Die letzte Nacht
fand Jelena wieder auf den Mauern der Stadt, dort, wo sie vor fast einem ganzen Jahr auf Botschaften von der Beransader gewartet hatte. Nach dem Tumult im silbernen Bären und den Enthüllungen, die statt gefunden hatten, hatte sie das Gefühl bekommen innerhalb ihrer vier Wände zu ersticken. Also warf sie sich ihren Mantel um, zog die schweren Reiterhandschuhe an und bestieg ein letztes Mal den Wehrgang von Caer Conway um ihren Gedanken nachhängen zu können.
Der Nebel begann mit geisterhaften Fingern die Stadt einzukreisen und leckte an den Mauern, Vorbote des Grauens, welches bei Sonnenaufgang über diesen Ort hereinbrechen würde.
Jelenas Dinge waren gepackt, ihre Pferde gesattelt. All jene, die sie mitnehmen konnte, wurden von der Reichsgarde zusammengeholt. Jelenas Gedanken wanderten zu Gorix, Sasha und Miguel, zu Helene und Robert und all den anderen, die in der Stadt zurückbleiben würden, um sie in einen Hexenkessel zu verwandeln, der ihnen und dem vorangegangenen Treck die Zeit erkaufen sollte, ihr Ziel im Norden zu erreichen. Stumm bewegte sie ihre Lippen im Gebet an Milosti und Ratnik, auf das sie sie lebend wiedersehen würde.
Der Nebel kroch über die Mauer und hüllte sie in eine seltsam unwirkliche Welt ein, in der alle Geräusche gedämpft und verzerrt waren und der eisige Wind hin und wieder Löcher riss.
Nach einiger Zeit kamen Menschen vorbei, um sich zu verabschieden. Der Kommandant der Reichsgarde, ein strenger, doch ehrenhafter Mann, der ihre Liebe zu Pferden teilte und sich in den Monaten ihres langen Schlafes um sie gekümmert hatte. Als sie ihm Sudbina, ihren Streithengst, überlassen wollte, hatte er nur den Kopf geschüttelt und gesagt, das im Straßenkampf Pferde hinderlich seien. Er drückte ihr wortlos Briefe an seine Familie in die Hand und verschwand wieder im Nebel.
Leicht schlurfende Schritte kündigten den Laviniapriester an, mit dem sie gemeinsam das Lazarett und das Heilerhaus aufgebaut hatte. Sie hatten erbittert um jede Kiste Vorräte gestritten und sich dabei lustig gegenseitig beschimpft. Jelena lächelte, es war eine der schönsten Zeiten hier gewesen. Der alte Herr beugte sich wortlos vor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor auch er wieder ging, um die letzten Stunden im Gebet an seine Göttin zu verbringen.
So ging es unregelmäßig weiter und jeder Abschied band sie nur noch stärker an diesen Haufen Hütten und Häuser, für die sie fast zwei Jahre lang erbittert gekämpft, gelitten, gelogen und betrogen hatte.
Der Nebel begann sich zu lichten und sie wusste, das die Zeit zum Aufbruch gekommen war. Ohne einen Blick auf die Reihen der Gegner zu verschwenden, wandte Jelena sich ab und verließ die Mauern um den letzten Treck aus Caer Conway anzuführen.