Als die anderen herunterkamen, hatte Vanion sein Frühstück bereits beendet. Er wartete Lorainne auf, überließ das Abräumen jedoch dem Wirt. Mühsam stampfte er durch den in der Nacht frisch gefallenen Schnee und sah nach den Pferden, dann ging er ein paar Schritte weiter und begann zu beten.
Als auch das beendet war, ging es wieder zurück. Im Hellen sah das Gasthaus ein wenig heimeliger aus als im Dunkeln - nun war der ordentlich gepflegte, bereits in der Früh vom Schnee befreite Hof erkennbar. Auch ein kleiner Fußweg zu den Ställen war freigeschaufelt worden. Freundlich grüßte er einen der anderen Gäste, als der seinerseits nach seinem Pferd sah. Alles schien in Ordnung zu sein, keine frischen Spuren im Schnee, die zeigten, dass irgendjemand noch nach ihnen angekommen war.
Nun kehrte er wieder in das Haus zurück, lächelte den anderen, immer noch essenden Freunden zu und ging dann in sein Zimmer. Dort zog er ein zerknülltes Blatt aus seiner Tasche hervor. Es war mit schwungvollen Buchstaben beschrieben, die hier und da verlaufen waren, wohl weiß Flüssigkeit herangekommen war. Und weil Rania sehr leicht zum Weinen bringen ist. Mit hochgezogenen Augenbrauen las er nochmals, was die Priesterin ihm vor vielen Tagen geschrieben hatte. Er hatte auf eine Antwort verzichtet, zum Einen, weil ihm die Worte gefehlt hatten, zum anderen, weil er die Freundschaft, die ihn mit Rania verband, nicht länger wollte. Sie hatte ihn enttäuscht, ihm nicht vertraut, ihn belogen. Doch in den letzten Tagen hatten Kassos' harte Worte ihm klargemacht, dass der Knappe ein selbstgerechtes Urteil gefällt hatte. Auch Damian hatte mahnende Worte genutzt. Auf ein Podest gestellt hab ich sie. Kein Wunder, dass es mich umso härter getroffen hat, dass sie.. ach, bei den Göttern, bring's hinter dich.
"Irgendwo muss doch.." Er kramte nach Feder, Tinte und einem unbenutzten Stück Papier, doch fand er keines. Er hätte schwören können, noch welches zu besitzen - hatte er es verloren oder irgendwo vergessen? Nein, da war es, ganz unten in seiner Satteltasche. Entschuldigen würde er sich nicht, auf keinen Fall. Schließlich hatte Rania ihn belogen, sagte er sich. Da gab es nichts dran zu rütteln. Und Lorainnes Sicherheit auf's Spiel gesetzt! Doch tief drin wusste Vanion sehr genau, dass seine Ablehnung, sein Widerstreben und sein Widerwille nur seiner Angst entsprangen. Vertrauen erforderte Mut, und den hatte nicht jeder. Sie ist eine blöde Ziege, sie hat keine Ahnung von Vertrauen! Und Verantwortung! Sie hat schlecht und gefährlich gehandelt, und nur durch Glück und der Götter guten Willen ist nichts geschehen! Nein, der Knappe würde jetzt nicht den Mut finden, Rania zu vertrauen. Mit einer abrupten Handbewegung packte er Feder und Tinte wieder zusammen, knüllte das letzte, unbeschriebene Blatt zusammen und stopfte es zurück in die Tasche. Tu lieber was nützliches, anstatt alten Freundschaften hinterher zu trauern. Idiot!
Mit diesem Gedanken stampfte er in Lorainnes Zimmer und griff nach ihrem Kettenhemd. Sichtlich mit etwas beschäftigt und sichtlich erregt eilte er durch den Schankraum wieder nach draußen, wo er sich an die Hauswand setzte und begann, das schwere Hemd vom Rost, der sich langsam bemerkbar machte, und anderem Schmutz, der während der letzten Tage hineingeraten war, zu befreien.