"Ich kann gar nichts über Atos erzählen, ich kannte ihn nicht. Und euer Trupp war mir stets ein, zwei Tage voraus in den letzten Wochen, ich hab euch erst hier einholen können. Was Tiefensee betrifft..."
Vanion seufzte. Diese Geschichte hatte er ein um's andere Mal erzählt, und nie war es einfacher geworden. Die Gesichter alter Kampfgefährten tauchten plötzlich aus der Erinnerung auf: Gardrail, Linnea, Dylan, Asghar, und der kleine.. Wie hieß er noch gleich? Traurig stellte Vanion fest, dass er sich nicht einmal mehr an jeden einzelnen Namen erinnern konnte.
"Es ist bereits Jahre her. Konar, der falsche Kaiser, war damals noch an der Macht. Ganz in der Nähe von hier, bei einem Dorf namens Tiefensee, regten sich die dunklen Mächte des Täuschers. Ein Kult hatte sich festgesetzt, ein Kult, der irgendetwas erbeuten wollte, oder es schon erbeutet hatte - ich weiß es nicht mehr, und ich war noch zu unerfahren und kleingeistig, um zu begreifen, was tatsächlich um mich herum vor mich ging. Ich war damals nur ein weiteres Schwert unter vielen, und ich hatte mich mit den Sturmrufern angefreundet.
Die Sturmrufer! Gelb und Rot waren ihre Farben, und unter ihrem Banner versammelten sich hohe Herren und einfache Männer. In Sterjak, im Norden, stand ihre Feste, die Sturmburg, und sie waren Krieger! Mit Herz bei der Sache, egal, ob diese Sache das Würfelspiel oder der Kampf war. Sie waren beliebt, kampfgestählt und fröhlich, und man wusste, an ihrer Seite brauchte man nichts zu fürchten.
Aber Szivar verhöhnt man nicht. Er ist ein Gott, und er ist ein dunkler Gott. Als die Sturmrufer eines Abends loszogen, um um das Lager herum zu patroullieren, legte sich eine gespenstische Stille über uns. Viele wachten durch die Nacht, lauschten auf Geräusche aus dem Wald, und irgendwann wisperten die ersten: 'Wo sind sie nur? Wo bleiben sie?' Doch sie kamen nicht wieder, oh nein. Erst am nächsten Tag, als man sie bereits suchen wollte, marschierten sie in Reih und Glied aus dem Wald heraus.
"Wer seid ihr!?", rief ihr Anführer, und aus vielen Kehlen erschallte der Ruf: "Die Sturmrufer!" - und man jubelte, denn man dachte, sie seien sicher zurückgekehrt. Mit frohen Rufen wurden sie empfangen, doch das Lächeln und Lachen erlosch rasch, denn diese Krieger, Kampfgefährten, Freunde, sie stimmten einen Schlachtruf an: "Für wen kämpft ihr?!" - und mit einem markerschütternden Brüllen antworteten sie: "Für Szivar!"
Und sie griffen an. An diesem unseligen Tag töteten Freunde Freunde. Es ging nicht anders. Jeder einzelne Sturmrufer wurde niedergemacht. Sie waren unter den Bann Szivars gefallen, unwiderbringlich verloren. Ihre Seelen waren längst fort - dafür bete ich noch heute."
Mit steinernem Gesicht hatte Vanion erzählt. Es tat ihm in der Seele weh, diese Geschichte noch einmal erleben zu müssen.
"Ihr.. Ihr entschuldigt mich gewiss für einen Moment."
Vanion wandte sich ab und ging ein paar Schritte fort von Drakonia, dann holte er tief Luft und straffte die Schultern.