moment die Augen, atmeten tief ein und gaben sich ganz ihren Sinnen hin.
Die Vögel begrüßten schmetternd den neuen Tag. Die Luft war noch frisch, aber rein und frei von menschlichen Ausdünstungen. Die Sonne stieg gerade erst hinter den Bäumen empor. Die Pferde grasten zufrieden schnaubend nahebei, die Holzscheite im Feuer knackten, im Teekessel begann das Wasser zu sieden und kaum hörbar näherten sich die Schritte Wassilijs.
Nach einem Moment des sinnlichen Genusses rappelten die Geschwister sich selig lächelnd auf.

"Guten Morgen!", sagten sie zeitgleich und lachten dann über ihren Duett-Gruß.
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Offline Wassilij

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Wassilij hatte lange während der Nacht darüber nachgedacht, ob er sie an diesem Morgen schonen sollte, oder direkt hart im Schwertkampf unterweisen. Doch die beiden hatten sich etwas Ruhe verdient fand er. Deswegen übergab er die glatt bearbeiteten Eichenstöcke freundlich und grüßte zurück.

"Guten Morgen ihr beiden! Ich hoffe ihr hattet eine angenehme Nacht? Das erste mal draussen ist oft befremdlich. und ich hoffe ihr seid bereit für Eure ersten Übungen?"
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Offline Lilac

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Der Krieger hätte sich keine Sorgen machen brauchen. Die Jugend und die Freuden des Abenteuers hatten den beiden eine weichere Unterlage geschaffen, als es ihre durchgelegene, flohbewehrte Strohmatratze zuhause je gekonnt hätte.
Sie schälten sich aus ihren Umhängen und streckten sich.
Jabucica flocht sich rasch den langen, dicken Zopf neu und auch Dječak band sein Haar mit einem Lederstreifen in einen kleinen Dutt, damit er es aus den Augen hatte.

Leicht breitbeinig, mit etwa zwei Schritt Abstand von einander stehend, sahen sie Wassilij nun erwartungsvoll an.
"Was sollen wir tun?", fragte der Bursche.
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Offline Wassilij

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Wassilij grinste und verbeute sich leicht. "Dann fangen wir an!"

Es war für die beiden überraschend, wie schnell zwei Schritt überbrückt werden konnten. Mit einem Stoß in Richtung des Gesichtes von Jabucica eröffnete Wassilij den Angriff. Noch während der Bewegung erstarrte Jabucica, riss jedoch aus einer reinen Schutzreaktion ihren Stock hoch, während ihr Bruder seine Deckung fast völlig fallen lies um den Stich fort zuschlagen. Damit hatte Wassilij gerechnet. Ein schneller Schritt zur Seite, den Körper eingedreht und aus dem Stich wurde ein Hieb, der den Bauch von Djecak stark gebremst traf. Fließend drückte Wassilij den jungen Mann mit der Schulter aus dem Gleichgewicht, ließ ihn jedoch nur straucheln und nicht stürzen.
Jabucica hatte sich schneller von dem Schreck erholt, als ihr Bruder und versuchte Wassilij nach zu setzen. Doch brachte dieser ihren nun strauchelnden Bruder zwischen sich und sie. Als sie versuchte nach ihm zu Stechen, traf sein Stock den ihren in der Nähe ihrer Hände mit unerbittlicher Härte und sie ließ ihren Stock fallen.

Kaum war Jabucica entwaffnet, fand Djecak sein Gleichgewicht wieder und Wassilij senkte den Stock.

"Eure Reaktionen sind nicht schlecht. Aber Eure starke Bindung wird eure Schwäche sein. zu mindest am Anfang. Später kann es Euch helfen, wenn ihr Euch nicht absprechen müsst, während ihr jemanden gemeinsam angreift. Aber Djecak, durch deinen Versuch Jabucica zu retten, hast du dich selbst angreifbar gemacht. Anstatt meines Stockes hättest du mich direkt angreifen sollen. Passt auf, noch einmal von vorne. Wir machen das gleiche wie gerade und ich erkläre Euch, was ihr besser machen könnt."

Damit wiederholten sie die kleine Choreographie, nur dieses mal langsam und Wassilij zeigte, was sie besser machen könnten.   
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Offline Lilac

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Die Geschwister zeigten sich lernwillig, und wenn sie tatsächlich lang genug trainieren würden, wäre ihre Gabe ein gefährlicher Vorteil gegenüber jedem Kontrahenten.
Dječak war etwas geschmeidiger, da er seinen Körper tagtäglich genutzt hatte.
Dafür war Jabucica flinker und wilder. Ein ums andere Mal ließ sie ihren Stock mit einem leisen Schrei fallen, weil ihre Attacke in einem Schlag auf ihren Händen geendet war. Schließlich jedoch wuchs sie in ihrem Trotz über sich heraus und ignorierte den Schmerz. Sie zuckte zwar zurück, ließ ihren Übungsstecken aber nicht mehr los.
Es wurde klar - die junge Frau würde sich durchbeißen. Egal wie.
Während Jabucica gelegentlich ein Funkeln in den Augen hatte, das ihre Idee, den Gegner einfach mit einem Tritt oder einem Stoß aus dem Kampf zu befördern, verriet, gehörte Dječak zu der Sorte 'ehrenhafter' Kämpfer. Es fiel ihm schwerer, nicht die gegnerische Waffe, sondern auf den Gegner selbst zu attackieren.
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Offline Wassilij

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Nach etwa einem Stundenglas, nickte Wassilij, kaum ausser Atem und verbeugte sich langsam.

"Das reicht erst einmal! Heute Abend werden wir unsere Übungen fortsetzten. Aber ich bin Stolz auf Euch. Ich habt den nötigen Willen. Jabucica, du nutzt alles, um daraus einen Vorteil zu nutzen und das kann dir das Leben retten. Djecak, wie kommt es, dass du so viel Wert auf einen ehrenhaften Kampf legst? Woher hast du das?"

Fragte Wassilij neugierig. es war offensichtlich, dass es ihn wirklich interessierte und er das sogar respektierte, obwohl er viel mehr Tricks einsetzte und es offensichtlich war, dass er so kämpfte, wie es nützlich war.
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Offline Lilac

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Die beiden Geschwister hingen vornübergebeugt, sich mit den Händen auf den Oberschenkeln abstützend und keuchten. Schweiß tropfte von ihren Gesichtern und trotz aller guten Bemühungen hingen ihnen die feuchten Haare in den Augen.

Während die junge Frau sich streckte und mit den Händen in den Hüften ihre Wirbelsäule lockerte, blieb Dječak in der vorherigen Position und sinnierte über Wassilijs Frage:

"Jabucica ist zwei Jahre jünger als ich. Aber sie hat immer versucht, mit mir auf einer Höhe zu sein. Das und die Tatsache, dass Mädchen sich bei uns im Viertel mit allen Mitteln verteidigen müssen, um von den anderen Kindern nicht untergebuttert zu werden, hat sie schon immer offensiv sein lassen. Mir hingegen waren diese 'miesen Tricks', wie die Bengel auf der Straße und später die Schläger in den Tavernen sie benutzt haben schon immer zuwider..."
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Offline Wassilij

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Wassilij sah dem jungen Mann tief in die Augen. Da war keine Lüge, schlummerte dort vielleicht das Herz eines Ritters? Er lies den jungen Mann merken, dass er ihn nicht als Ziel eines bösen Scherzes nutzte, sondern seine Worte meinte wie er sie sagte, als Wassilij weiter sprach.

"Du hälst es also mit den Tugenden der Ritter? Wie kommt das? Ich meine, das erwartet man bei dir nicht und wenn man deinen ältesten Bruder und Vater kennen lernt, ist das mehr als verwunderlich. Du hast eine innere Stärke, derer du dir selbst nicht bewusst bist!"
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"Ritter?"
Dječak lachte laut und ehrlich auf, als habe Wassilij einen köstlichen Scherz gemacht.
Dann, immer noch mit dem Lachen in den Augen, sprach er weiter:
"Weil ich eine ehrliche Auseinandersetzung vorziehe, bei der man sich auf die Waffen beschränkt, die man gewählt hat, bin ich doch kein Ritter? Wo ist mein Titel, mein Rock, mein Knappe, meine Burg und mein Edelfräulein? Nein,", er schüttelte den Kopf, "ich habe einfach keine Lust, in einem Faustkampf mit einem Messer abgestochen oder bei einem Kampf mit dem Schwert, sollte ich je eines führen, mit einem Tritt in die Weichteile besiegt zu werden. Das ist für mich nicht ehrlich. Effektiv vielleicht. Und vermutlich bin ich dumm, dass ich mir das nicht einfach aneigne. Aber es fällt mir schwer, so zu kämpfen."

Der junge Mann zuckte mit den Schultern und sah Wassilij und dann seine Schwester an, die nun, ihrerseits den Stock immer noch wie eine Waffe in der Hand, langsam zu Atem kam und bildhübsch aussah in ihrer Erregung.
"Aber wenn du sagst, dass ich es lernen soll, werde ich es tun.", schloss der Bursche und sah Wassilij mit ernstem und ehrlichem Blick an.
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Offline Wassilij

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Wassilij lächelte offen und ehrlich.

"Ich lehre dich nicht. Ich biete dir Wissen an und was du daraus machst, ist deine Sache. aber ich kenne einen Bauernlümmel und Taugenichts von früher. Heute ist er Knappe und ehrenhaft! Es ist nicht unmöglich. Ich selbst kenne ein paar Ritter und andere Adlige recht gut! aus einem Scherz mit einem von ihnen ist heraus gegangen, dass wenn ich fragen und es wollen würde, würde er mich als Knappe akzeptieren! Glaub mir, vielleicht bist du ein besserer Ritter als viele von denen, die den Titel tragen! Du hast eben den Schutz deiner Schwester vor deinen eigenen gestellt und dich geöffnet, um sie zu schützen. Viele Ritter hätten das sicher ausgenutzt und den Treffer bei ihr in Kauf genommen." 
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Bei Wassilijs letzten Sätzen wurde Dječaks Gesicht ernst.
"Jabucica zu schützen bedeutet, mich selbst zu schützen. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst. Wir sind..."
Dječak rang nach Worten.
Jabucica trat auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf den Arm und sprach an Wassilij gewandt weiter:
"...sehr eng verbunden."
Der Bursche nickte seiner Schwester dankbar zu.
"Ich möchte gar kein Ritter oder sowas werden. Das sind für mich Helden aus Geschichten. Mir würde es schon reichen, wenn ich für mich und die meinen das Brot verdienen und Schutz und ein Heim bieten kann. Eine Anstellung irgendwo...", fuhr er fort.
"...wo auch ich mit Pferden arbeiten kann, ohne dass jemand mich davon abhalten will...", setzte Jabucica nach.
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Wassilij nickte ernst.

"An genau so einen Ort, gedenke ich Euch zu bringen. Ich will nichts aus Euch machen, was ihr nicht wollt oder was ihr Euch nicht selbst erarbeiten könnt. Jetzt beginnt euer Leben und ihr habt die Wahl. So wie es unserem glauben entspricht. Jeder hat immer mindestens zwei Möglichkeiten zu wählen!"
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"'unserem Glauben'?", Jabucica legte den Kopf schief.
"Bist du sehr gläubig, Wassilij? Bei uns in der Familie wurde der Glaube immer gerade so genommen, wie es passte. Wir haben die großen Feste gefeiert, aber in die Tempel ging höchstens Mutter. Und Jenna, nachdem sie erfahren hatte, dass sie schwanger war. Da hat sie Lavinia gedankt."
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Wassilij atmete tief durch. Eine schwierige Frage mit einer schwierigen Antwort.

"Ich bin sehr gläubig, doch ich mache keine große Sache daraus. Aber ich habe eine Zeit lang meinen Glauben verloren."
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Jabucica und Dječak waren zwei einfühlsame Menschen. Sie drangen nicht weiter in Wassilij. Wenn er wollte, würde er von selbst davon erzählen.
Inzwischen waren die Geschwister wieder zu Atem gekommen.
"Wie geht es nun weiter? Sollen wir bald aufbrechen?", fragte Dječak.
"Wenn wir auf dem Weg einen Weiher finden, bin ich die erste, die drin ist!", schwor sich Jabucica, während sie einige schweißfeuchte Strähnen aus ihrer Stirn strich.
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