Es wäre falsch gewesen, zu behaupten, Lorainne de LaFollye de Joux sei besonders beliebt gewesen.
Nein.
Für jeden, der sie bewundert, geschätzt oder gemocht hatte, gab es jemanden, der sie verachtet, verflucht oder verleumdet hatte.
Doch eines konnte man mit Fug und Recht behaupten: Den wenigsten war sie gleichgültig gewesen.
Als sich an diesem Morgen der Nebel einem Leichentuch gleich über dem Land lag, machten sich die, die ihr ihren Respekt zollen wollten und die, die sehen wollten, dass sie wirklich tot war, auf. Dazu kamen jene, die sich so ein Ereignis nicht entgehen lassen wollten.
Schon aus Höflichkeit waren da die Ritter der benachbarten Lehen.
Lorainnes Lehensherr, der Baron von Blanchefleur selbstredend, mit den Rittern in seinen Diensten.
Entfernte Verwandte aus Oscronne.
Der eine oder andere Ritter aus Beauxchamps.
Und natürlich die, die sie noch aus dem Krieg kannten.
Nach Brauch und Sitte hatten die Damen ihre besten Kleider aus den Truhen geholt, die Ritter in voller Rüstung hatten die Helme poliert und ihre Banner, Penons und Wipel zeigten stolz die Wappen ihrer Häuser.
Wären sie sich sonst auf der Strasse begegnet, so hätte es wohl nicht wenige kleine und grössere Streitereien gegeben, ein paar Duelle oder auch eine waschechte Prügelei.
An diesem Tag nickten sie sich auf der Strasse nur eisig zu und hielten ihre Zungen im Zaum.
Sie würden heute nicht nur eine der Ihren zu Grabe tragen, nein sie würden ihren Stand, ihr Land und ihre Art zu leben und zu sterben feiern.
Nun war Lorainne der Gegenstand von viel Getuschel und unzähligen Gerüchten gewesen.
Der Vater angeblich von den eigenen Bauern aufgeknüpft, angeblich aber entkommen und bis zu seinem Tod im Verborgenen in Fehde mit den Nachbarn, fast wie ein Strassenräuber sagte man.
Sie selbst unter falschem Namen in den Knappenstand getreten, dann die bekannten Geschichten von dem Mädchen dass im Krieg war und als erste Frau zum Ritter wurde.
Das Duell mit Simon de Bourvis.
Ihre zahlreichen Verlobungen, ihre Hochzeit bei der der Bräutigam erschlagen wurde.
Ein Kind aus einer geheimen Liebschaft, manche sagten: geheimen Heirat.
Und ihre Zeit in Lavinias Orden. Als niederste der Niederen.
Am Ende ein Tod auf dem Feld, nicht schnell und sauber, sondern langsam und dreckig.
Ihr Andenken war schwierig. Da war zuviel Absonderliches, als dass man es hätte gutheissen können. Aber auch zuviel Besonderes, als dass man sie hätte verdammen können.
Am Ende zählte für die Meisten vor allem eines: Eine Firngarderin, eine Ritterin, war im Kampf gefallen. Im offenen Kampf war sie unbesiegt geblieben, nur feige von hinten hatte der Feind sie überwinden können.
Für einen Tag würde das Gezänk also verstummen, bis sie Lorainne de LaFollye den Respekt erwiesen hatten.
Simon zupfte an seinem neuen Surcot herum und besah sich die Reiter, die nah und fern auf der Strasse zu sehen waren, die Banner, die sich vor und hinter ihm im leichten Wind wiegten, die leuchtenden Farben der Wappen und nickte.
Angemessen, fand er, dann trieb er sein Pferd weiter und schloss zu seinem Lehensherren auf.