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Auf der Reise nach Silvanaja

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Kydora:
Kydora hatte sich wieder von ihm gelöst und stand nun vor Rikhard. Nachdenklich betrachtet sie ihn und schien nachzugrübeln. Über das was er gesagt hatte, über das was kommen könnte. Dann schüttelte sie nach einer Weile den Kopf.
„Ne das wär doch bescheuert. Ich komme mit. Bin ja nich umsonst den weiten Weg mitgekommen.“ meinte sie zu ihm. „Und was soll schon Schlimmes passieren für das ich einen Vorsprung bräuchte.“
Sie zuckte mit den Schultern und legte den Kopf leicht schief.
„Ich bin soweit, wenn du soweit bist.“

Rikhard Kraftweber:
Und das war er.

Mit jedem Schritt, den die beiden um den See herum machten, kamen Sie den Zelten und kleinen Hütten der Weber näher. Rikhard war sichtlich nervös, versuchte aber wie stets, das zu überspielen. Was würde ihn dort erwarten? Er hatte kaum jemandem erzählt, was damals geschehen war. Was ihn wirklich dazu gezwungen hatte, seine Heimat zu verlassen.

"Er ist ein Lügner! Ein Betrüger, der Pulver ins Feuer wirft, um euch alle zu täuschen!"
Rikhards Stimme überschlug sich, sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, und sein Finger zitterte, als er auf den Schamanen zeigte.
"Ich schwöre es bei allen Göttern, ich hab es mit eigenen Augen gesehen!"

Und das hatte er tatsächlich. Grolf, der sich ihm jahrelang angebiedert hatte, der ihm falsche Weisheiten, schlimme Eingebungen und schlechten Rat erteilt hatte, hatte sich als Scharlatan herausgestellt. Aberglaube und Unwissen hatten die Weber dazu gebracht, Grolf zu vertrauen, Grolf zu verehren, ihn zu einem der Anführer des Stammes zu erheben.

Aber Rikhard bemerkte nicht, wie die Menge, die sich um das große Feuer versammelt hatte, tuschelte. Bemerkte nicht die Blicke, die man sich zuwarf, die verstohlenen Worte, die man einander zuflüsterte. Stattdessen schrie er, schrie die Wahrheit hinaus! Bis ihn Grolfs starke Hand am Oberarm packte und nach vorne schleuderte. Der junge Magier fiel mit dem Gesicht in den Staub, schmeckte Blut auf seiner aufgeplatzten Lippe.

"Das Kind ist verrückt geworden, und die Magie bricht aus ihm heraus!"
Die Worte drangen wie durch einen dichten Nebel zu Rikhard vor. Irgendetwas mit "Kontrolle", "Angst", "überwältigt" .... was ging hier nur vor? Er richtete sich auf, machte einige taumelnde Schritte auf die Menge zu, die vor ihm auseinanderstob. Hinter sich hörte er Schritte, wusste, Grolf kam näher, und mit einem Ruck drehte Rikhard sich herum, griff in die Flut, die ihn umgab, und ließ alle Dämme fahren. Das Rauschen des Windes in den Blättern wurde zu einem Sturm, der in seinen Ohren brauste, und mit seinen Händen wies er der Kraft dieses Sturms den Weg. Ein heller Schrei, ein Krachen ertönte - Rikhard öffnete die Augen, siegessicher. Endlich hatte er wahre Magie gezeigt, und Grolf hatte sich nicht wehren können, hatte - "Nein..."

Es war nicht der Schamane gewesen, der von hinten an ihn herangetreten war. Kyra war es. Kyra, die stets zu ihm gehalten hatte. Eine Freundin, von Kindesbeinen an, die ihn stets begleitet hatte. Und nun lag ihr Körper mehrere Meter weit von ihm weg, unmenschlich verdrehte Gliedmaßen, und Rikhard sah helles Blut auf ihrer Stirn.

Niemand wagte es, ihn aufzuhalten, als er durch die Menge brach, in den Wald hineinrannte.

Der Rikhard Kraftweber, der nun zwischen die ersten Zelte trat, hatte sich verändert, und nicht nur innerlich. Er wusste, dass er nicht länger der ängstliche Schüler war, der mehr Angst vor sich selbst als vor seiner Umwelt hatte. Gelernt hatte er, dass die Welt kaum auf ihn gewartet hatte, und auch einige andere Dinge wusste er nun besser. Er war bereit, sich zu stellen, sich seiner Vergangenheit zu - "... Rikhard?!"

Das konnte nicht sein. Sie war tot.

Aber da stand sie. Quicklebendig. Lächelnd. Freudig lächelnd! Sie hatte sich kaum verändert. Ihre langen, kupferroten Haare trug sie offen, an ihren Ohren baumelte ein Federschmuck, und gekleidet war sie in braun und grün.
Ungläubig machte Rikhard einen Schritt auf sie zu. Worte fand er keine, nichts fiel ihm ein. Er hatte sie für tot gehalten. Hatte geglaubt, sie getötet zu haben, und seitdem war er unglaublich selbstdiszipliniert, umsichtig geworden. Nur ein einziges Mal war die Magie beinahe aus ihm herausgebrochen, unkontrolliert und wütend - und selbst bei dieser Gelegenheit hatte er sich unter Kontrolle gehabt, wenn auch so grade. "Du ... du lebst?"

Ein Schatten glitt über Kyras freundliches Gesicht. "Ja. Auch wenn das nicht dir zu verdanken ist." Eine gehörige Portion Kälte hatte sich in ihre Stimme geschlichen. "Du bist sicher hier, um deine Eltern zu besuchen? Sie werden staunen, da bin ich mir sicher. Aber vielleicht schreist du besser nicht von den Bäumen, dass du zu Besuch bist. Andere sind nach wie vor nicht so gut auf dich zu sprechen. Und wenn Grolf dich sieht ..."

"...Er ist immer noch hier?"
"Ja, wo sollte er sonst sein? Er spricht nun einmal mit den Geistern und den Göttern, und sein Wort ist hoch geschätzt. Dass du dich so offen gegen ihn gestellt hast, war keine gute Idee. Dass du ... dass du mich durch die Luft geschleudert hast, übrigens auch nicht." Ohne erkennbares Schamgefühl zog sie ihre Hose an einer Seite herunter und zeigte eine lange, hässliche Narbenwulst vor. "Dort hatte sich ein Knochen durch meine Haut gebohrt. Vielleicht war es ganz gut, dass du Jahre fort warst. Noch letztes Jahr hätte ich dir einen Pfeil in die Rippen gejagt. Ich hätte sterben können!"
Hinter Kyras Ausbruch verbarg sich aber noch ein anderes Gefühl als Zorn, und ein gewisser Unterton in ihrer Stimme ließ das auch erkennen.

Kydora:
In den ersten Momenten hatte sich Kydora im Hintergrund gehalten, aufmerksam umgesehen. Diesem Stamm war sie bisher nicht begegnet und ihr waren auch keine Handelsbeziehungen zwischen den Webern und den Bewahrern bekannt. Sie verfolgte zunächst schweigend aus dem Hintergrund die Begegnung der Beiden. Auch sie war überrascht, doch nun ja… Kydora war dieser Frau dort vor ihnen nie emotional verbunden gewesen. So war es zwar durchaus eine Überraschung, dass sie doch noch lebte, aber für sie selber keine so große Veränderung zu vorher.
Jedoch konnte sich Kydora sehr gut vorstellen, was Rikhard gerade durchmachen musste. Nachdem der erste Schrecken überstanden schien, trat nun auch Kydora vor, denn schließlich wäre es unhöflich einfach schweigsam rumzustehen.



Mit einem Lächeln sah sie Kyra an. „Ich mische mich nur ungern in das Gespräch ein, aber ich würde mich einfach gerne kurz vorstellen. Danach halte ich mich auch wieder dezent zurück. Ich bin Kydora vom Stamm der Bewahrer.“ Sie hielt ihrem Gegenüber zur Begrüßung die Hand entgegen.

Rikhard Kraftweber:
Kyra ergriff die ausgestreckte Hand der Bewahrerin. "Kyra von den Webern." Sie musterte Kydora mit einem freundlichen Blick. "Halte dich bloß nicht zurück. Ich, ähm ... wollte nicht unhöflich sein, aber Rikhard wiederzusehen, damit hab ich nicht gerechnet. Und wenn ich ihn mir so anschaue, er auch nicht."

Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
"Was ist aus dir geworden, Freund?"

Das war bekanntes Terrain für Rikhard. Sofort begann er: "Ich gehöre nun an die Akademie Ayd'Owl zu Fanada. Assistenz der Akademieleitung bin ich geworden, jawohl! Zwar bin ich noch Schüler, aber es kann gewiss nicht mehr lange dauern, bis ich ..."
Dann hielt er inne. Die Situation wurde ihm bewusst, und die plötzliche Stille war - keine Stille. Es war eben nicht wie an der Ayd'Owl. In den steinernen Häusern war's still, wenn niemand sprach. Aber hier? Hier rauschte der Wind in den Baumwipfeln, Vögel zwitscherten, ein naher Bach plätscherte vor sich hin, und alles war durchdrungen von dem allgegenwärtigen Wispern, von dem lebendigen Wald, und darüber lag ein Frieden, wie er ihn seit Jahren nicht gespürt hatte. Der Magier wusste, würde er sich bemühen, so würde er das Pulsieren spüren, was von der Alten Weide ausging.

"Aus mir ist etwas geworden, was mich abstößt, Kyra. Ich hab mich versteckt hinter meinem Fleiß, hinter meiner Arroganz, und hab es nie geschafft, das zu verwinden, was ich getan hab. Ich dachte - ich dachte, ich hätte dich getötet, als ich diesen Zauber wirkte. Darum bin ich fortgerannt, ich hatte Angst, Angst vor der Gewissheit. All der Ärger mit Grolf, als ich herausfand, dass er lügt, dass er ein Blender ist, all das ist verblasst vor dieser Schuld, die ich mit mir herumgetragen habe. Ich habe den Wald ausgesperrt, meine Geburt, den Sinn hinter dem, was ich tat."

Kydora:
Kydora winkte ab. „Nicht doch, ich kann mir denken, dass das eine unerwartete Überraschung war.“ Und sah zwischen den Beiden hin und her.


Als Rikhard kurzzeitig in seinen Akademie Modus verfiel, verdrehte Kydora seufzend die Augen. Er konnte es nicht las- aber da hatte er sich gefangen und überrascht sah sie ihn an. Einsicht? Zugeständnisse seiner Gefühle? Selbsterkenntnis?



Die Silvanaja machte einen Schritt zurück und stand nun etwa gleichweit von beiden entfernt. Abwartend in welche Richtung, das Gespräch gehen würde. Zögernd, sich zu viel einzumischen, aber bereit im Zweifel vermittelnd zu handeln.

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