Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche

Auf der Reise nach Silvanaja

<< < (7/10) > >>

Rikhard Kraftweber:
Die Pfade, auf denen Rikhard sie führte, ließen so grade noch Platz für die Pferde. Stunden vergingen, und da sie die meiste Zeit hintereinander ausschritten, blieb nicht viel Zeit für Gespräche.

Es war fast Abend, als Rikhard stehen blieb und Kydora zu sich aufschließen ließ. Erneut lichteten sich die Bäume, aber dieses Mal standen sie nicht an einer Lichtung. Stattdessen lag ein kleiner See vor ihnen, bewachsen mit Schilf und Seerosen. Das Gewässer mochte an seiner breitesten Stelle fünfzig Meter messen. Sie standen am Kopfende des langgezogenen Wassers. Vor ihren Augen knickte der See in einer Kurve ab, und am ihnen direkt gegenübergelegenen Ufer erhob sich ein Hügel, auf dessen Kuppe eine gewaltige Trauerweide stand.

Rikhard machte keinerlei Anstalten, weiter zu gehen. Er führte lediglich sein Reittier ans Wasser und ließ es trinken. "Siehst du den Hügel dort vorne? Der Baum dort oben steht schon, seit ich denken kann. Zu meines Großvaters Zeit und noch davor gab es ihn schon. Er ist uns heilig, und selbst von hier spüre ich seine Kraft. Der See umfasst diese Landzunge zu drei Vierteln. Würden wir dem Ufer nach rechts folgen, könnten wir dorthin, folgen wir dem Ufer nach links, dann ... nun, dann würden wir, wenn sich nichts verändert hat, zu den Hütten und Zelten meines Stammes gelangen. Wäre die alte Weide nicht im Weg, könnten wir sie wahrscheinlich schon sehen."

Er schnupperte.
"Riechst du's? Kochfeuer. Herde kennt man hier nicht."

Kydora:
Der Anblick war überwältigend und verschlug ihr die Sprache. Diesen Teil Silvanajas hatte sie bisher noch nicht gesehen, aber er hatte es was beinahe mystisches. Die Trauerweide machte fast den Eindruck umarmend diesen Teil des Landstriches zu schützen. Ja fast wie eine gütige Mutter stand sie dort und wachte. Laut Rikhard wohl schon seit Jahren.

Kydoras Stimme war leise, beinahe ein Flüstern. „Möchtest du weiter gehen…?“ fragte sie behutsam.

Rikhard Kraftweber:
Rikhard wandte den Blick von der Weide ab und sah Kydora in die Augen. Er hob zu sprechen an, kam aber sofort ins Stocken.
"Ich weiß nicht, was man tun wird, wenn man ... wenn man mich erkennt. Grolf hat alle gegen mich aufgehetzt, damals. Sogar meine Familie hat mich misstrauisch betrachtet. Man wird mir die Schuld gegeben haben. Ich war... ich meine... ich wusste nicht, was ich tat, ich konnte es nicht kontrollieren. Ich -"
Rikhard verstummte, unfähig, weiterzusprechen. Der Magier hatte sich nicht bewegt und seine Augen waren offen, aber sein Blick ging durch Kydora hindurch, in die ferne Vergangenheit. 

Kydora:
Sie stand einen kurzen Moment unschlüssig vor Rikhard, doch ehe sie noch weiter darüber nachdenken konnte, ob er es überhaupt wollte oder nicht, machte die junge Silvanaja einen Schritt auf ihr Gegenüber zu und nahm ihn in den Arm.
„Du gehst nicht alleine dorthin. Musst dich nicht alleine deiner Vergangenheit stellen. Aber du musst dich fragen, was du dir erhoffst. Was ist dein Ziel? Wenn du mir das nennen kannst, kann ich dich besser unterstützen…“ sagte sie leise und mit ruhiger Stimme.

Ihr war klar, dass das für Rikhard unfassbar schwer sein musste. Und selbst wenn er jetzt entscheiden würde, dass er umkehren wollte, die Vergangenheit ruhen lassen… dann wäre das in Ordnung. Es war nicht an ihr zu urteilen. Sie begleitete ihn und einen kurzen Moment fragte sie sich, warum eigentlich sie, wo doch zu beginn seine Ablehnung so groß war. Doch vielleicht war es genau das? Ein erster Schritt in Richtung Annäherung. Ein erster Schritt für ihn, sich seinen Wurzeln wieder zu nähern.

Rikhard Kraftweber:
"Es ist eben Zeit."
Erstaunlich unemotional zuckte Rikhard mit den Schultern.
"Auf der anderen Seite des Sees wartet meine Vergangenheit. Dort wartet das, was ich vor der Zeit aufgegeben habe, und auch das, was mich fortgetrieben hat."
Der Magier meinte nicht einmal den Schamanen, den Scharlatan, der ihm das Leben schwer gemacht hatte.
"Der Moment, in dem Kyra fiel, der Moment hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich hab mich dem nie gestellt. Das ist mein Ziel, deswegen bin ich hier. Silvanaja ist nunmal ein Teil von mir. Seit Tagen, ach was, seit Wochen geht mir das Herz auf, wenn ich die Bäume rieche und die dicke, feuchte Luft hier schmecke. Die Sonnenstrahlen, die durch die Baumkronen brechen und den Morgennebel in der Luft glitzern lassen - wie konnte ich solche Schönheit nur vergessen? Ich muss lernen, meine Vergangenheit zu akzeptieren. Ich fürchte mich vor dem, was geschehen wird, wenn ich Kyras Eltern begegne."
Rikhard zögerte. Dem Magier fiel es erkennbar schwer, die nächsten Worte von sich zu geben.
"Du musst mich nicht begleiten. Das ist meine Aufgabe, und... falls etwas Schlimmes passiert, dann wäre es vielleicht besser, wenn du ein wenig Abstand hättest. Quasi Vorsprung."

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln